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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

gab, erwachte auch das Interesse für die so lange stiefmütterlich behandelte
vaterländische Kunst wieder, und zwei der bedeutensten Kunstgelehrten unsrer Zeit,
Woltmam? und Thausing, erwarben ihren Ruf durch die Biographieen der
beiden deutschen Kunstheroen Holbein und Dürer (Leipzig, bei Seemann). Um¬
fassender noch wurde das Studium unsrer Kunstdenkmäler durch deren auf
Anregung der deutschen Regierungen überall vorgenommene Jnventarisirung ge¬
fördert. Mit der Lösung dieser Aufgabe sind gegenwärtig fast in allen Teilen
Deutschlands tüchtige Kräfte beschäftigt; abgeschlossen ist sie noch keineswegs.
Gleichwohl schien der Zeitpunkt für eine geschichtliche Zusammenfassung des so
errungenen, die weitern Kreisen gegenüber gleichsam als ein Rechenschaftsbericht
über das geleistete und in Angriff genommene gelten kann, gekommen, und es
ist daher nicht zu verwundern, daß von drei Seiten zu gleicher Zeit der Plan
einer deutschen Kunstgeschichte auftauchte.

Die oben kurz überblickten Vorarbeiten erleichtern gewiß die Arbeit des
deutschen Kunstgeschichtsschreibers nicht unwesentlich, ebensosehr aber auch ihre
Kontrole und Beurteilung, die selbstverständlich jetzt einen andern Maßstab an¬
zulegen hat. als in den Zeiten Fiorillos oder Kuglers. Die Hauptaufgabe liegt in
der übersichtlichen Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Künste in Deutsch¬
land; diese muß aber an die Stelle der philosophischen Konstruktion, die noch
Schnaase bei einem lückenhaften Denkmälervorrat nicht vermeiden konnte, eine
Durchdringung und sachliche Sichtung des immer reicher und vollständiger zu¬
strömenden Stoffes setzen. Diese von Tag zu Tag anwachsende Thatsachenfülle
läßt sich nur durch methodisch geschulte Geister in historische Formen gießen.
Die Gefahr, am Einzelnen haften zu bleiben oder die Herrschaft über das Ganze
zu verlieren, ist heute größer als je. Untersuchen wir daher, wie sie in den uns
vorliegenden Werken überwunden, umgangen oder verhängnisvoll geworden ist.
Soweit man sich bei der fragmentarischen Gestalt einzelner Teile der Grotischen
und nach den bisher erschienenen Lieferungen der beiden andern Kunstgeschichten
eine Meinung auf vergleichenden Wege bilden kann, möchten wir Dohmes Ge¬
schichte der deutschen Baukunst den Preis zuerkennen. Hier finden wir Klarheit
und Übersichtlichkeit mit streng sachlicher Prüfung der einzelnen Denkmäler in
ausgeglichener Form vereinigt, während Bodes und Janitscheks Darstellungen der
Skulptur und Malerei nicht durchweg von den Schlacken der vorbereitenden Samm¬
lung und Durcharbeitung des Stoffes frei sind, wobei wir allerdings billiger
Weise berücksichtigen müssen, daß den letztgenannten beiden Forschern der Weg
von ihren Vorgängern weit weniger geebnet ist, als Dohme. Die Inventars
der einzelnen Provinzen sind eben in erster Linie Inventars der Baudenkmäler,
woneben den beweglichen Kunstwerken der Malerei und Bildnerei nur ein
beschränkter Platz eingeräumt ist. Auch ein ähnlich übersichtliches Werk wie
Dehios systematische Darstellung der kirchlichen Baukunst des Abendlandes sucht
man für die Geschichte der darstellenden Künste vergebens. An einem Schrift-


Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

gab, erwachte auch das Interesse für die so lange stiefmütterlich behandelte
vaterländische Kunst wieder, und zwei der bedeutensten Kunstgelehrten unsrer Zeit,
Woltmam? und Thausing, erwarben ihren Ruf durch die Biographieen der
beiden deutschen Kunstheroen Holbein und Dürer (Leipzig, bei Seemann). Um¬
fassender noch wurde das Studium unsrer Kunstdenkmäler durch deren auf
Anregung der deutschen Regierungen überall vorgenommene Jnventarisirung ge¬
fördert. Mit der Lösung dieser Aufgabe sind gegenwärtig fast in allen Teilen
Deutschlands tüchtige Kräfte beschäftigt; abgeschlossen ist sie noch keineswegs.
Gleichwohl schien der Zeitpunkt für eine geschichtliche Zusammenfassung des so
errungenen, die weitern Kreisen gegenüber gleichsam als ein Rechenschaftsbericht
über das geleistete und in Angriff genommene gelten kann, gekommen, und es
ist daher nicht zu verwundern, daß von drei Seiten zu gleicher Zeit der Plan
einer deutschen Kunstgeschichte auftauchte.

