Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und Schopenhauer.

zu Ende und denke wohl soviel Zeit dazu zu bedürfen. Dann sprach er mit
mir und meinte, es sei ihm eine große Freude, daß du noch so an ihm hingest,
da ihr euch doch eigentlich über die Farbenlehre veruneinigt hättet, indem dein
Weg von dem seinen abginge. In diesem Buche gefalle ihm vorzüglich die
Klarheit der Darstellung und der Schreibart, obschon Deine Sprache von der
der andern abweiche und man sich erst gewöhnen müsse, die Dinge so zu nennen,
wie Du es verlangst. Habe man aber einmal diesen Vorteil erlangt und wisse,
daß Pferd nicht Pferd, sondern vadMo, und Gott etwa alö oder anders heiße,
dann lese man bequem und leicht. Auch gefalle ihm die ganze Einteilung gar
wohl. Nächstens hoffe ich ihn wieder allein zu sprechen; vielleicht äußert er
etwas Befriedigenderes. Wenigstens bist Du der einzige Autor, den Goethe
auf diese Weise mit diesem Ernste liest; das, dünkt mich, muß Dich freuen."

Es scheint aber nicht, daß Goethe etwas "Befriedigerendes" geäußert
habe. Die Kapitel, die er mit glücklicher Hand aufgeschlagen und sogleich ge¬
lesen hatte, waren die herrliche Auseinandersetzung über das Objekt der Kunst
(das Schöne) im dritten Buche, ß 43 und die psychologisch feine Untersuchung
über den empirischen Charakter im vierten Buche, A 55. Im ersten Abschnitte
fand Goethe übrigens eine Anerkennung seiner Metamorphose der Pflanzen*)
und eine bejahende Antwort auf die Frage, ob Natur sich nicht selbst ergründen
werde, nämlich die, daß dies allein der Kunst vorbehalten sei. Kein Wunder,
wenn er dadurch gleich anfangs für das Werk gewonnen ward. Ohne Zweifel
hat er oft und viel darin gelesen, man erkennt dies deutlich an den Wider¬
spiegelungen Schopenhauerscher Gedanken, die sich seitdem in Wort und Schrift
bei ihm wahrnehmen lassen. Aber der siebzigjährige wurde damit keineswegs
Schopenhcmerianer, ja er vermied sogar, wie es scheint absichtlich, von Schopen¬
hauer zu sprechen. Nur als der Philosoph, aus Italien zurückkehrend, wieder
einmal (und zwar zum letzten Male) in Weimar eingekehrt war und Goethen
besucht hatte, schrieb dieser in seine Annalen: "Ein Besuch Dr. Schopenhauers,
eines meist verkannten, aber auch schwer zu lernenden verdienstvollen jungen
Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung." Dies ist
die letzte Äußerung Goethes über Schopenhauer. Merkwürdig sind die Schlu߬
worte, sie bezeichnen sein Verhältnis zu dem großen Denker vortrefflich. Es ist
wohl anzunehmen, daß ihn die Schopenhcmersche Philosophie "aufgeregt" hatte,
ohne ihn zu befriedigen. Seine Abneigung gegen die Philosophie überhaupt,
den Pessimismus insbesondre, und sein Alter hielt ihn ab, tiefer in den Ge¬
dankengang Schopenhauers einzutreten. Er war im Laufe eines langen Lebens
mit mehreren philosophischen Systemen in nahe Berührung gekommen. Der
Lehrer seiner Jugend war Spinoza gewesen, dessen Pantheismus seinem grübeln¬
den Skeptizismus in wohlthuender Weise ein vorläufiges Ziel setzte. "Gott in



*) "Schon der Baum ist nur ein systematisches Aggregat der zahllos wiederholten
sprossenden Fasern."
Goethe und Schopenhauer.

