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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Schopenhauer.

Wie sehr ich am Begriffe der Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach innen
hänge, und doch läßt sich ja eine Bestimmung nach außen und ein Verhältnis nach
außen nicht leugnen, wodurch man mehr oder weniger sich jener Vorstellungsart
wieder nähert, sowie mau sie im Vortrage als Redensart nicht entbehren kann.
Ebenso mag sich der Idealist gegen die Dinge an sich wehren, wie er will, er
stößt doch, ehe er sichs versieht, an die Dinge außer ihm, und wie mir scheint,
sie kommen ihm immer beim ersten Begegnen in die Quere. Mir will immer
dünken, daß, wenn die eine Partei von außen hinein den Geist niemals erreichen
kann, die andre von innen heraus wohl schwerlich zu den Körpern gelangen wird,
und daß man also immer wohl thut, in dem philosophischen Naturstande zu
bleiben und von seiner ungetrennten Existenz den besten möglichen Gebrauch zu
machen, bis die Philosophen einmal übereinkommen, wie das, was sie nun ein¬
mal getrennt haben, wieder zu vereinigen sein möchte." Es wird Goethe später
nicht entgangen sein, daß Schopenhauer diesen Versuch gemacht hat. Der Aus¬
fall, den Goethe im zweiten Teile des Faust (2. Akt) auf die Idealisten macht,
ist bekannt. Mit dem Fichteschen Ich und Nichtich konnte er sich am wenigsten
befreunden, Schillings Weltseele war ihm sympathischer, er schätzte diesen Denker
hoch und fand im Gespräch mit ihm manchen Berührungspunkt. Auch Hegels
Absolutes erschien ihm begreiflich. "Vom Absoluten im theoretischen Sinne
wage ich nicht zu reden," sagt er in der dritten Abteilung der "Maximen", "be¬
haupten aber darf ich, daß, wer es in der Erscheinung anerkennt und immer
im Auge hat, sehr großen Gewinn davon erfahren wird." Nur tadelt er, daß
Hegel die Religion in sein System hineingezogen habe. "Die christliche Reli¬
gion," sagt er zu Eckermann 1829, "ist ein mächtiges Wesen für sich, woran
die gesunkene und leidende Menschheit sich immer wieder emporgearbeitet hat,
und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über alle Philosophie er¬
haben und bedarf von ihr keine Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht
das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu beweisen, z. B. die einer
ewigen Fortdauer." Im Alter näherte sich Goethe zusehends der positiven
Religion, besonders betont er den Gottesglauben gern bei passender Gelegenheit,
freilich auch gleichzeitig die Unerforschlichkeit des göttlichen Wesens.

Dies war ungefähr die Summe philosophischer Erfahrung, die Goethe im
Laufe der Jahre, widerstrebend fast, hatte in sich anwachsen sehen. Zu ihr trat
nun, wenn auch nicht plötzlich, doch in ihrer ganzen Gewalt sich unmittelbar
aufdrängend, die Schopenhauersche Weltanschauung. Sie regte ihn auf, sie er¬
schreckte ihn vielleicht, denn der darin enthaltene Pessimismus, die scharfe Ab¬
weisung des Glaubens an einen persönlichen Gott, die konsequente Durchführung
des idealistischen Prinzips, die Belastung des Willens mit einer in die Ewigkeit
zurück und hinausreichenden Verantwortlichkeit, dies alles hatte für den ma߬
vollen Geist Goethes nichts Versöhnliches, nichts Anmutendes. Und doch fand
er darin eingehüllt eine Menge seiner eignen Gedanken, und er fand sie in un-


Goethe und Schopenhauer.

Wie sehr ich am Begriffe der Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach innen
hänge, und doch läßt sich ja eine Bestimmung nach außen und ein Verhältnis nach
außen nicht leugnen, wodurch man mehr oder weniger sich jener Vorstellungsart
wieder nähert, sowie mau sie im Vortrage als Redensart nicht entbehren kann.
Ebenso mag sich der Idealist gegen die Dinge an sich wehren, wie er will, er
stößt doch, ehe er sichs versieht, an die Dinge außer ihm, und wie mir scheint,
sie kommen ihm immer beim ersten Begegnen in die Quere. Mir will immer
dünken, daß, wenn die eine Partei von außen hinein den Geist niemals erreichen
kann, die andre von innen heraus wohl schwerlich zu den Körpern gelangen wird,
und daß man also immer wohl thut, in dem philosophischen Naturstande zu
bleiben und von seiner ungetrennten Existenz den besten möglichen Gebrauch zu
machen, bis die Philosophen einmal übereinkommen, wie das, was sie nun ein¬
mal getrennt haben, wieder zu vereinigen sein möchte." Es wird Goethe später
nicht entgangen sein, daß Schopenhauer diesen Versuch gemacht hat. Der Aus¬
fall, den Goethe im zweiten Teile des Faust (2. Akt) auf die Idealisten macht,
ist bekannt. Mit dem Fichteschen Ich und Nichtich konnte er sich am wenigsten
befreunden, Schillings Weltseele war ihm sympathischer, er schätzte diesen Denker
hoch und fand im Gespräch mit ihm manchen Berührungspunkt. Auch Hegels
Absolutes erschien ihm begreiflich. „Vom Absoluten im theoretischen Sinne
wage ich nicht zu reden," sagt er in der dritten Abteilung der „Maximen", „be¬
haupten aber darf ich, daß, wer es in der Erscheinung anerkennt und immer
im Auge hat, sehr großen Gewinn davon erfahren wird." Nur tadelt er, daß
Hegel die Religion in sein System hineingezogen habe. „Die christliche Reli¬
gion," sagt er zu Eckermann 1829, „ist ein mächtiges Wesen für sich, woran
die gesunkene und leidende Menschheit sich immer wieder emporgearbeitet hat,
und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über alle Philosophie er¬
haben und bedarf von ihr keine Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht
das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu beweisen, z. B. die einer
ewigen Fortdauer." Im Alter näherte sich Goethe zusehends der positiven
Religion, besonders betont er den Gottesglauben gern bei passender Gelegenheit,
freilich auch gleichzeitig die Unerforschlichkeit des göttlichen Wesens.

