Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosoxhen,

daß es eigentlich die ganze Christenheit, ja die ganze Welt umspannen und zu
einem Ganzen zusammenhalten solle, eine Idee, die nicht leben und nicht sterben
konnte, aber immer mehr ins Sterben kam, wie fern liegt sie nun der Zeit.
Und doch konnte man in diesen Tagen daran erinnert werden, als ob sie mit
ihrem besten Kern wieder mit ausgelebt wäre, aber in gesunder Weise, unbewußt
und ungewollt. Denn an der Bahre Kaiser Wilhelms und bei seinem Leichen¬
begängnis offenbarte sich über Erwarten eine Teilnahme aller europäischen
Staaten und Völker, fielen Äußerungen in Blättern wie aus amtlichen Munde,
als ob Europa überhaupt den als verloren empfände, der als Schirmvogt des
allgemeinen Friedens und Gedeihens unentbehrlich geworden war. Ein solcher
Friedensfürst nach solchen Siegen! Nun, und dessen sind wir freudig sicher,
fein Nachfolger tritt in diesen selben Sinn ein wie in ein teures Vermächtnis,
und wir Deutschen alle mit ihm.

Überhaupt ist das der Gesichtspunkt, in der ganze Massen durch das Er¬
eignis aufgeregter Gedanken und Empfindungen von selbst ihren rechten Schluß
finden, daß wir damit in ein Vermächtnis, eintreten mit seinen Rechten und
Pflichten, die uns der Genius der Nation und der Weltgeschichte als Erben
Kaiser Wilhelms überweist. Es war in den gehobenen Stunden dieser Tage
eine und dieselbe Empfindung, die dem Augenblicke zugekehrt Schmerz und
Trauer war, der Zeit und Zukunft zugewendet aber von selbst zu solchem Ent¬
schluß und Willen wurde, bewußt oder unbewußt in Allen. Fürst Bismarck
schloß mit dem Gedanken dieses Vermächtnisses seine Todesmeldung am 9. März
im Reichstage ab: "Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale Ehrgefühl, vor
allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes,
die in dem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzerstörbares
Erbteil der Nation sein, welches der aus unsrer Mitte geschiedene geliebte Kaiser
uns hinterlassen hat. Ich hoffe zu Gott, daß dieses Erbteil bei uns allen,
die wir an den Geschäften des Vaterlandes mitzuwirken haben, in Krieg und
Frieden, in Heldenmut, in Arbeitsamkeit, in Pflichttreue treu bewahrt wird."
Wer konnte auch so befugt und berufen sein als Bismarck, zum Reichstage und
zum Reiche so zu reden, zur Gegenwart und zur Zukunft, auch das bezeichnete
die einzige Höhe des Augenblicks aus tiefster Trauer gewonnen. Aber eigentlich
sprach doch durch ihn die min stumme Heldengestalt des Kaisers selbst so zur
Nation, und sie wird so weiter sprechen und wirken, das ist auch von andern
Rednern und in Tagesblättern in verschiedenster Weise gesagt oder angedeutet
worden. In dem Nachrufe in der Münchner Allgemeinen Zeitung vom 10. März
heißt es: "In frischerer, lebensvollerer Kraft, als das versteinerte Bild Kaiser
Rothbarts, mag der erste Kaiser des neuen Reiches im Herzen des deutschen
Volkes fortleben. Denn Wilhelm von Hohenzollern war die leibhafteste Ver¬
körperung jener Tugend, welche seit den Zeiten der alten Heldensagen als die
erste und beste der Deutschen gepriesen wird. Als das Bewundernswerteste an


TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosoxhen,

daß es eigentlich die ganze Christenheit, ja die ganze Welt umspannen und zu
einem Ganzen zusammenhalten solle, eine Idee, die nicht leben und nicht sterben
konnte, aber immer mehr ins Sterben kam, wie fern liegt sie nun der Zeit.
Und doch konnte man in diesen Tagen daran erinnert werden, als ob sie mit
ihrem besten Kern wieder mit ausgelebt wäre, aber in gesunder Weise, unbewußt
und ungewollt. Denn an der Bahre Kaiser Wilhelms und bei seinem Leichen¬
begängnis offenbarte sich über Erwarten eine Teilnahme aller europäischen
Staaten und Völker, fielen Äußerungen in Blättern wie aus amtlichen Munde,
als ob Europa überhaupt den als verloren empfände, der als Schirmvogt des
allgemeinen Friedens und Gedeihens unentbehrlich geworden war. Ein solcher
Friedensfürst nach solchen Siegen! Nun, und dessen sind wir freudig sicher,
fein Nachfolger tritt in diesen selben Sinn ein wie in ein teures Vermächtnis,
und wir Deutschen alle mit ihm.

