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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Schopenhauer.

der Natur und Natur in Gott" wurde fortan die philosophische Triebfeder und
der Endzweck seiner Naturstudien. Er beobachtete die Erscheinungen in der
Natur als die Äußerungen einer schaffenden und allwaltenden Gottheit, und so
nur glaubte er sie annähernd begreifen zu können. "Die Natur," sagte er 1829
zu Eckermann, "versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer
strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des
Menschen. Den Unzulänglichen verschmäht sie, und nur dem Zulänglichen,
Wahren und Reinen ergiebt sie sich und offenbart ihm ihre Geheimnisse. Der
Verstand reicht zu ihr nicht hinauf, der Mensch muß fähig sein, sich zur höchsten
Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Ur-
phcinomenen, physischen und sittlichen, offenbart, hinter denen sie sich hält und
die von ihr ausgehen." Dies ist Wort für Wort und Zug um Zug der Spino-
zismus, wie er in Goethe Gestalt, Leben und praktische Bedeutung gewonnen
hatte. Und wie Spinoza, so war anch Goethe die Liebe zur Natur eins mit
der Liebe zu Gott. Neben Spinoza war es Leibniz, der das Interesse Goethes
dauernd in Anspruch nahm. Von dessen Monaden sprach er noch im hohen
Alter mit Vorliebe, nur nannte er sie lieber Entelechieeu, d. h. Seelen, unzer¬
störbare Kräfte der Einzelwesen. "Das Höchste," sagt er in dem Nachtrage zu
den "Maximen und Reflexionen," "was wir von Gott und der Natur erhalten
haben, ist das Leben, die rotirende Bewegung der Monas um sich selbst, welche
weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu Pflegen,
ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch
bleibt uns und andern ein Geheimnis." Aus der Monaden- oder Entelechieen-
lehre ging sür ihn der Glaube an die Unsterblichkeit der Individuen hervor, doch
zögerte er, sie allen Wesen in gleicher Weise zuzugestehen und ließ die Form
derselben im Ungewissen "Ich zweifle nie an unsrer Fortdauer, denn die Natur
kann der Entelechie nicht entbehren. Aber wir sind nicht ans gleiche Weise un¬
sterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch
eine sein", belehrte er Eckermann. Seine abgeschiedenen großen Freunde vermochte er
sich wohl als Sterne vorzustellen. Im allgemeinen aber lehnte er alles Grübeln
über die philosophischen Probleme ab, um sich desto unbefangener der liebevollen
Betrachtung des Endlichen hinzugeben, herrlich drückt er dies aus in der Maxime:
"Das schönste Glück des denkenden Menschen ist. das Erforschliche erforscht zu
haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren." Zu Kant trat Goethe in kein in¬
nigeres Verhältnis, obgleich er die Werke desselben eifrig studirte und mit Be¬
wunderung von ihm sprach. Die abstrakte, schulgerechte Denkweise und der schwere
trockne Stil des Königsberger Weisen waren kompakte Massen, die die dichterische
Phantasie nicht so durchglühen und durchleuchten konnte, wie Goethe es forderte.
Interessant ist, was er selbst von seinem Verhältnisse zu Kant sagt (zu Ecker¬
mann 1827): "Kant hat nie von mir Notiz genommen, wiewohl ich aus eigner
Natur einen ähnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphose der Pflanzen


Goethe und Schopenhauer.

