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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Fall Harnack.

fassung der Kirche diesen Gegensatz zu Staat und Wissenschaft mit sich führt,
und daß man diesen Gegensatz fälschlich verallgemeinert hat. Die Wissenschaft
erschafft ihre Gegenstände nicht, sondern sucht sie zu verstehen. Liegt ihr Gegen¬
stand aber auf dem Gebiete des höhern Geisteslebens, wo es sich um die höchsten
Güter des persönlichen Menschen handelt, da setzt das Verständnis, das die
Wissenschaft erstrebt, voraus, daß der Forscher mit seiner Person, mit seiner
Gesinnung, seiner Empfindung an der geistigen Bewegung, deren Wesen er er¬
forschen will, innerlich teilnimmt. Wem Musik ein störendes Geräusch ist, der kann
kein Musikforscher sein. Wer kein höheres Gut kennt, als das sinnliche Behagen
des Einzelnen, ist unfähig als Historiker die Kämpfe der Menschheit um ideale
Güter zu begreifen. Ohne solchen liebevollen persönlichen Anteil an dem Gegen¬
stande kann man nur Kärrnerarbeit an seiner wissenschaftlichen Erforschung thun.
So kann auch nur der ein evangelischer Theologe sein, der sich in seinem in¬
nersten Leben als Glied der evangelischen Kirche weiß und will. Die Freiheit
der Wissenschaft aber schließt nicht die innere Gebundenheit durch ihren Gegen¬
stand, sondern die Gebundenheit durch äußere Gesetze aus. Und wenn der
Staat die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre auch in den Fällen schützt,
wo jene innere Gebundenheit offenbar fehlt, so thut er es deshalb, weil der
Schaden, den eine falsche Wissenschaft möglicherweise anstiftet, gegen den Segen
nicht aufkommen kann, den die wahre Wissenschaft mit sich führt, und weil für
diese die Freiheit von äußern Gesetzen die Lebensluft ist. Um des höhern Gu¬
tes willen wird das geringere Übel ertragen. Wenn aber der Staat die Wissen¬
schaft an seinen Universitäten pflegt, so thut er es, oder soll er es thun, um
das vorhandene Kulturleben des Volkes, dessen rechtliche Ordnung er selbst ist,
in seiner gesunden Selbstbewegung zu fördern, nicht um es künstlich erst zu er¬
zeugen oder es willkürlich in fremde Bahnen zu lenken. Darum wird er bei
der Anstellung der Universitätslehrer in einer Reihe von Fächern nicht bloß
auf ihr technisches Wissen und Können, sondern auch darauf Rücksicht nehmen,
ob sie jenes innerliche Verständnis für den Gegenstand ihrer Wissenschaft be¬
sitzen. Und wo er an seinen Universitäten theologische Fakultäten einrichtet,
an denen die künftigen Geistlichen einer Kirche gebildet werden, so thut er es,
weil er die bestimmte Religion als eins der hauptsächlichsten Kulturgüter seines
Volkes, und die kirchliche Gemeinschaft als die Trägerin dieses Gutes schätzt,
und weil er ihnen hierdurch Förderung zu Teil lassen werden will. Wie ver¬
kehrt es unter unsern heutigen Verhältnissen wäre, eine Staatsreligion künstlich
erzeugen oder die innere Entwicklung der Kirche willkürlich nach fremden Ge¬
sichtspunkten bestimmen zu wollen, das hat die Erfahrung zur Genüge gezeigt.
So wird denn bei der Anstellung theologischer Professoren nicht bloß ihre Be¬
gabung und Gelehrsamkeit, sondern auch die kirchliche Rücksicht entscheidend in
die Wagschale fallen, die Rücksicht darauf, ob sie befähigt sind, ihre Schüler
in einer ihrem künftigen Berufe entsprechenden Weise zu bilden. Und der Mi-


Der Fall Harnack.