Dies war ungefähr die Summe philosophischer Erfahrung, die Goethe im
Laufe der Jahre, widerstrebend fast, hatte in sich anwachsen sehen. Zu ihr trat
nun, wenn auch nicht plötzlich, doch in ihrer ganzen Gewalt sich unmittelbar
aufdrängend, die Schopenhauersche Weltanschauung. Sie regte ihn auf, sie er¬
schreckte ihn vielleicht, denn der darin enthaltene Pessimismus, die scharfe Ab¬
weisung des Glaubens an einen persönlichen Gott, die konsequente Durchführung
des idealistischen Prinzips, die Belastung des Willens mit einer in die Ewigkeit
zurück und hinausreichenden Verantwortlichkeit, dies alles hatte für den ma߬
vollen Geist Goethes nichts Versöhnliches, nichts Anmutendes. Und doch fand
er darin eingehüllt eine Menge seiner eignen Gedanken, und er fand sie in un-


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[0136] Goethe und Schopenhauer. Wie sehr ich am Begriffe der Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach innen hänge, und doch läßt sich ja eine Bestimmung nach außen und ein Verhältnis nach außen nicht leugnen, wodurch man mehr oder weniger sich jener Vorstellungsart wieder nähert, sowie mau sie im Vortrage als Redensart nicht entbehren kann. Ebenso mag sich der Idealist gegen die Dinge an sich wehren, wie er will, er stößt doch, ehe er sichs versieht, an die Dinge außer ihm, und wie mir scheint, sie kommen ihm immer beim ersten Begegnen in die Quere. Mir will immer dünken, daß, wenn die eine Partei von außen hinein den Geist niemals erreichen kann, die andre von innen heraus wohl schwerlich zu den Körpern gelangen wird, und daß man also immer wohl thut, in dem philosophischen Naturstande zu bleiben und von seiner ungetrennten Existenz den besten möglichen Gebrauch zu machen, bis die Philosophen einmal übereinkommen, wie das, was sie nun ein¬ mal getrennt haben, wieder zu vereinigen sein möchte." Es wird Goethe später nicht entgangen sein, daß Schopenhauer diesen Versuch gemacht hat. Der Aus¬ fall, den Goethe im zweiten Teile des Faust (2. Akt) auf die Idealisten macht, ist bekannt. Mit dem Fichteschen Ich und Nichtich konnte er sich am wenigsten befreunden, Schillings Weltseele war ihm sympathischer, er schätzte diesen Denker hoch und fand im Gespräch mit ihm manchen Berührungspunkt. Auch Hegels Absolutes erschien ihm begreiflich. „Vom Absoluten im theoretischen Sinne wage ich nicht zu reden," sagt er in der dritten Abteilung der „Maximen", „be¬ haupten aber darf ich, daß, wer es in der Erscheinung anerkennt und immer im Auge hat, sehr großen Gewinn davon erfahren wird." Nur tadelt er, daß Hegel die Religion in sein System hineingezogen habe. „Die christliche Reli¬ gion," sagt er zu Eckermann 1829, „ist ein mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene und leidende Menschheit sich immer wieder emporgearbeitet hat, und indem man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über alle Philosophie er¬ haben und bedarf von ihr keine Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu beweisen, z. B. die einer ewigen Fortdauer." Im Alter näherte sich Goethe zusehends der positiven Religion, besonders betont er den Gottesglauben gern bei passender Gelegenheit, freilich auch gleichzeitig die Unerforschlichkeit des göttlichen Wesens. Dies war ungefähr die Summe philosophischer Erfahrung, die Goethe im Laufe der Jahre, widerstrebend fast, hatte in sich anwachsen sehen. Zu ihr trat nun, wenn auch nicht plötzlich, doch in ihrer ganzen Gewalt sich unmittelbar aufdrängend, die Schopenhauersche Weltanschauung. Sie regte ihn auf, sie er¬ schreckte ihn vielleicht, denn der darin enthaltene Pessimismus, die scharfe Ab¬ weisung des Glaubens an einen persönlichen Gott, die konsequente Durchführung des idealistischen Prinzips, die Belastung des Willens mit einer in die Ewigkeit zurück und hinausreichenden Verantwortlichkeit, dies alles hatte für den ma߬ vollen Geist Goethes nichts Versöhnliches, nichts Anmutendes. Und doch fand er darin eingehüllt eine Menge seiner eignen Gedanken, und er fand sie in un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/136>, abgerufen am 01.07.2024.