zu Ende und denke wohl soviel Zeit dazu zu bedürfen. Dann sprach er mit
mir und meinte, es sei ihm eine große Freude, daß du noch so an ihm hingest,
da ihr euch doch eigentlich über die Farbenlehre veruneinigt hättet, indem dein
Weg von dem seinen abginge. In diesem Buche gefalle ihm vorzüglich die
Klarheit der Darstellung und der Schreibart, obschon Deine Sprache von der
der andern abweiche und man sich erst gewöhnen müsse, die Dinge so zu nennen,
wie Du es verlangst. Habe man aber einmal diesen Vorteil erlangt und wisse,
daß Pferd nicht Pferd, sondern vadMo, und Gott etwa alö oder anders heiße,
dann lese man bequem und leicht. Auch gefalle ihm die ganze Einteilung gar
wohl. Nächstens hoffe ich ihn wieder allein zu sprechen; vielleicht äußert er
etwas Befriedigenderes. Wenigstens bist Du der einzige Autor, den Goethe
auf diese Weise mit diesem Ernste liest; das, dünkt mich, muß Dich freuen."

Es scheint aber nicht, daß Goethe etwas „Befriedigerendes" geäußert
habe. Die Kapitel, die er mit glücklicher Hand aufgeschlagen und sogleich ge¬
lesen hatte, waren die herrliche Auseinandersetzung über das Objekt der Kunst
(das Schöne) im dritten Buche, ß 43 und die psychologisch feine Untersuchung
über den empirischen Charakter im vierten Buche, A 55. Im ersten Abschnitte
fand Goethe übrigens eine Anerkennung seiner Metamorphose der Pflanzen*)
und eine bejahende Antwort auf die Frage, ob Natur sich nicht selbst ergründen
werde, nämlich die, daß dies allein der Kunst vorbehalten sei. Kein Wunder,
wenn er dadurch gleich anfangs für das Werk gewonnen ward. Ohne Zweifel
hat er oft und viel darin gelesen, man erkennt dies deutlich an den Wider¬
spiegelungen Schopenhauerscher Gedanken, die sich seitdem in Wort und Schrift
bei ihm wahrnehmen lassen. Aber der siebzigjährige wurde damit keineswegs
Schopenhcmerianer, ja er vermied sogar, wie es scheint absichtlich, von Schopen¬
hauer zu sprechen. Nur als der Philosoph, aus Italien zurückkehrend, wieder
einmal (und zwar zum letzten Male) in Weimar eingekehrt war und Goethen
besucht hatte, schrieb dieser in seine Annalen: „Ein Besuch Dr. Schopenhauers,
eines meist verkannten, aber auch schwer zu lernenden verdienstvollen jungen
Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung." Dies ist
die letzte Äußerung Goethes über Schopenhauer. Merkwürdig sind die Schlu߬
worte, sie bezeichnen sein Verhältnis zu dem großen Denker vortrefflich. Es ist
wohl anzunehmen, daß ihn die Schopenhcmersche Philosophie „aufgeregt" hatte,
ohne ihn zu befriedigen. Seine Abneigung gegen die Philosophie überhaupt,
den Pessimismus insbesondre, und sein Alter hielt ihn ab, tiefer in den Ge¬
dankengang Schopenhauers einzutreten. Er war im Laufe eines langen Lebens
mit mehreren philosophischen Systemen in nahe Berührung gekommen. Der
Lehrer seiner Jugend war Spinoza gewesen, dessen Pantheismus seinem grübeln¬
den Skeptizismus in wohlthuender Weise ein vorläufiges Ziel setzte. „Gott in



*) „Schon der Baum ist nur ein systematisches Aggregat der zahllos wiederholten
sprossenden Fasern."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203568"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und Schopenhauer.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_294" prev="#ID_293"> zu Ende und denke wohl soviel Zeit dazu zu bedürfen. Dann sprach er mit<lb/>
