Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und Schopenhauer.

habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im
Sinne seiner Lehre. Die Unterscheidung des Subjektes vom Objekt und ferner
die Ansicht, daß jedes Geschöpf um sein selbstwillen existirt und nicht etwa der
Korkbaum gewachsen ist, damit wir unsre Flaschen pfropfen können, dieses hat
Kant mit mir gemein, und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen. Später
schrieb ich die Lehre vom Versuch, welche als Kritik von Subjekt und Objekt
und als Vermittlung von beiden anzusehen ist. Schiller pflegte mir immer das
Studium der Kantschen Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant
könne mir nichts geben. Er selbst studirte ihn dagegen eifrig, und ich habe
ihn auch studirt und zwar nicht ohne Gewinn." Also die große Entdeckung
der Idealität von Raum und Zeit, die Kritik der Beweise für das Dasein Gottes,
der kategorische Imperativ, alles das, was man als das eigentlich Kantische be¬
zeichnen möchte, erwähnt Goethe nicht, und doch hatte er die Kritik der Urteils¬
kraft mit vielem Anteile gelesen, die Kritik der reinen Vernunft studirt, und
selbst seine Freundinnen plagten sich damit ab. Freilich darf man nicht ver¬
gessen, daß er sich selbst Eckermann gegenüber sehr vorsichtig in seinen Äuße¬
rungen verhielt, und daß die Verlegung von Raum und Zeit in den Intellekt
seiner plastischen Weltanschauung gerade entgegengesetzt war. Doch hatte er bei
der Beschäftigung mit Kant Philosophiren gelernt. Er philosophirte viel mit
Schiller, Wilhelm Humboldt, Niethammer und Reinhold, und zwar im Interesse
seines Faust. Die Jenaer Universität brachte ihn in unsanfter Weise in Berüh¬
rung mit der idealistischen Weltanschauung; Fichte, Schelling, Hegel stürmten
nach einander auf ihn ein. Goethe hat in einem besondern Aufsatze über sein
Verhältnis zur uachkantischen Philosophie gesprochen, auch sonst giebt er ge¬
legentlich zu erkennen, wie sehr ihn die Idealisten in seiner Freude ein der Welt
stören und wie er ihnen doch gerecht zu werden sucht. Im Briefwechsel mit
Schiller (6. Januar 1798) spricht er sich ausführlich darüber aus: "Bei Gelegen¬
heit des Schcllingschen Buches (Ideen zu einer Philosophie der Natur) habe
ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt, über die wir ausführlich sprechen
müssen. Ich gebe gern zu, daß es die Natur nicht ist, die wir erkennen, sondern
daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns auf¬
genommen wird. Von dem Appetite eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum
Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll,
mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben, und es wäre wohl zu
wünschen, daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreif¬
lich machte, was man für die höchste hält. Der transseendentielle Idealist glaubt
nun freilich ganz oben zu stehen; eins will mir aber nicht von ihm gefallen,
daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet. Wer will gewissen Menschen
die Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Er¬
fahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer
scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt. Sie wissen,


Goethe und Schopenhauer.

habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im
Sinne seiner Lehre. Die Unterscheidung des Subjektes vom Objekt und ferner
die Ansicht, daß jedes Geschöpf um sein selbstwillen existirt und nicht etwa der
Korkbaum gewachsen ist, damit wir unsre Flaschen pfropfen können, dieses hat
Kant mit mir gemein, und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen. Später
schrieb ich die Lehre vom Versuch, welche als Kritik von Subjekt und Objekt
und als Vermittlung von beiden anzusehen ist. Schiller pflegte mir immer das
Studium der Kantschen Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant
könne mir nichts geben. Er selbst studirte ihn dagegen eifrig, und ich habe
ihn auch studirt und zwar nicht ohne Gewinn." Also die große Entdeckung
der Idealität von Raum und Zeit, die Kritik der Beweise für das Dasein Gottes,
der kategorische Imperativ, alles das, was man als das eigentlich Kantische be¬
zeichnen möchte, erwähnt Goethe nicht, und doch hatte er die Kritik der Urteils¬
kraft mit vielem Anteile gelesen, die Kritik der reinen Vernunft studirt, und
selbst seine Freundinnen plagten sich damit ab. Freilich darf man nicht ver¬
gessen, daß er sich selbst Eckermann gegenüber sehr vorsichtig in seinen Äuße¬
rungen verhielt, und daß die Verlegung von Raum und Zeit in den Intellekt
seiner plastischen Weltanschauung gerade entgegengesetzt war. Doch hatte er bei
der Beschäftigung mit Kant Philosophiren gelernt. Er philosophirte viel mit
Schiller, Wilhelm Humboldt, Niethammer und Reinhold, und zwar im Interesse
seines Faust. Die Jenaer Universität brachte ihn in unsanfter Weise in Berüh¬
rung mit der idealistischen Weltanschauung; Fichte, Schelling, Hegel stürmten
nach einander auf ihn ein. Goethe hat in einem besondern Aufsatze über sein
Verhältnis zur uachkantischen Philosophie gesprochen, auch sonst giebt er ge¬
legentlich zu erkennen, wie sehr ihn die Idealisten in seiner Freude ein der Welt
stören und wie er ihnen doch gerecht zu werden sucht. Im Briefwechsel mit
Schiller (6. Januar 1798) spricht er sich ausführlich darüber aus: „Bei Gelegen¬
heit des Schcllingschen Buches (Ideen zu einer Philosophie der Natur) habe
ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt, über die wir ausführlich sprechen
müssen. Ich gebe gern zu, daß es die Natur nicht ist, die wir erkennen, sondern
daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns auf¬
genommen wird. Von dem Appetite eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum
Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll,
mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben, und es wäre wohl zu
wünschen, daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreif¬
lich machte, was man für die höchste hält. Der transseendentielle Idealist glaubt
nun freilich ganz oben zu stehen; eins will mir aber nicht von ihm gefallen,
daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet. Wer will gewissen Menschen
die Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Er¬
fahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer
scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt. Sie wissen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203570"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und Schopenhauer.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_297" prev="#ID_296" next="#ID_298"> habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im<lb/>
Sinne seiner Lehre. Die Unterscheidung des Subjektes vom Objekt und ferner<lb/>
die Ansicht, daß jedes Geschöpf um sein selbstwillen existirt und nicht etwa der<lb/>
Korkbaum gewachsen ist, damit wir unsre Flaschen pfropfen können, dieses hat<lb/>
Kant mit mir gemein, und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen. Später<lb/>
schrieb ich die Lehre vom Versuch, welche als Kritik von Subjekt und Objekt<lb/>
und als Vermittlung von beiden anzusehen ist. Schiller pflegte mir immer das<lb/>
Studium der Kantschen Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant<lb/>
könne mir nichts geben. Er selbst studirte ihn dagegen eifrig, und ich habe<lb/>
ihn auch studirt und zwar nicht ohne Gewinn." Also die große Entdeckung<lb/>
der Idealität von Raum und Zeit, die Kritik der Beweise für das Dasein Gottes,<lb/>
der kategorische Imperativ, alles das, was man als das eigentlich Kantische be¬<lb/>
zeichnen möchte, erwähnt Goethe nicht, und doch hatte er die Kritik der Urteils¬<lb/>
kraft mit vielem Anteile gelesen, die Kritik der reinen Vernunft studirt, und<lb/>
selbst seine Freundinnen plagten sich damit ab. Freilich darf man nicht ver¬<lb/>
gessen, daß er sich selbst Eckermann gegenüber sehr vorsichtig in seinen Äuße¬<lb/>
rungen verhielt, und daß die Verlegung von Raum und Zeit in den Intellekt<lb/>
seiner plastischen Weltanschauung gerade entgegengesetzt war. Doch hatte er bei<lb/>
der Beschäftigung mit Kant Philosophiren gelernt. Er philosophirte viel mit<lb/>