der Natur und Natur in Gott" wurde fortan die philosophische Triebfeder und
der Endzweck seiner Naturstudien. Er beobachtete die Erscheinungen in der
Natur als die Äußerungen einer schaffenden und allwaltenden Gottheit, und so
nur glaubte er sie annähernd begreifen zu können. „Die Natur," sagte er 1829
zu Eckermann, „versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer
strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des
Menschen. Den Unzulänglichen verschmäht sie, und nur dem Zulänglichen,
Wahren und Reinen ergiebt sie sich und offenbart ihm ihre Geheimnisse. Der
Verstand reicht zu ihr nicht hinauf, der Mensch muß fähig sein, sich zur höchsten
Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Ur-
phcinomenen, physischen und sittlichen, offenbart, hinter denen sie sich hält und
die von ihr ausgehen." Dies ist Wort für Wort und Zug um Zug der Spino-
zismus, wie er in Goethe Gestalt, Leben und praktische Bedeutung gewonnen
hatte. Und wie Spinoza, so war anch Goethe die Liebe zur Natur eins mit
der Liebe zu Gott. Neben Spinoza war es Leibniz, der das Interesse Goethes
dauernd in Anspruch nahm. Von dessen Monaden sprach er noch im hohen
Alter mit Vorliebe, nur nannte er sie lieber Entelechieeu, d. h. Seelen, unzer¬
störbare Kräfte der Einzelwesen. „Das Höchste," sagt er in dem Nachtrage zu
den „Maximen und Reflexionen," „was wir von Gott und der Natur erhalten
haben, ist das Leben, die rotirende Bewegung der Monas um sich selbst, welche
weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu Pflegen,
ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch
bleibt uns und andern ein Geheimnis." Aus der Monaden- oder Entelechieen-
lehre ging sür ihn der Glaube an die Unsterblichkeit der Individuen hervor, doch
zögerte er, sie allen Wesen in gleicher Weise zuzugestehen und ließ die Form
derselben im Ungewissen „Ich zweifle nie an unsrer Fortdauer, denn die Natur
kann der Entelechie nicht entbehren. Aber wir sind nicht ans gleiche Weise un¬
sterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch
eine sein", belehrte er Eckermann. Seine abgeschiedenen großen Freunde vermochte er
sich wohl als Sterne vorzustellen. Im allgemeinen aber lehnte er alles Grübeln
über die philosophischen Probleme ab, um sich desto unbefangener der liebevollen
Betrachtung des Endlichen hinzugeben, herrlich drückt er dies aus in der Maxime:
„Das schönste Glück des denkenden Menschen ist. das Erforschliche erforscht zu
haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren." Zu Kant trat Goethe in kein in¬
nigeres Verhältnis, obgleich er die Werke desselben eifrig studirte und mit Be¬
wunderung von ihm sprach. Die abstrakte, schulgerechte Denkweise und der schwere
trockne Stil des Königsberger Weisen waren kompakte Massen, die die dichterische
Phantasie nicht so durchglühen und durchleuchten konnte, wie Goethe es forderte.
Interessant ist, was er selbst von seinem Verhältnisse zu Kant sagt (zu Ecker¬
mann 1827): „Kant hat nie von mir Notiz genommen, wiewohl ich aus eigner
Natur einen ähnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphose der Pflanzen


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[0134] Goethe und Schopenhauer. der Natur und Natur in Gott" wurde fortan die philosophische Triebfeder und der Endzweck seiner Naturstudien. Er beobachtete die Erscheinungen in der Natur als die Äußerungen einer schaffenden und allwaltenden Gottheit, und so nur glaubte er sie annähernd begreifen zu können. „Die Natur," sagte er 1829 zu Eckermann, „versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen. Den Unzulänglichen verschmäht sie, und nur dem Zulänglichen, Wahren und Reinen ergiebt sie sich und offenbart ihm ihre Geheimnisse. Der Verstand reicht zu ihr nicht hinauf, der Mensch muß fähig sein, sich zur höchsten Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Ur- phcinomenen, physischen und sittlichen, offenbart, hinter denen sie sich hält und die von ihr ausgehen." Dies ist Wort für Wort und Zug um Zug der Spino- zismus, wie er in Goethe Gestalt, Leben und praktische Bedeutung gewonnen hatte. Und wie Spinoza, so war anch Goethe die Liebe zur Natur eins mit der Liebe zu Gott. Neben Spinoza war es Leibniz, der das Interesse Goethes dauernd in Anspruch nahm. Von dessen Monaden sprach er noch im hohen Alter mit Vorliebe, nur nannte er sie lieber Entelechieeu, d. h. Seelen, unzer¬ störbare Kräfte der Einzelwesen. „Das Höchste," sagt er in dem Nachtrage zu den „Maximen und Reflexionen," „was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben, die rotirende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu Pflegen, ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch bleibt uns und andern ein Geheimnis." Aus der Monaden- oder Entelechieen- lehre ging sür ihn der Glaube an die Unsterblichkeit der Individuen hervor, doch zögerte er, sie allen Wesen in gleicher Weise zuzugestehen und ließ die Form derselben im Ungewissen „Ich zweifle nie an unsrer Fortdauer, denn die Natur kann der Entelechie nicht entbehren. Aber wir sind nicht ans gleiche Weise un¬ sterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch eine sein", belehrte er Eckermann. Seine abgeschiedenen großen Freunde vermochte er sich wohl als Sterne vorzustellen. Im allgemeinen aber lehnte er alles Grübeln über die philosophischen Probleme ab, um sich desto unbefangener der liebevollen Betrachtung des Endlichen hinzugeben, herrlich drückt er dies aus in der Maxime: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist. das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren." Zu Kant trat Goethe in kein in¬ nigeres Verhältnis, obgleich er die Werke desselben eifrig studirte und mit Be¬ wunderung von ihm sprach. Die abstrakte, schulgerechte Denkweise und der schwere trockne Stil des Königsberger Weisen waren kompakte Massen, die die dichterische Phantasie nicht so durchglühen und durchleuchten konnte, wie Goethe es forderte. Interessant ist, was er selbst von seinem Verhältnisse zu Kant sagt (zu Ecker¬ mann 1827): „Kant hat nie von mir Notiz genommen, wiewohl ich aus eigner Natur einen ähnlichen Weg ging als er. Meine Metamorphose der Pflanzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/134>, abgerufen am 03.07.2024.