mir und meinte, es sei ihm eine große Freude, daß du noch so an ihm hingest,<lb/>
da ihr euch doch eigentlich über die Farbenlehre veruneinigt hättet, indem dein<lb/>
Weg von dem seinen abginge. In diesem Buche gefalle ihm vorzüglich die<lb/>
Klarheit der Darstellung und der Schreibart, obschon Deine Sprache von der<lb/>
der andern abweiche und man sich erst gewöhnen müsse, die Dinge so zu nennen,<lb/>
wie Du es verlangst. Habe man aber einmal diesen Vorteil erlangt und wisse,<lb/>
daß Pferd nicht Pferd, sondern vadMo, und Gott etwa alö oder anders heiße,<lb/>
dann lese man bequem und leicht. Auch gefalle ihm die ganze Einteilung gar<lb/>
wohl. Nächstens hoffe ich ihn wieder allein zu sprechen; vielleicht äußert er<lb/>
etwas Befriedigenderes. Wenigstens bist Du der einzige Autor, den Goethe<lb/>
auf diese Weise mit diesem Ernste liest; das, dünkt mich, muß Dich freuen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Es scheint aber nicht, daß Goethe etwas &#x201E;Befriedigerendes" geäußert<lb/>
habe. Die Kapitel, die er mit glücklicher Hand aufgeschlagen und sogleich ge¬<lb/>
lesen hatte, waren die herrliche Auseinandersetzung über das Objekt der Kunst<lb/>
(das Schöne) im dritten Buche, ß 43 und die psychologisch feine Untersuchung<lb/>
über den empirischen Charakter im vierten Buche, A 55. Im ersten Abschnitte<lb/>
fand Goethe übrigens eine Anerkennung seiner Metamorphose der Pflanzen*)<lb/>
und eine bejahende Antwort auf die Frage, ob Natur sich nicht selbst ergründen<lb/>
werde, nämlich die, daß dies allein der Kunst vorbehalten sei. Kein Wunder,<lb/>
wenn er dadurch gleich anfangs für das Werk gewonnen ward. Ohne Zweifel<lb/>
hat er oft und viel darin gelesen, man erkennt dies deutlich an den Wider¬<lb/>
spiegelungen Schopenhauerscher Gedanken, die sich seitdem in Wort und Schrift<lb/>
bei ihm wahrnehmen lassen. Aber der siebzigjährige wurde damit keineswegs<lb/>
Schopenhcmerianer, ja er vermied sogar, wie es scheint absichtlich, von Schopen¬<lb/>
hauer zu sprechen. Nur als der Philosoph, aus Italien zurückkehrend, wieder<lb/>
einmal (und zwar zum letzten Male) in Weimar eingekehrt war und Goethen<lb/>
besucht hatte, schrieb dieser in seine Annalen: &#x201E;Ein Besuch Dr. Schopenhauers,<lb/>
eines meist verkannten, aber auch schwer zu lernenden verdienstvollen jungen<lb/>
Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung." Dies ist<lb/>
die letzte Äußerung Goethes über Schopenhauer. Merkwürdig sind die Schlu߬<lb/>
worte, sie bezeichnen sein Verhältnis zu dem großen Denker vortrefflich. Es ist<lb/>
wohl anzunehmen, daß ihn die Schopenhcmersche Philosophie &#x201E;aufgeregt" hatte,<lb/>
ohne ihn zu befriedigen. Seine Abneigung gegen die Philosophie überhaupt,<lb/>
den Pessimismus insbesondre, und sein Alter hielt ihn ab, tiefer in den Ge¬<lb/>
dankengang Schopenhauers einzutreten. Er war im Laufe eines langen Lebens<lb/>
mit mehreren philosophischen Systemen in nahe Berührung gekommen. Der<lb/>
Lehrer seiner Jugend war Spinoza gewesen, dessen Pantheismus seinem grübeln¬<lb/>
den Skeptizismus in wohlthuender Weise ein vorläufiges Ziel setzte. &#x201E;Gott in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) &#x201E;Schon der Baum ist nur ein systematisches Aggregat der zahllos wiederholten<lb/>