Die oben kurz überblickten Vorarbeiten erleichtern gewiß die Arbeit des
deutschen Kunstgeschichtsschreibers nicht unwesentlich, ebensosehr aber auch ihre
Kontrole und Beurteilung, die selbstverständlich jetzt einen andern Maßstab an¬
zulegen hat. als in den Zeiten Fiorillos oder Kuglers. Die Hauptaufgabe liegt in
der übersichtlichen Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Künste in Deutsch¬
land; diese muß aber an die Stelle der philosophischen Konstruktion, die noch
Schnaase bei einem lückenhaften Denkmälervorrat nicht vermeiden konnte, eine
Durchdringung und sachliche Sichtung des immer reicher und vollständiger zu¬
strömenden Stoffes setzen. Diese von Tag zu Tag anwachsende Thatsachenfülle
läßt sich nur durch methodisch geschulte Geister in historische Formen gießen.
Die Gefahr, am Einzelnen haften zu bleiben oder die Herrschaft über das Ganze
zu verlieren, ist heute größer als je. Untersuchen wir daher, wie sie in den uns
vorliegenden Werken überwunden, umgangen oder verhängnisvoll geworden ist.
Soweit man sich bei der fragmentarischen Gestalt einzelner Teile der Grotischen
und nach den bisher erschienenen Lieferungen der beiden andern Kunstgeschichten
eine Meinung auf vergleichenden Wege bilden kann, möchten wir Dohmes Ge¬
schichte der deutschen Baukunst den Preis zuerkennen. Hier finden wir Klarheit
und Übersichtlichkeit mit streng sachlicher Prüfung der einzelnen Denkmäler in
ausgeglichener Form vereinigt, während Bodes und Janitscheks Darstellungen der
Skulptur und Malerei nicht durchweg von den Schlacken der vorbereitenden Samm¬
lung und Durcharbeitung des Stoffes frei sind, wobei wir allerdings billiger
Weise berücksichtigen müssen, daß den letztgenannten beiden Forschern der Weg
von ihren Vorgängern weit weniger geebnet ist, als Dohme. Die Inventars
der einzelnen Provinzen sind eben in erster Linie Inventars der Baudenkmäler,
woneben den beweglichen Kunstwerken der Malerei und Bildnerei nur ein
beschränkter Platz eingeräumt ist. Auch ein ähnlich übersichtliches Werk wie
Dehios systematische Darstellung der kirchlichen Baukunst des Abendlandes sucht
man für die Geschichte der darstellenden Künste vergebens. An einem Schrift-


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[0142] Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte. gab, erwachte auch das Interesse für die so lange stiefmütterlich behandelte vaterländische Kunst wieder, und zwei der bedeutensten Kunstgelehrten unsrer Zeit, Woltmam? und Thausing, erwarben ihren Ruf durch die Biographieen der beiden deutschen Kunstheroen Holbein und Dürer (Leipzig, bei Seemann). Um¬ fassender noch wurde das Studium unsrer Kunstdenkmäler durch deren auf Anregung der deutschen Regierungen überall vorgenommene Jnventarisirung ge¬ fördert. Mit der Lösung dieser Aufgabe sind gegenwärtig fast in allen Teilen Deutschlands tüchtige Kräfte beschäftigt; abgeschlossen ist sie noch keineswegs. Gleichwohl schien der Zeitpunkt für eine geschichtliche Zusammenfassung des so errungenen, die weitern Kreisen gegenüber gleichsam als ein Rechenschaftsbericht über das geleistete und in Angriff genommene gelten kann, gekommen, und es ist daher nicht zu verwundern, daß von drei Seiten zu gleicher Zeit der Plan einer deutschen Kunstgeschichte auftauchte. Die oben kurz überblickten Vorarbeiten erleichtern gewiß die Arbeit des deutschen Kunstgeschichtsschreibers nicht unwesentlich, ebensosehr aber auch ihre Kontrole und Beurteilung, die selbstverständlich jetzt einen andern Maßstab an¬ zulegen hat. als in den Zeiten Fiorillos oder Kuglers. Die Hauptaufgabe liegt in der übersichtlichen Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Künste in Deutsch¬ land; diese muß aber an die Stelle der philosophischen Konstruktion, die noch Schnaase bei einem lückenhaften Denkmälervorrat nicht vermeiden konnte, eine Durchdringung und sachliche Sichtung des immer reicher und vollständiger zu¬ strömenden Stoffes setzen. Diese von Tag zu Tag anwachsende Thatsachenfülle läßt sich nur durch methodisch geschulte Geister in historische Formen gießen. Die Gefahr, am Einzelnen haften zu bleiben oder die Herrschaft über das Ganze zu verlieren, ist heute größer als je. Untersuchen wir daher, wie sie in den uns vorliegenden Werken überwunden, umgangen oder verhängnisvoll geworden ist. Soweit man sich bei der fragmentarischen Gestalt einzelner Teile der Grotischen und nach den bisher erschienenen Lieferungen der beiden andern Kunstgeschichten eine Meinung auf vergleichenden Wege bilden kann, möchten wir Dohmes Ge¬ schichte der deutschen Baukunst den Preis zuerkennen. Hier finden wir Klarheit und Übersichtlichkeit mit streng sachlicher Prüfung der einzelnen Denkmäler in ausgeglichener Form vereinigt, während Bodes und Janitscheks Darstellungen der Skulptur und Malerei nicht durchweg von den Schlacken der vorbereitenden Samm¬ lung und Durcharbeitung des Stoffes frei sind, wobei wir allerdings billiger Weise berücksichtigen müssen, daß den letztgenannten beiden Forschern der Weg von ihren Vorgängern weit weniger geebnet ist, als Dohme. Die Inventars der einzelnen Provinzen sind eben in erster Linie Inventars der Baudenkmäler, woneben den beweglichen Kunstwerken der Malerei und Bildnerei nur ein beschränkter Platz eingeräumt ist. Auch ein ähnlich übersichtliches Werk wie Dehios systematische Darstellung der kirchlichen Baukunst des Abendlandes sucht man für die Geschichte der darstellenden Künste vergebens. An einem Schrift-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/142>, abgerufen am 24.08.2024.