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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Fall Harnack.

dem letztern zu keinem andern Ergebnis führten, so versicherte er sich der
Übereinstimmung des gesamten Staatsministeriums mit dem von ihm gefaßten
Beschlusse, ungeachtet des entgegenstehenden Gutachtens des Oberkirchenrath
Harncick nach Berlin zu berufen und unterbreitete schließlich die Angelegenheit
Sr. Majestät dem Könige zur Entscheidung. Diese Entscheidung ist jetzt zu
Gunsten Harnacks ausgefallen.

Die außergewöhnlichen Maßnahmen des Kultusministers, der, obwohl er
die Versetzung eines Professors von einer preußischen Universität an die andre
selbständig zu vollziehen berechtigt ist und sonst auch stets selbständig vollzogen
hat, in diesem Falle sich veranlaßt sah, sich nicht nur der Übereinstimmung des
gesamten Staatsministeriums mit seinem Vorgehen zu versichern, sondern sogar
die Entscheidung in die Hände des Königs zu legen, weisen schon darauf hin,
daß der "Fall Harnack" keine bloße Personenfrage, sondern eine sehr bedeut¬
same Prinzipienfrage war. Und als solche ist er auch überall aufgefaßt wor¬
den, wie die immer wieder sich erneuernde ernste Erörterung in der Presse be¬
zeugt. Freilich hat die letztere nicht dazu beigetragen, die Frage, um welche
Prinzipien es sich dabei gehandelt hat, zur Klarheit zu bringen. Nicht nur
haben sich untergeordnete Gesichtspunkte vorgedrängt, wie der, daß es ein Wider¬
sinn sei, wenn der Minister in Berlin durch den Oberkirchenrat gehindert sein
soll, zu thun, was er in Marburg oder Kiel oder Göttingen unbeanstandet
habe thun dürfen, oder daß eine doch immerhin königliche, vielleicht sogar als
staatlich zu bezeichnende Behörde wie der Oberkirchenrat dem Minister ent¬
gegentrete. Unzuträglichkeiten der Verwaltungspraxis, wie groß sie auch sein
mögen, können gegen Prinzipien nicht aufkommen. Daß nun der Kultusminister
formell in seinem Rechte war, wenn er einen Professor der Theologie ungeachtet
des entgegenstehenden Votums der obersten Kirchenbehörde anstellte, ist zweifel¬
los. Die innere Berechtigung dieses Verfahrens ist es, die von der einen Seite
ebenso leidenschaftlich bestritten, wie von der andern behauptet wird.

Nun sind die streitenden Parteien vielfach über die Fragestellung einig,
daß es sich um einen Prinzipienkampf zwischen den Rechtsansprüchen der Kirche
auf der einen und des religionslosen Staates und der freien Wissenschaft auf
der andern Seite handle. So begreift es sich, daß auch solche Zeitungen sich
Harnacks angenommen haben, für die ein Unterschied zwischen der Theologie
Harnacks und des Oberkirchenrath im Grunde gar nicht besteht, weil sie eben
überhaupt auf antikirchlichen Standpunkte stehen und sich deshalb alles dessen
freuen, worüber die lautesten Stimmen aus der Kirche am meisten jammern.
Aber auch bessere Zeitungen haben die von der Kreuzzeitung, dem Neichsboten,
der Stöckerschen Kirchenzeitung u. a. formulirte falsche Fragestellung sich an¬
geeignet. Die falsche Fragestellung. Denn der Gegensatz zwischen Kirche auf der
einen, Staat und Wissenschaft auf der andern Seite ist eine falsche doktrinäre
Abstraktion, deren Verbreitung sich nur daraus begreift, daß die katholische Auf-


Der Fall Harnack.

dem letztern zu keinem andern Ergebnis führten, so versicherte er sich der
Übereinstimmung des gesamten Staatsministeriums mit dem von ihm gefaßten
Beschlusse, ungeachtet des entgegenstehenden Gutachtens des Oberkirchenrath
Harncick nach Berlin zu berufen und unterbreitete schließlich die Angelegenheit
Sr. Majestät dem Könige zur Entscheidung. Diese Entscheidung ist jetzt zu
Gunsten Harnacks ausgefallen.

Die außergewöhnlichen Maßnahmen des Kultusministers, der, obwohl er
die Versetzung eines Professors von einer preußischen Universität an die andre
selbständig zu vollziehen berechtigt ist und sonst auch stets selbständig vollzogen
hat, in diesem Falle sich veranlaßt sah, sich nicht nur der Übereinstimmung des
gesamten Staatsministeriums mit seinem Vorgehen zu versichern, sondern sogar
die Entscheidung in die Hände des Königs zu legen, weisen schon darauf hin,
daß der „Fall Harnack" keine bloße Personenfrage, sondern eine sehr bedeut¬
same Prinzipienfrage war. Und als solche ist er auch überall aufgefaßt wor¬
den, wie die immer wieder sich erneuernde ernste Erörterung in der Presse be¬
zeugt. Freilich hat die letztere nicht dazu beigetragen, die Frage, um welche
Prinzipien es sich dabei gehandelt hat, zur Klarheit zu bringen. Nicht nur
haben sich untergeordnete Gesichtspunkte vorgedrängt, wie der, daß es ein Wider¬
sinn sei, wenn der Minister in Berlin durch den Oberkirchenrat gehindert sein
soll, zu thun, was er in Marburg oder Kiel oder Göttingen unbeanstandet
habe thun dürfen, oder daß eine doch immerhin königliche, vielleicht sogar als
staatlich zu bezeichnende Behörde wie der Oberkirchenrat dem Minister ent¬
gegentrete. Unzuträglichkeiten der Verwaltungspraxis, wie groß sie auch sein
mögen, können gegen Prinzipien nicht aufkommen. Daß nun der Kultusminister
formell in seinem Rechte war, wenn er einen Professor der Theologie ungeachtet
des entgegenstehenden Votums der obersten Kirchenbehörde anstellte, ist zweifel¬
los. Die innere Berechtigung dieses Verfahrens ist es, die von der einen Seite
ebenso leidenschaftlich bestritten, wie von der andern behauptet wird.