Schiller, Wilhelm Humboldt, Niethammer und Reinhold, und zwar im Interesse<lb/>
seines Faust. Die Jenaer Universität brachte ihn in unsanfter Weise in Berüh¬<lb/>
rung mit der idealistischen Weltanschauung; Fichte, Schelling, Hegel stürmten<lb/>
nach einander auf ihn ein. Goethe hat in einem besondern Aufsatze über sein<lb/>
Verhältnis zur uachkantischen Philosophie gesprochen, auch sonst giebt er ge¬<lb/>
legentlich zu erkennen, wie sehr ihn die Idealisten in seiner Freude ein der Welt<lb/>
stören und wie er ihnen doch gerecht zu werden sucht. Im Briefwechsel mit<lb/>
Schiller (6. Januar 1798) spricht er sich ausführlich darüber aus: &#x201E;Bei Gelegen¬<lb/>
heit des Schcllingschen Buches (Ideen zu einer Philosophie der Natur) habe<lb/>
ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt, über die wir ausführlich sprechen<lb/>
müssen. Ich gebe gern zu, daß es die Natur nicht ist, die wir erkennen, sondern<lb/>
daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns auf¬<lb/>
genommen wird. Von dem Appetite eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum<lb/>
Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll,<lb/>
mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben, und es wäre wohl zu<lb/>
wünschen, daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreif¬<lb/>
lich machte, was man für die höchste hält. Der transseendentielle Idealist glaubt<lb/>
nun freilich ganz oben zu stehen; eins will mir aber nicht von ihm gefallen,<lb/>
daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet. Wer will gewissen Menschen<lb/>
die Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Er¬<lb/>
fahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer<lb/>
scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt. Sie wissen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] Goethe und Schopenhauer. habe ich geschrieben, ehe ich etwas von Kant wußte, und doch ist sie ganz im Sinne seiner Lehre. Die Unterscheidung des Subjektes vom Objekt und ferner die Ansicht, daß jedes Geschöpf um sein selbstwillen existirt und nicht etwa der Korkbaum gewachsen ist, damit wir unsre Flaschen pfropfen können, dieses hat Kant mit mir gemein, und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen. Später schrieb ich die Lehre vom Versuch, welche als Kritik von Subjekt und Objekt und als Vermittlung von beiden anzusehen ist. Schiller pflegte mir immer das Studium der Kantschen Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant könne mir nichts geben. Er selbst studirte ihn dagegen eifrig, und ich habe ihn auch studirt und zwar nicht ohne Gewinn." Also die große Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit, die Kritik der Beweise für das Dasein Gottes, der kategorische Imperativ, alles das, was man als das eigentlich Kantische be¬ zeichnen möchte, erwähnt Goethe nicht, und doch hatte er die Kritik der Urteils¬ kraft mit vielem Anteile gelesen, die Kritik der reinen Vernunft studirt, und selbst seine Freundinnen plagten sich damit ab. Freilich darf man nicht ver¬ gessen, daß er sich selbst Eckermann gegenüber sehr vorsichtig in seinen Äuße¬ rungen verhielt, und daß die Verlegung von Raum und Zeit in den Intellekt seiner plastischen Weltanschauung gerade entgegengesetzt war. Doch hatte er bei der Beschäftigung mit Kant Philosophiren gelernt. Er philosophirte viel mit Schiller, Wilhelm Humboldt, Niethammer und Reinhold, und zwar im Interesse seines Faust. Die Jenaer Universität brachte ihn in unsanfter Weise in Berüh¬ rung mit der idealistischen Weltanschauung; Fichte, Schelling, Hegel stürmten nach einander auf ihn ein. Goethe hat in einem besondern Aufsatze über sein Verhältnis zur uachkantischen Philosophie gesprochen, auch sonst giebt er ge¬ legentlich zu erkennen, wie sehr ihn die Idealisten in seiner Freude ein der Welt stören und wie er ihnen doch gerecht zu werden sucht. Im Briefwechsel mit Schiller (6. Januar 1798) spricht er sich ausführlich darüber aus: „Bei Gelegen¬ heit des Schcllingschen Buches (Ideen zu einer Philosophie der Natur) habe ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt, über die wir ausführlich sprechen müssen. Ich gebe gern zu, daß es die Natur nicht ist, die wir erkennen, sondern daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns auf¬ genommen wird. Von dem Appetite eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll, mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben, und es wäre wohl zu wünschen, daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreif¬ lich machte, was man für die höchste hält. Der transseendentielle Idealist glaubt nun freilich ganz oben zu stehen; eins will mir aber nicht von ihm gefallen, daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet. Wer will gewissen Menschen die Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Er¬ fahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt. Sie wissen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/135>, abgerufen am 03.07.2024.