Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.

obern Stockwerk desselben führt, ein entstellender Zusatz des achtzehnten Jahr¬
hunderts ist, Übersicht der Verfasser (der in diesem Falle zugleich der Illu¬
strator ist), sei es daß er solche Kenntnis bei den Angehörigen der "gebildeten
Familie" als selbstverständlich voraussetzt, sei es, daß er sie selbst nicht besitzt.
Lübke, der das Denkmal ebenfalls in seiner heutigen Gestalt (S. 25, vergl.
Schnaases Kunstgeschichte III, S. 513) vorführt, rechtfertigt sich wenigstens
durch die allerdings recht vage Vermutung, daß man an dem Denkmal ursprünglich
wohl zwei ähnliche Treppen, die im vorigen Jahrhundert nur erneuert worden
seien, vorauszusetzen habe. Wir bekennen, von Dohmes Rekonstruktion (S. 5
seiner Geschichte der Baukunst), die auch die durch Terrainaufhöhungen heute ver¬
schobenen Verhältnisse zwischen Ober- und Unterbau wiederherstellt, mehr über¬
zeugt zu sein. Doch kehren wir zu den Abbildungen der Kunstgeschichte von
Knackfuß zurück. Die Ansichten der Godehardskirche in Hildesheim (S. 114), des
Domes zu Speyer (S. 122), des Kaiserhauses zu Goslar (S. 129, in stimmungs¬
voller Schneelandschaft; warum nicht lieber gleich während des Schneefalles selber
aufgenommen?), der Apostelkirche zu Köln (S. 199) u. s. w. würden in ihrer
Winzigkeit und mürben Verschwommenheit nicht einmal als Illustrationen einer
Reisebeschreibung genügen. Grundrisse zu geben, verschmäht der Verfasser durch¬
aus; und doch giebt nichts ein so lehrreiches Bild von der Entwicklung der Bau¬
kunst, namentlich in ihrem Übergange vom romanischen Stile zur Gotik, als die
Ausgestaltung der Grundrisse. Dagegen würden wir z. B. gern -- und der Laie
sicherlich noch lieber -- auf die Ansicht der Dominikanerkirche zu Konstanz während
des Anbaues (S. 227), ihre wüsten Schutthaufen und ähnliches verzichten. Die
Abbildungen einzelner plastischen Denkmale sind um ein weniges besser, während
die Wiedergabe der Schöpfungen deutscher Wandmalerei des Mittelalters (z. B.
S. 80 und S. 416) als völlig ungenügend bezeichnet werden muß.*)

Im ganzen kann uns das Jllustrationsverfahren dieses Werkes als warnendes
Beispiel dafür dienen, daß die industrielle Ausbeutung einer an und für sich
ja nicht wertlosen Erfindung, als die das Meisenbachsche Verfahren gelten darf,
zu bedenklichen Ergebnissen führt. Da lassen wir uns immer noch lieber die zwar
nicht neuen, aber doch klaren Holzschnitte von Ebner und seubert gefallen, an
denen nicht jeder Formensinn zu Schanden wird.

Indes, der Prospekt belehrt uns, daß der Schwerpunkt des Werkes von
Knackfuß "trotz allen Reichtums der Abbildungen" in seinem Texte liege. Wenden
wir uns also endlich zu dem Inhalte der drei neuen deutschen Kunstgeschichten.
Leider müssen wir von vornherein bekennen, daß die beiden letztgenannten von
Lübke und Knackfuß als buchhändlerische Unternehmungen immerhin noch mehr
interessiren, denn als wissenschaftliche Leistungen. Ernstere Würdigung bean¬
sprucht dagegen der Text der Grotischen Publikation.