Nun sind die streitenden Parteien vielfach über die Fragestellung einig,
daß es sich um einen Prinzipienkampf zwischen den Rechtsansprüchen der Kirche
auf der einen und des religionslosen Staates und der freien Wissenschaft auf
der andern Seite handle. So begreift es sich, daß auch solche Zeitungen sich
Harnacks angenommen haben, für die ein Unterschied zwischen der Theologie
Harnacks und des Oberkirchenrath im Grunde gar nicht besteht, weil sie eben
überhaupt auf antikirchlichen Standpunkte stehen und sich deshalb alles dessen
freuen, worüber die lautesten Stimmen aus der Kirche am meisten jammern.
Aber auch bessere Zeitungen haben die von der Kreuzzeitung, dem Neichsboten,
der Stöckerschen Kirchenzeitung u. a. formulirte falsche Fragestellung sich an¬
geeignet. Die falsche Fragestellung. Denn der Gegensatz zwischen Kirche auf der
einen, Staat und Wissenschaft auf der andern Seite ist eine falsche doktrinäre
Abstraktion, deren Verbreitung sich nur daraus begreift, daß die katholische Auf-


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[0106] Der Fall Harnack. dem letztern zu keinem andern Ergebnis führten, so versicherte er sich der Übereinstimmung des gesamten Staatsministeriums mit dem von ihm gefaßten Beschlusse, ungeachtet des entgegenstehenden Gutachtens des Oberkirchenrath Harncick nach Berlin zu berufen und unterbreitete schließlich die Angelegenheit Sr. Majestät dem Könige zur Entscheidung. Diese Entscheidung ist jetzt zu Gunsten Harnacks ausgefallen. Die außergewöhnlichen Maßnahmen des Kultusministers, der, obwohl er die Versetzung eines Professors von einer preußischen Universität an die andre selbständig zu vollziehen berechtigt ist und sonst auch stets selbständig vollzogen hat, in diesem Falle sich veranlaßt sah, sich nicht nur der Übereinstimmung des gesamten Staatsministeriums mit seinem Vorgehen zu versichern, sondern sogar die Entscheidung in die Hände des Königs zu legen, weisen schon darauf hin, daß der „Fall Harnack" keine bloße Personenfrage, sondern eine sehr bedeut¬ same Prinzipienfrage war. Und als solche ist er auch überall aufgefaßt wor¬ den, wie die immer wieder sich erneuernde ernste Erörterung in der Presse be¬ zeugt. Freilich hat die letztere nicht dazu beigetragen, die Frage, um welche Prinzipien es sich dabei gehandelt hat, zur Klarheit zu bringen. Nicht nur haben sich untergeordnete Gesichtspunkte vorgedrängt, wie der, daß es ein Wider¬ sinn sei, wenn der Minister in Berlin durch den Oberkirchenrat gehindert sein soll, zu thun, was er in Marburg oder Kiel oder Göttingen unbeanstandet habe thun dürfen, oder daß eine doch immerhin königliche, vielleicht sogar als staatlich zu bezeichnende Behörde wie der Oberkirchenrat dem Minister ent¬ gegentrete. Unzuträglichkeiten der Verwaltungspraxis, wie groß sie auch sein mögen, können gegen Prinzipien nicht aufkommen. Daß nun der Kultusminister formell in seinem Rechte war, wenn er einen Professor der Theologie ungeachtet des entgegenstehenden Votums der obersten Kirchenbehörde anstellte, ist zweifel¬ los. Die innere Berechtigung dieses Verfahrens ist es, die von der einen Seite ebenso leidenschaftlich bestritten, wie von der andern behauptet wird. Nun sind die streitenden Parteien vielfach über die Fragestellung einig, daß es sich um einen Prinzipienkampf zwischen den Rechtsansprüchen der Kirche auf der einen und des religionslosen Staates und der freien Wissenschaft auf der andern Seite handle. So begreift es sich, daß auch solche Zeitungen sich Harnacks angenommen haben, für die ein Unterschied zwischen der Theologie Harnacks und des Oberkirchenrath im Grunde gar nicht besteht, weil sie eben überhaupt auf antikirchlichen Standpunkte stehen und sich deshalb alles dessen freuen, worüber die lautesten Stimmen aus der Kirche am meisten jammern. Aber auch bessere Zeitungen haben die von der Kreuzzeitung, dem Neichsboten, der Stöckerschen Kirchenzeitung u. a. formulirte falsche Fragestellung sich an¬ geeignet. Die falsche Fragestellung. Denn der Gegensatz zwischen Kirche auf der einen, Staat und Wissenschaft auf der andern Seite ist eine falsche doktrinäre Abstraktion, deren Verbreitung sich nur daraus begreift, daß die katholische Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/106>, abgerufen am 22.07.2024.