fassung der Kirche diesen Gegensatz zu Staat und Wissenschaft mit sich führt,
und daß man diesen Gegensatz fälschlich verallgemeinert hat. Die Wissenschaft
erschafft ihre Gegenstände nicht, sondern sucht sie zu verstehen. Liegt ihr Gegen¬
stand aber auf dem Gebiete des höhern Geisteslebens, wo es sich um die höchsten
Güter des persönlichen Menschen handelt, da setzt das Verständnis, das die
Wissenschaft erstrebt, voraus, daß der Forscher mit seiner Person, mit seiner
Gesinnung, seiner Empfindung an der geistigen Bewegung, deren Wesen er er¬
forschen will, innerlich teilnimmt. Wem Musik ein störendes Geräusch ist, der kann
kein Musikforscher sein. Wer kein höheres Gut kennt, als das sinnliche Behagen
des Einzelnen, ist unfähig als Historiker die Kämpfe der Menschheit um ideale
Güter zu begreifen. Ohne solchen liebevollen persönlichen Anteil an dem Gegen¬
stande kann man nur Kärrnerarbeit an seiner wissenschaftlichen Erforschung thun.
So kann auch nur der ein evangelischer Theologe sein, der sich in seinem in¬
nersten Leben als Glied der evangelischen Kirche weiß und will. Die Freiheit
der Wissenschaft aber schließt nicht die innere Gebundenheit durch ihren Gegen¬
stand, sondern die Gebundenheit durch äußere Gesetze aus. Und wenn der
Staat die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre auch in den Fällen schützt,
wo jene innere Gebundenheit offenbar fehlt, so thut er es deshalb, weil der
Schaden, den eine falsche Wissenschaft möglicherweise anstiftet, gegen den Segen
nicht aufkommen kann, den die wahre Wissenschaft mit sich führt, und weil für
diese die Freiheit von äußern Gesetzen die Lebensluft ist. Um des höhern Gu¬
tes willen wird das geringere Übel ertragen. Wenn aber der Staat die Wissen¬
schaft an seinen Universitäten pflegt, so thut er es, oder soll er es thun, um
das vorhandene Kulturleben des Volkes, dessen rechtliche Ordnung er selbst ist,
in seiner gesunden Selbstbewegung zu fördern, nicht um es künstlich erst zu er¬
zeugen oder es willkürlich in fremde Bahnen zu lenken. Darum wird er bei
der Anstellung der Universitätslehrer in einer Reihe von Fächern nicht bloß
auf ihr technisches Wissen und Können, sondern auch darauf Rücksicht nehmen,
ob sie jenes innerliche Verständnis für den Gegenstand ihrer Wissenschaft be¬
sitzen. Und wo er an seinen Universitäten theologische Fakultäten einrichtet,
an denen die künftigen Geistlichen einer Kirche gebildet werden, so thut er es,
weil er die bestimmte Religion als eins der hauptsächlichsten Kulturgüter seines
Volkes, und die kirchliche Gemeinschaft als die Trägerin dieses Gutes schätzt,
und weil er ihnen hierdurch Förderung zu Teil lassen werden will. Wie ver¬
kehrt es unter unsern heutigen Verhältnissen wäre, eine Staatsreligion künstlich
erzeugen oder die innere Entwicklung der Kirche willkürlich nach fremden Ge¬
sichtspunkten bestimmen zu wollen, das hat die Erfahrung zur Genüge gezeigt.
So wird denn bei der Anstellung theologischer Professoren nicht bloß ihre Be¬
gabung und Gelehrsamkeit, sondern auch die kirchliche Rücksicht entscheidend in
die Wagschale fallen, die Rücksicht darauf, ob sie befähigt sind, ihre Schüler
in einer ihrem künftigen Berufe entsprechenden Weise zu bilden. Und der Mi-


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[0107] Der Fall Harnack. fassung der Kirche diesen Gegensatz zu Staat und Wissenschaft mit sich führt, und daß man diesen Gegensatz fälschlich verallgemeinert hat. Die Wissenschaft erschafft ihre Gegenstände nicht, sondern sucht sie zu verstehen. Liegt ihr Gegen¬ stand aber auf dem Gebiete des höhern Geisteslebens, wo es sich um die höchsten Güter des persönlichen Menschen handelt, da setzt das Verständnis, das die Wissenschaft erstrebt, voraus, daß der Forscher mit seiner Person, mit seiner Gesinnung, seiner Empfindung an der geistigen Bewegung, deren Wesen er er¬ forschen will, innerlich teilnimmt. Wem Musik ein störendes Geräusch ist, der kann kein Musikforscher sein. Wer kein höheres Gut kennt, als das sinnliche Behagen des Einzelnen, ist unfähig als Historiker die Kämpfe der Menschheit um ideale Güter zu begreifen. Ohne solchen liebevollen persönlichen Anteil an dem Gegen¬ stande kann man nur Kärrnerarbeit an seiner wissenschaftlichen Erforschung thun. So kann auch nur der ein evangelischer Theologe sein, der sich in seinem in¬ nersten Leben als Glied der evangelischen Kirche weiß und will. Die Freiheit der Wissenschaft aber schließt nicht die innere Gebundenheit durch ihren Gegen¬ stand, sondern die Gebundenheit durch äußere Gesetze aus. Und wenn der Staat die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre auch in den Fällen schützt, wo jene innere Gebundenheit offenbar fehlt, so thut er es deshalb, weil der Schaden, den eine falsche Wissenschaft möglicherweise anstiftet, gegen den Segen nicht aufkommen kann, den die wahre Wissenschaft mit sich führt, und weil für diese die Freiheit von äußern Gesetzen die Lebensluft ist. Um des höhern Gu¬ tes willen wird das geringere Übel ertragen. Wenn aber der Staat die Wissen¬ schaft an seinen Universitäten pflegt, so thut er es, oder soll er es thun, um das vorhandene Kulturleben des Volkes, dessen rechtliche Ordnung er selbst ist, in seiner gesunden Selbstbewegung zu fördern, nicht um es künstlich erst zu er¬ zeugen oder es willkürlich in fremde Bahnen zu lenken. Darum wird er bei der Anstellung der Universitätslehrer in einer Reihe von Fächern nicht bloß auf ihr technisches Wissen und Können, sondern auch darauf Rücksicht nehmen, ob sie jenes innerliche Verständnis für den Gegenstand ihrer Wissenschaft be¬ sitzen. Und wo er an seinen Universitäten theologische Fakultäten einrichtet, an denen die künftigen Geistlichen einer Kirche gebildet werden, so thut er es, weil er die bestimmte Religion als eins der hauptsächlichsten Kulturgüter seines Volkes, und die kirchliche Gemeinschaft als die Trägerin dieses Gutes schätzt, und weil er ihnen hierdurch Förderung zu Teil lassen werden will. Wie ver¬ kehrt es unter unsern heutigen Verhältnissen wäre, eine Staatsreligion künstlich erzeugen oder die innere Entwicklung der Kirche willkürlich nach fremden Ge¬ sichtspunkten bestimmen zu wollen, das hat die Erfahrung zur Genüge gezeigt. So wird denn bei der Anstellung theologischer Professoren nicht bloß ihre Be¬ gabung und Gelehrsamkeit, sondern auch die kirchliche Rücksicht entscheidend in die Wagschale fallen, die Rücksicht darauf, ob sie befähigt sind, ihre Schüler in einer ihrem künftigen Berufe entsprechenden Weise zu bilden. Und der Mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/107>, abgerufen am 22.07.2024.