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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Fall Harnack

^?M.<urch allerhöchste Entscheidung ist endlich eine Angelegenheit zum
Abschlüsse gebracht worden, die seit längerer Zeit die weitesten
Kreise aufs lebhafteste beschäftigt hat. Seit Monaten war der
"Fall Harnack" ein stehendes Thema in den politischen wie in
den kirchlichen Blättern. Für den Lehrstuhl der Kirchengeschichte
an der Universität Berlin hatte die dortige theologische Fakultät als einzigen
Kandidaten den Marburger Kirchenhistoriker Adolf Harnack, anerkanntermaßen
eine wissenschaftliche Kraft ersten Ranges, dem Kultusminister in Vorschlag
gebracht. Dieser, welcher erst vor zwei Jahren Harnacks Berufung von Gießen
nach Marburg bewirkt hatte, nahm den Vorschlag der Fakultät an. Nun
räumt eine königliche Kabinetsordre von 1855 der obersten Behörde der
preußischen Landeskirche, d. h. der unirten Kirche der alten Provinzen,
dem Ev. Oberkirchenrat, das Recht ein, bei der erstmaligen Anstellung von
Professoren der evangelischen Theologie an den preußischen, d. h. also jetzt
den altpreußischen Universitäten, über Lehre und Wandel derselben sich gutacht¬
lich zu äußern. Ein Einspruchsrecht, von dem öfter in der Presse die Rede
gewesen ist, ist ihm damit keineswegs verliehen worden. Der Oberkirchen¬
rat sprach sich nun in seinem motivirten, mit der Mehrheit von vier gegen
drei Stimmen zu stände gekommenen Gutachten gegen Harnacks Berufung aus.
Der Kultusminister sah sich durch dieses Gutachten nicht bewogen, von seiner
Absicht abzustehen, da seine auch bei angesehenen kirchlichen Instanzen eingezo¬
genen Informationen über Harnacks theologische Bedeutung und Stellung, über
den Charakter seiner Wirksamkeit in praktisch-kirchlicher Hinsicht und über die
Art der kirchlichen Stellung und Thätigkeit seiner Schüler anders laute¬
ten als das Gutachten des Oberkirchenrath. Da erneute Verhandlungen mit


Grenzboten IV. 1883. 13


Der Fall Harnack

^?M.<urch allerhöchste Entscheidung ist endlich eine Angelegenheit zum
Abschlüsse gebracht worden, die seit längerer Zeit die weitesten
Kreise aufs lebhafteste beschäftigt hat. Seit Monaten war der
„Fall Harnack" ein stehendes Thema in den politischen wie in
den kirchlichen Blättern. Für den Lehrstuhl der Kirchengeschichte
an der Universität Berlin hatte die dortige theologische Fakultät als einzigen
Kandidaten den Marburger Kirchenhistoriker Adolf Harnack, anerkanntermaßen
eine wissenschaftliche Kraft ersten Ranges, dem Kultusminister in Vorschlag
gebracht. Dieser, welcher erst vor zwei Jahren Harnacks Berufung von Gießen
nach Marburg bewirkt hatte, nahm den Vorschlag der Fakultät an. Nun
räumt eine königliche Kabinetsordre von 1855 der obersten Behörde der
preußischen Landeskirche, d. h. der unirten Kirche der alten Provinzen,
dem Ev. Oberkirchenrat, das Recht ein, bei der erstmaligen Anstellung von
Professoren der evangelischen Theologie an den preußischen, d. h. also jetzt
den altpreußischen Universitäten, über Lehre und Wandel derselben sich gutacht¬
lich zu äußern. Ein Einspruchsrecht, von dem öfter in der Presse die Rede
gewesen ist, ist ihm damit keineswegs verliehen worden. Der Oberkirchen¬
rat sprach sich nun in seinem motivirten, mit der Mehrheit von vier gegen
drei Stimmen zu stände gekommenen Gutachten gegen Harnacks Berufung aus.
Der Kultusminister sah sich durch dieses Gutachten nicht bewogen, von seiner
Absicht abzustehen, da seine auch bei angesehenen kirchlichen Instanzen eingezo¬
genen Informationen über Harnacks theologische Bedeutung und Stellung, über
den Charakter seiner Wirksamkeit in praktisch-kirchlicher Hinsicht und über die
Art der kirchlichen Stellung und Thätigkeit seiner Schüler anders laute¬
ten als das Gutachten des Oberkirchenrath. Da erneute Verhandlungen mit


Grenzboten IV. 1883. 13
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[0105] [Abbildung] Der Fall Harnack ^?M.<urch allerhöchste Entscheidung ist endlich eine Angelegenheit zum Abschlüsse gebracht worden, die seit längerer Zeit die weitesten Kreise aufs lebhafteste beschäftigt hat. Seit Monaten war der „Fall Harnack" ein stehendes Thema in den politischen wie in den kirchlichen Blättern. Für den Lehrstuhl der Kirchengeschichte an der Universität Berlin hatte die dortige theologische Fakultät als einzigen Kandidaten den Marburger Kirchenhistoriker Adolf Harnack, anerkanntermaßen eine wissenschaftliche Kraft ersten Ranges, dem Kultusminister in Vorschlag gebracht. Dieser, welcher erst vor zwei Jahren Harnacks Berufung von Gießen nach Marburg bewirkt hatte, nahm den Vorschlag der Fakultät an. Nun räumt eine königliche Kabinetsordre von 1855 der obersten Behörde der preußischen Landeskirche, d. h. der unirten Kirche der alten Provinzen, dem Ev. Oberkirchenrat, das Recht ein, bei der erstmaligen Anstellung von Professoren der evangelischen Theologie an den preußischen, d. h. also jetzt den altpreußischen Universitäten, über Lehre und Wandel derselben sich gutacht¬ lich zu äußern. Ein Einspruchsrecht, von dem öfter in der Presse die Rede gewesen ist, ist ihm damit keineswegs verliehen worden. Der Oberkirchen¬ rat sprach sich nun in seinem motivirten, mit der Mehrheit von vier gegen drei Stimmen zu stände gekommenen Gutachten gegen Harnacks Berufung aus. Der Kultusminister sah sich durch dieses Gutachten nicht bewogen, von seiner Absicht abzustehen, da seine auch bei angesehenen kirchlichen Instanzen eingezo¬ genen Informationen über Harnacks theologische Bedeutung und Stellung, über den Charakter seiner Wirksamkeit in praktisch-kirchlicher Hinsicht und über die Art der kirchlichen Stellung und Thätigkeit seiner Schüler anders laute¬ ten als das Gutachten des Oberkirchenrath. Da erneute Verhandlungen mit Grenzboten IV. 1883. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/105>, abgerufen am 22.07.2024.