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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

des Kenners und der Verwunderung des Laien preisgiebt. Ein Leser, der sich
ein die "Authentizität" solcher Abbildungen hält, wird zu einem argen Irr¬
glauben verleitet, der weder der Kunstgeschichte noch dem Verleger zu gute
kommt. Wir meinen auch, daß die mit den heutigen Mitteln vielleicht an¬
nähernd erreichbare wirklich treue Wiedergabe der Farbenwirkung bedeutender
Denkmäler der Malerei weit über den Nahmen der Buchillustration hinaus¬
geht. Wenn man die Opferwilligkeit des Verlegers für selbständige Publikationen
einzelner Kunstwerke der Art in Anspruch nähme, wäre das weit eher zu recht¬
fertigen, als bei der Illustration eines kunstgeschichtlichen Handbuches, dessen
Preis eine mäßige Höhe nicht übersteigen darf.

Ob freilich die Popularität solcher Werke lediglich durch niedrigen Preis
zu erreichen ist, wie dies die beiden andern Verlagsfirmen anzunehmen
scheinen, die der "gebildeten Familie" die ganze deutsche Kunst "von den frühesten
Zeiten bis zur Gegenwart" für 16--20 Mark "liefern" wollen, mag dahin¬
gestellt bleiben. Jedenfalls verbieten solche Preisunterschiede einen Vergleich
der drei Kunstgeschichten in Bezug auf ihre Ausstattung von vornherein.
Die billigste Deutsche Kunstgeschichte, die von Wilhelm Lübke (im
Verlag von Ebner und seubert in Stuttgart) ist begreiflicherweise am ärm¬
lichsten ausgestattet; wir begegnen unter den Holzschnittillustrationcn vielen alten
Bekannten aus jeuer guten Zeit, wo man an die Wiedergabe der Kunstdenk¬
mäler noch bescheidene Ansprüche machte und schon erfreut war, wenn der lang¬
weilige Text überhaupt nur hie und da von Abbildungen unterbrochen wurde.
Diese keusche Zurückhaltung von dem Fortschritt der Jllustrationstechnik macht
das Werk Lübkes schon als historisches Vergleichsobjekt interessant, und wir werden
weiter unten sehen, daß der Text sich diesem archaisirenden Wesen in vielen
Stücken anpaßt. Neu dagegen dürfte die Art sein, in der die Deutsche Kunst¬
geschichte von Hermann Knackfuß in die Erscheinung tritt, der, wie den
meisten Veröffentlichungen der Firma Velhagen und Klasing in Leipzig, das
Prädikat "modern" im guten wie im bösen Sinne nicht abzusprechen ist. Wie
der Verfasser das "Notwelsch der Kunstgelehrsamkeit" vermieden hat (wohl um
der "gebildeten Familie" verständlich zu bleiben), räumt auch die Illustration dem
"Familiengeschmack" eine vielleicht allzu große Berechtigung ein, indem sie das
Auge des Lesers gewöhnt, die Kunstdenkmäler in malerischer Umgebung, wie sie
sich etwa dem flüchtigen Blick des Vergnügungsreisenden oder vielmehr seinem
photographischen "Liebhaberapparat" bieten, zu betrachten. Vieles geht auch auf
eigne Skizzen des Verfassers, der Maler ist, zurück. Die Beschreibung macht
dazu noch gelegentlich auf den Hintergrund "des feit Jahrtausenden sich in ewig
jungem Wechsel erneuerten Pinienwaldes" (S. 11) und seinen "unbeschreiblichen
Eindruck" aufmerksam. Daß es aber für die Erkenntnis des auf so interessantem
Hintergrunde geschilderten Kunstdenkmales, des Grabmales Theodorichs, wichtiger
ist, zu wissen, daß die auf der Abbildung wiedergegebene Freitreppe, die zum


Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

des Kenners und der Verwunderung des Laien preisgiebt. Ein Leser, der sich
ein die „Authentizität" solcher Abbildungen hält, wird zu einem argen Irr¬
glauben verleitet, der weder der Kunstgeschichte noch dem Verleger zu gute
kommt. Wir meinen auch, daß die mit den heutigen Mitteln vielleicht an¬
nähernd erreichbare wirklich treue Wiedergabe der Farbenwirkung bedeutender
Denkmäler der Malerei weit über den Nahmen der Buchillustration hinaus¬
geht. Wenn man die Opferwilligkeit des Verlegers für selbständige Publikationen
einzelner Kunstwerke der Art in Anspruch nähme, wäre das weit eher zu recht¬
fertigen, als bei der Illustration eines kunstgeschichtlichen Handbuches, dessen
Preis eine mäßige Höhe nicht übersteigen darf.

Ob freilich die Popularität solcher Werke lediglich durch niedrigen Preis
zu erreichen ist, wie dies die beiden andern Verlagsfirmen anzunehmen
scheinen, die der „gebildeten Familie" die ganze deutsche Kunst „von den frühesten
Zeiten bis zur Gegenwart" für 16—20 Mark „liefern" wollen, mag dahin¬
gestellt bleiben. Jedenfalls verbieten solche Preisunterschiede einen Vergleich
der drei Kunstgeschichten in Bezug auf ihre Ausstattung von vornherein.
Die billigste Deutsche Kunstgeschichte, die von Wilhelm Lübke (im
Verlag von Ebner und seubert in Stuttgart) ist begreiflicherweise am ärm¬
lichsten ausgestattet; wir begegnen unter den Holzschnittillustrationcn vielen alten
Bekannten aus jeuer guten Zeit, wo man an die Wiedergabe der Kunstdenk¬
mäler noch bescheidene Ansprüche machte und schon erfreut war, wenn der lang¬
weilige Text überhaupt nur hie und da von Abbildungen unterbrochen wurde.
Diese keusche Zurückhaltung von dem Fortschritt der Jllustrationstechnik macht
das Werk Lübkes schon als historisches Vergleichsobjekt interessant, und wir werden
weiter unten sehen, daß der Text sich diesem archaisirenden Wesen in vielen
Stücken anpaßt. Neu dagegen dürfte die Art sein, in der die Deutsche Kunst¬
geschichte von Hermann Knackfuß in die Erscheinung tritt, der, wie den
meisten Veröffentlichungen der Firma Velhagen und Klasing in Leipzig, das
Prädikat „modern" im guten wie im bösen Sinne nicht abzusprechen ist. Wie
der Verfasser das „Notwelsch der Kunstgelehrsamkeit" vermieden hat (wohl um
der „gebildeten Familie" verständlich zu bleiben), räumt auch die Illustration dem
„Familiengeschmack" eine vielleicht allzu große Berechtigung ein, indem sie das
Auge des Lesers gewöhnt, die Kunstdenkmäler in malerischer Umgebung, wie sie
sich etwa dem flüchtigen Blick des Vergnügungsreisenden oder vielmehr seinem
photographischen „Liebhaberapparat" bieten, zu betrachten. Vieles geht auch auf
eigne Skizzen des Verfassers, der Maler ist, zurück. Die Beschreibung macht
dazu noch gelegentlich auf den Hintergrund „des feit Jahrtausenden sich in ewig
jungem Wechsel erneuerten Pinienwaldes" (S. 11) und seinen „unbeschreiblichen
Eindruck" aufmerksam. Daß es aber für die Erkenntnis des auf so interessantem
Hintergrunde geschilderten Kunstdenkmales, des Grabmales Theodorichs, wichtiger
ist, zu wissen, daß die auf der Abbildung wiedergegebene Freitreppe, die zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/139>, abgerufen am 03.07.2024.