*) Die Illustrationen der dritten Abteilung, die uns erst wahrend der Korrektur zu"
ging, bekunden einen Fortschritt, der schon hier nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll.
Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.

obern Stockwerk desselben führt, ein entstellender Zusatz des achtzehnten Jahr¬
hunderts ist, Übersicht der Verfasser (der in diesem Falle zugleich der Illu¬
strator ist), sei es daß er solche Kenntnis bei den Angehörigen der „gebildeten
Familie" als selbstverständlich voraussetzt, sei es, daß er sie selbst nicht besitzt.
Lübke, der das Denkmal ebenfalls in seiner heutigen Gestalt (S. 25, vergl.
Schnaases Kunstgeschichte III, S. 513) vorführt, rechtfertigt sich wenigstens
durch die allerdings recht vage Vermutung, daß man an dem Denkmal ursprünglich
wohl zwei ähnliche Treppen, die im vorigen Jahrhundert nur erneuert worden
seien, vorauszusetzen habe. Wir bekennen, von Dohmes Rekonstruktion (S. 5
seiner Geschichte der Baukunst), die auch die durch Terrainaufhöhungen heute ver¬
schobenen Verhältnisse zwischen Ober- und Unterbau wiederherstellt, mehr über¬
zeugt zu sein. Doch kehren wir zu den Abbildungen der Kunstgeschichte von
Knackfuß zurück. Die Ansichten der Godehardskirche in Hildesheim (S. 114), des
Domes zu Speyer (S. 122), des Kaiserhauses zu Goslar (S. 129, in stimmungs¬
voller Schneelandschaft; warum nicht lieber gleich während des Schneefalles selber
aufgenommen?), der Apostelkirche zu Köln (S. 199) u. s. w. würden in ihrer
Winzigkeit und mürben Verschwommenheit nicht einmal als Illustrationen einer
Reisebeschreibung genügen. Grundrisse zu geben, verschmäht der Verfasser durch¬
aus; und doch giebt nichts ein so lehrreiches Bild von der Entwicklung der Bau¬
kunst, namentlich in ihrem Übergange vom romanischen Stile zur Gotik, als die
Ausgestaltung der Grundrisse. Dagegen würden wir z. B. gern — und der Laie
sicherlich noch lieber — auf die Ansicht der Dominikanerkirche zu Konstanz während
des Anbaues (S. 227), ihre wüsten Schutthaufen und ähnliches verzichten. Die
Abbildungen einzelner plastischen Denkmale sind um ein weniges besser, während
die Wiedergabe der Schöpfungen deutscher Wandmalerei des Mittelalters (z. B.
S. 80 und S. 416) als völlig ungenügend bezeichnet werden muß.*)

Im ganzen kann uns das Jllustrationsverfahren dieses Werkes als warnendes
Beispiel dafür dienen, daß die industrielle Ausbeutung einer an und für sich
ja nicht wertlosen Erfindung, als die das Meisenbachsche Verfahren gelten darf,
zu bedenklichen Ergebnissen führt. Da lassen wir uns immer noch lieber die zwar
nicht neuen, aber doch klaren Holzschnitte von Ebner und seubert gefallen, an
denen nicht jeder Formensinn zu Schanden wird.

Indes, der Prospekt belehrt uns, daß der Schwerpunkt des Werkes von
Knackfuß „trotz allen Reichtums der Abbildungen" in seinem Texte liege. Wenden
wir uns also endlich zu dem Inhalte der drei neuen deutschen Kunstgeschichten.
Leider müssen wir von vornherein bekennen, daß die beiden letztgenannten von
Lübke und Knackfuß als buchhändlerische Unternehmungen immerhin noch mehr
interessiren, denn als wissenschaftliche Leistungen. Ernstere Würdigung bean¬
sprucht dagegen der Text der Grotischen Publikation.



