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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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in einer Richtung und zu einem Ziele einander in die Hand arbeiteten. Aber
indem ihr Gebände glücklich fertig wurde, doch nur ein luftiges, wie in den
Wolken, brach auch das Sehnen und Bedürfnis darnach aus, daß ihm nun ein
fester Bau auf dem Boden würde, aus den zerfallenen Baustücken des alten
Reiches herzustellen nach neuem Grundriß. Ein Wort Th, Körners im Ab¬
schiede von Wien vom Jahre 1813, mit dem er sich von seiner bisherigen
Kunstwelt verabschiedet und vor ihr rechtfertigt, daß er sich und ihr nicht un¬
treu werde:


Laßt mich der Kunst ein Vaterland erfechten,
Und gält' es auch das clare wärmste Blut,

dies Wort des Jünglings, von edelstem eignen" Aufschwung eingegeben, bezeichnet
genau die Aufgabe, wie sie von der deutschen Geschichte gestellt war, und nun
ist sie denn gelöst.

Überhaupt war in diesen Tagen, wo die deutsche Geschichte sich wie zu
einem zugleich abschließenden und weiterweisenden Knoten zusammenschloß, der
Geist angeregt und eingeladen, zurückzudenken eben an dem Lebensfaden entlang,
der nun da als fertig abgeschnitten wurde vom Rocken des Ganzen. Denkt
sichs doch ganz anders noch, wenn der Geist von tiefer, gesättigter Stimmung
getragen ist, als mit bloßen Gedanken, was man sonst so nennt, weil nur
Stimmung ein Ganzes als solches erfassen kann. Und welches Ganze war hier
zu überdenke"! Wie weit und umfassend und bedeutsam führt jener Lebens¬
faden in das Werden zurück, aus dem unser Heute stammt, von einer Höhe,
die in unsrer Geschichte kaum ihres Gleichen hat, über seltsame Absätze hinweg
in eine Tiefe, die schon damals die tiefe Erniedrigung Deutschlands genannt
wurde, nachher gesteigert zur tiefsten Erniedrigung. Aber wenn man noch weiter
zurück denkt, tritt einem solche Erniedrigung auch um Jahrhunderte rückwärts
schon entgegen, bei der sich einem früher das Herz zuschnürte, wie seit 1870
doch so uicht mehr. Was im Faust in Auerbachs Keller Frosch singt: "Das liebe
heilge römsche Reich, wie hales nur noch zusammen?" Worte, die auch der
Censor durchließ, so wenig galt an Amtsstelle das Reich noch -- diese ver¬
wunderte Frage paßt schon für unser fünfzehntes Jahrhundert oft genug als
rechtes, weltgeschichtliches Motto. Mich führte der Zufall in jene Zeit gerade
an dem Tage, wo der Kronprinz nun als Kaiser Friedrich III. wieder auf den
deutschen Boden kam, ins Jahr 1473 nach Trier, wo der damalige Kaiser
Friedrich III. als Gast Karls des Kühnen war, zum Zwecke wichtigster poli¬
tischer Verhandlungen, aber vor dem Herzog eine so traurige Rolle spielte als
Vertreter des Reiches, daß er es vorzog, bei nächtlicher Weile unvermutet ab¬
zureisen. Schärfer konnte einem der Abstand von damals und heute nicht zu
Gefühl kommen.

Die alte große Idee des römischen Reiches von Karl dem Großen her,


in einer Richtung und zu einem Ziele einander in die Hand arbeiteten. Aber
indem ihr Gebände glücklich fertig wurde, doch nur ein luftiges, wie in den
Wolken, brach auch das Sehnen und Bedürfnis darnach aus, daß ihm nun ein
fester Bau auf dem Boden würde, aus den zerfallenen Baustücken des alten
Reiches herzustellen nach neuem Grundriß. Ein Wort Th, Körners im Ab¬
schiede von Wien vom Jahre 1813, mit dem er sich von seiner bisherigen
Kunstwelt verabschiedet und vor ihr rechtfertigt, daß er sich und ihr nicht un¬
treu werde:


Laßt mich der Kunst ein Vaterland erfechten,
Und gält' es auch das clare wärmste Blut,

dies Wort des Jünglings, von edelstem eignen« Aufschwung eingegeben, bezeichnet
genau die Aufgabe, wie sie von der deutschen Geschichte gestellt war, und nun
ist sie denn gelöst.

Überhaupt war in diesen Tagen, wo die deutsche Geschichte sich wie zu
einem zugleich abschließenden und weiterweisenden Knoten zusammenschloß, der
Geist angeregt und eingeladen, zurückzudenken eben an dem Lebensfaden entlang,
der nun da als fertig abgeschnitten wurde vom Rocken des Ganzen. Denkt
sichs doch ganz anders noch, wenn der Geist von tiefer, gesättigter Stimmung
getragen ist, als mit bloßen Gedanken, was man sonst so nennt, weil nur
Stimmung ein Ganzes als solches erfassen kann. Und welches Ganze war hier
zu überdenke»! Wie weit und umfassend und bedeutsam führt jener Lebens¬
faden in das Werden zurück, aus dem unser Heute stammt, von einer Höhe,
die in unsrer Geschichte kaum ihres Gleichen hat, über seltsame Absätze hinweg
in eine Tiefe, die schon damals die tiefe Erniedrigung Deutschlands genannt
wurde, nachher gesteigert zur tiefsten Erniedrigung. Aber wenn man noch weiter
zurück denkt, tritt einem solche Erniedrigung auch um Jahrhunderte rückwärts
schon entgegen, bei der sich einem früher das Herz zuschnürte, wie seit 1870
doch so uicht mehr. Was im Faust in Auerbachs Keller Frosch singt: „Das liebe
heilge römsche Reich, wie hales nur noch zusammen?" Worte, die auch der
Censor durchließ, so wenig galt an Amtsstelle das Reich noch — diese ver¬
wunderte Frage paßt schon für unser fünfzehntes Jahrhundert oft genug als
rechtes, weltgeschichtliches Motto. Mich führte der Zufall in jene Zeit gerade
an dem Tage, wo der Kronprinz nun als Kaiser Friedrich III. wieder auf den
deutschen Boden kam, ins Jahr 1473 nach Trier, wo der damalige Kaiser
Friedrich III. als Gast Karls des Kühnen war, zum Zwecke wichtigster poli¬
tischer Verhandlungen, aber vor dem Herzog eine so traurige Rolle spielte als
Vertreter des Reiches, daß er es vorzog, bei nächtlicher Weile unvermutet ab¬
zureisen. Schärfer konnte einem der Abstand von damals und heute nicht zu
Gefühl kommen.

Die alte große Idee des römischen Reiches von Karl dem Großen her,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/94>, abgerufen am 01.09.2024.