sprossenden Fasern."</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Goethe und Schopenhauer. zu Ende und denke wohl soviel Zeit dazu zu bedürfen. Dann sprach er mit mir und meinte, es sei ihm eine große Freude, daß du noch so an ihm hingest, da ihr euch doch eigentlich über die Farbenlehre veruneinigt hättet, indem dein Weg von dem seinen abginge. In diesem Buche gefalle ihm vorzüglich die Klarheit der Darstellung und der Schreibart, obschon Deine Sprache von der der andern abweiche und man sich erst gewöhnen müsse, die Dinge so zu nennen, wie Du es verlangst. Habe man aber einmal diesen Vorteil erlangt und wisse, daß Pferd nicht Pferd, sondern vadMo, und Gott etwa alö oder anders heiße, dann lese man bequem und leicht. Auch gefalle ihm die ganze Einteilung gar wohl. Nächstens hoffe ich ihn wieder allein zu sprechen; vielleicht äußert er etwas Befriedigenderes. Wenigstens bist Du der einzige Autor, den Goethe auf diese Weise mit diesem Ernste liest; das, dünkt mich, muß Dich freuen." Es scheint aber nicht, daß Goethe etwas „Befriedigerendes" geäußert habe. Die Kapitel, die er mit glücklicher Hand aufgeschlagen und sogleich ge¬ lesen hatte, waren die herrliche Auseinandersetzung über das Objekt der Kunst (das Schöne) im dritten Buche, ß 43 und die psychologisch feine Untersuchung über den empirischen Charakter im vierten Buche, A 55. Im ersten Abschnitte fand Goethe übrigens eine Anerkennung seiner Metamorphose der Pflanzen*) und eine bejahende Antwort auf die Frage, ob Natur sich nicht selbst ergründen werde, nämlich die, daß dies allein der Kunst vorbehalten sei. Kein Wunder, wenn er dadurch gleich anfangs für das Werk gewonnen ward. Ohne Zweifel hat er oft und viel darin gelesen, man erkennt dies deutlich an den Wider¬ spiegelungen Schopenhauerscher Gedanken, die sich seitdem in Wort und Schrift bei ihm wahrnehmen lassen. Aber der siebzigjährige wurde damit keineswegs Schopenhcmerianer, ja er vermied sogar, wie es scheint absichtlich, von Schopen¬ hauer zu sprechen. Nur als der Philosoph, aus Italien zurückkehrend, wieder einmal (und zwar zum letzten Male) in Weimar eingekehrt war und Goethen besucht hatte, schrieb dieser in seine Annalen: „Ein Besuch Dr. Schopenhauers, eines meist verkannten, aber auch schwer zu lernenden verdienstvollen jungen Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung." Dies ist die letzte Äußerung Goethes über Schopenhauer. Merkwürdig sind die Schlu߬ worte, sie bezeichnen sein Verhältnis zu dem großen Denker vortrefflich. Es ist wohl anzunehmen, daß ihn die Schopenhcmersche Philosophie „aufgeregt" hatte, ohne ihn zu befriedigen. Seine Abneigung gegen die Philosophie überhaupt, den Pessimismus insbesondre, und sein Alter hielt ihn ab, tiefer in den Ge¬ dankengang Schopenhauers einzutreten. Er war im Laufe eines langen Lebens mit mehreren philosophischen Systemen in nahe Berührung gekommen. Der Lehrer seiner Jugend war Spinoza gewesen, dessen Pantheismus seinem grübeln¬ den Skeptizismus in wohlthuender Weise ein vorläufiges Ziel setzte. „Gott in *) „Schon der Baum ist nur ein systematisches Aggregat der zahllos wiederholten sprossenden Fasern."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/133>, abgerufen am 22.07.2024.