*) Die Illustrationen der dritten Abteilung, die uns erst wahrend der Korrektur zu»
ging, bekunden einen Fortschritt, der schon hier nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203575"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_308" prev="#ID_307"> obern Stockwerk desselben führt, ein entstellender Zusatz des achtzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts ist, Übersicht der Verfasser (der in diesem Falle zugleich der Illu¬<lb/>
strator ist), sei es daß er solche Kenntnis bei den Angehörigen der &#x201E;gebildeten<lb/>
Familie" als selbstverständlich voraussetzt, sei es, daß er sie selbst nicht besitzt.<lb/>
Lübke, der das Denkmal ebenfalls in seiner heutigen Gestalt (S. 25, vergl.<lb/>
Schnaases Kunstgeschichte III, S. 513) vorführt, rechtfertigt sich wenigstens<lb/>
durch die allerdings recht vage Vermutung, daß man an dem Denkmal ursprünglich<lb/>
wohl zwei ähnliche Treppen, die im vorigen Jahrhundert nur erneuert worden<lb/>
seien, vorauszusetzen habe. Wir bekennen, von Dohmes Rekonstruktion (S. 5<lb/>
seiner Geschichte der Baukunst), die auch die durch Terrainaufhöhungen heute ver¬<lb/>
schobenen Verhältnisse zwischen Ober- und Unterbau wiederherstellt, mehr über¬<lb/>
zeugt zu sein. Doch kehren wir zu den Abbildungen der Kunstgeschichte von<lb/>
Knackfuß zurück. Die Ansichten der Godehardskirche in Hildesheim (S. 114), des<lb/>
Domes zu Speyer (S. 122), des Kaiserhauses zu Goslar (S. 129, in stimmungs¬<lb/>
voller Schneelandschaft; warum nicht lieber gleich während des Schneefalles selber<lb/>
aufgenommen?), der Apostelkirche zu Köln (S. 199) u. s. w. würden in ihrer<lb/>
Winzigkeit und mürben Verschwommenheit nicht einmal als Illustrationen einer<lb/>
Reisebeschreibung genügen. Grundrisse zu geben, verschmäht der Verfasser durch¬<lb/>
aus; und doch giebt nichts ein so lehrreiches Bild von der Entwicklung der Bau¬<lb/>
kunst, namentlich in ihrem Übergange vom romanischen Stile zur Gotik, als die<lb/>
Ausgestaltung der Grundrisse. Dagegen würden wir z. B. gern &#x2014; und der Laie<lb/>
sicherlich noch lieber &#x2014; auf die Ansicht der Dominikanerkirche zu Konstanz während<lb/>
des Anbaues (S. 227), ihre wüsten Schutthaufen und ähnliches verzichten. Die<lb/>
Abbildungen einzelner plastischen Denkmale sind um ein weniges besser, während<lb/>
die Wiedergabe der Schöpfungen deutscher Wandmalerei des Mittelalters (z. B.<lb/>
S. 80 und S. 416) als völlig ungenügend bezeichnet werden muß.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_309"> Im ganzen kann uns das Jllustrationsverfahren dieses Werkes als warnendes<lb/>
Beispiel dafür dienen, daß die industrielle Ausbeutung einer an und für sich<lb/>
ja nicht wertlosen Erfindung, als die das Meisenbachsche Verfahren gelten darf,<lb/>
zu bedenklichen Ergebnissen führt. Da lassen wir uns immer noch lieber die zwar<lb/>
nicht neuen, aber doch klaren Holzschnitte von Ebner und seubert gefallen, an<lb/>
denen nicht jeder Formensinn zu Schanden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310"> Indes, der Prospekt belehrt uns, daß der Schwerpunkt des Werkes von<lb/>
Knackfuß &#x201E;trotz allen Reichtums der Abbildungen" in seinem Texte liege. Wenden<lb/>
wir uns also endlich zu dem Inhalte der drei neuen deutschen Kunstgeschichten.<lb/>
Leider müssen wir von vornherein bekennen, daß die beiden letztgenannten von<lb/>
Lübke und Knackfuß als buchhändlerische Unternehmungen immerhin noch mehr<lb/>
interessiren, denn als wissenschaftliche Leistungen. Ernstere Würdigung bean¬<lb/>
sprucht dagegen der Text der Grotischen Publikation.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> *) Die Illustrationen der dritten Abteilung, die uns erst wahrend der Korrektur zu»<lb/>
ging, bekunden einen Fortschritt, der schon hier nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte. obern Stockwerk desselben führt, ein entstellender Zusatz des achtzehnten Jahr¬ hunderts ist, Übersicht der Verfasser (der in diesem Falle zugleich der Illu¬ strator ist), sei es daß er solche Kenntnis bei den Angehörigen der „gebildeten Familie" als selbstverständlich voraussetzt, sei es, daß er sie selbst nicht besitzt. Lübke, der das Denkmal ebenfalls in seiner heutigen Gestalt (S. 25, vergl. Schnaases Kunstgeschichte III, S. 513) vorführt, rechtfertigt sich wenigstens durch die allerdings recht vage Vermutung, daß man an dem Denkmal ursprünglich wohl zwei ähnliche Treppen, die im vorigen Jahrhundert nur erneuert worden seien, vorauszusetzen habe. Wir bekennen, von Dohmes Rekonstruktion (S. 5 seiner Geschichte der Baukunst), die auch die durch Terrainaufhöhungen heute ver¬ schobenen Verhältnisse zwischen Ober- und Unterbau wiederherstellt, mehr über¬ zeugt zu sein. Doch kehren wir zu den Abbildungen der Kunstgeschichte von Knackfuß zurück. Die Ansichten der Godehardskirche in Hildesheim (S. 114), des Domes zu Speyer (S. 122), des Kaiserhauses zu Goslar (S. 129, in stimmungs¬ voller Schneelandschaft; warum nicht lieber gleich während des Schneefalles selber aufgenommen?), der Apostelkirche zu Köln (S. 199) u. s. w. würden in ihrer Winzigkeit und mürben Verschwommenheit nicht einmal als Illustrationen einer Reisebeschreibung genügen. Grundrisse zu geben, verschmäht der Verfasser durch¬ aus; und doch giebt nichts ein so lehrreiches Bild von der Entwicklung der Bau¬ kunst, namentlich in ihrem Übergange vom romanischen Stile zur Gotik, als die Ausgestaltung der Grundrisse. Dagegen würden wir z. B. gern — und der Laie sicherlich noch lieber — auf die Ansicht der Dominikanerkirche zu Konstanz während des Anbaues (S. 227), ihre wüsten Schutthaufen und ähnliches verzichten. Die Abbildungen einzelner plastischen Denkmale sind um ein weniges besser, während die Wiedergabe der Schöpfungen deutscher Wandmalerei des Mittelalters (z. B. S. 80 und S. 416) als völlig ungenügend bezeichnet werden muß.*) Im ganzen kann uns das Jllustrationsverfahren dieses Werkes als warnendes Beispiel dafür dienen, daß die industrielle Ausbeutung einer an und für sich ja nicht wertlosen Erfindung, als die das Meisenbachsche Verfahren gelten darf, zu bedenklichen Ergebnissen führt. Da lassen wir uns immer noch lieber die zwar nicht neuen, aber doch klaren Holzschnitte von Ebner und seubert gefallen, an denen nicht jeder Formensinn zu Schanden wird. Indes, der Prospekt belehrt uns, daß der Schwerpunkt des Werkes von Knackfuß „trotz allen Reichtums der Abbildungen" in seinem Texte liege. Wenden wir uns also endlich zu dem Inhalte der drei neuen deutschen Kunstgeschichten. Leider müssen wir von vornherein bekennen, daß die beiden letztgenannten von Lübke und Knackfuß als buchhändlerische Unternehmungen immerhin noch mehr interessiren, denn als wissenschaftliche Leistungen. Ernstere Würdigung bean¬ sprucht dagegen der Text der Grotischen Publikation. *) Die Illustrationen der dritten Abteilung, die uns erst wahrend der Korrektur zu» ging, bekunden einen Fortschritt, der schon hier nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/140>, abgerufen am 03.07.2024.