Überhaupt ist das der Gesichtspunkt, in der ganze Massen durch das Er¬
eignis aufgeregter Gedanken und Empfindungen von selbst ihren rechten Schluß
finden, daß wir damit in ein Vermächtnis, eintreten mit seinen Rechten und
Pflichten, die uns der Genius der Nation und der Weltgeschichte als Erben
Kaiser Wilhelms überweist. Es war in den gehobenen Stunden dieser Tage
eine und dieselbe Empfindung, die dem Augenblicke zugekehrt Schmerz und
Trauer war, der Zeit und Zukunft zugewendet aber von selbst zu solchem Ent¬
schluß und Willen wurde, bewußt oder unbewußt in Allen. Fürst Bismarck
schloß mit dem Gedanken dieses Vermächtnisses seine Todesmeldung am 9. März
im Reichstage ab: „Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale Ehrgefühl, vor
allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes,
die in dem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzerstörbares
Erbteil der Nation sein, welches der aus unsrer Mitte geschiedene geliebte Kaiser
uns hinterlassen hat. Ich hoffe zu Gott, daß dieses Erbteil bei uns allen,
die wir an den Geschäften des Vaterlandes mitzuwirken haben, in Krieg und
Frieden, in Heldenmut, in Arbeitsamkeit, in Pflichttreue treu bewahrt wird."
Wer konnte auch so befugt und berufen sein als Bismarck, zum Reichstage und
zum Reiche so zu reden, zur Gegenwart und zur Zukunft, auch das bezeichnete
die einzige Höhe des Augenblicks aus tiefster Trauer gewonnen. Aber eigentlich
sprach doch durch ihn die min stumme Heldengestalt des Kaisers selbst so zur
Nation, und sie wird so weiter sprechen und wirken, das ist auch von andern
Rednern und in Tagesblättern in verschiedenster Weise gesagt oder angedeutet
worden. In dem Nachrufe in der Münchner Allgemeinen Zeitung vom 10. März
heißt es: „In frischerer, lebensvollerer Kraft, als das versteinerte Bild Kaiser
Rothbarts, mag der erste Kaiser des neuen Reiches im Herzen des deutschen
Volkes fortleben. Denn Wilhelm von Hohenzollern war die leibhafteste Ver¬
körperung jener Tugend, welche seit den Zeiten der alten Heldensagen als die
erste und beste der Deutschen gepriesen wird. Als das Bewundernswerteste an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202872"/>
          <fw type="header" place="top"> TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosoxhen,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> daß es eigentlich die ganze Christenheit, ja die ganze Welt umspannen und zu<lb/>
einem Ganzen zusammenhalten solle, eine Idee, die nicht leben und nicht sterben<lb/>
konnte, aber immer mehr ins Sterben kam, wie fern liegt sie nun der Zeit.<lb/>
Und doch konnte man in diesen Tagen daran erinnert werden, als ob sie mit<lb/>
ihrem besten Kern wieder mit ausgelebt wäre, aber in gesunder Weise, unbewußt<lb/>
und ungewollt. Denn an der Bahre Kaiser Wilhelms und bei seinem Leichen¬<lb/>
begängnis offenbarte sich über Erwarten eine Teilnahme aller europäischen<lb/>
Staaten und Völker, fielen Äußerungen in Blättern wie aus amtlichen Munde,<lb/>
als ob Europa überhaupt den als verloren empfände, der als Schirmvogt des<lb/>
allgemeinen Friedens und Gedeihens unentbehrlich geworden war. Ein solcher<lb/>
Friedensfürst nach solchen Siegen! Nun, und dessen sind wir freudig sicher,<lb/>
fein Nachfolger tritt in diesen selben Sinn ein wie in ein teures Vermächtnis,<lb/>
und wir Deutschen alle mit ihm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285" next="#ID_286"> Überhaupt ist das der Gesichtspunkt, in der ganze Massen durch das Er¬<lb/>
eignis aufgeregter Gedanken und Empfindungen von selbst ihren rechten Schluß<lb/>
finden, daß wir damit in ein Vermächtnis, eintreten mit seinen Rechten und<lb/>
Pflichten, die uns der Genius der Nation und der Weltgeschichte als Erben<lb/>
Kaiser Wilhelms überweist. Es war in den gehobenen Stunden dieser Tage<lb/>
eine und dieselbe Empfindung, die dem Augenblicke zugekehrt Schmerz und<lb/>
Trauer war, der Zeit und Zukunft zugewendet aber von selbst zu solchem Ent¬<lb/>
schluß und Willen wurde, bewußt oder unbewußt in Allen. Fürst Bismarck<lb/>
schloß mit dem Gedanken dieses Vermächtnisses seine Todesmeldung am 9. März<lb/>
im Reichstage ab: &#x201E;Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale Ehrgefühl, vor<lb/>
allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes,<lb/>
die in dem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzerstörbares<lb/>
Erbteil der Nation sein, welches der aus unsrer Mitte geschiedene geliebte Kaiser<lb/>
uns hinterlassen hat. Ich hoffe zu Gott, daß dieses Erbteil bei uns allen,<lb/>
die wir an den Geschäften des Vaterlandes mitzuwirken haben, in Krieg und<lb/>
Frieden, in Heldenmut, in Arbeitsamkeit, in Pflichttreue treu bewahrt wird."<lb/>
Wer konnte auch so befugt und berufen sein als Bismarck, zum Reichstage und<lb/>
zum Reiche so zu reden, zur Gegenwart und zur Zukunft, auch das bezeichnete<lb/>
die einzige Höhe des Augenblicks aus tiefster Trauer gewonnen. Aber eigentlich<lb/>
sprach doch durch ihn die min stumme Heldengestalt des Kaisers selbst so zur<lb/>
Nation, und sie wird so weiter sprechen und wirken, das ist auch von andern<lb/>
Rednern und in Tagesblättern in verschiedenster Weise gesagt oder angedeutet<lb/>
worden. In dem Nachrufe in der Münchner Allgemeinen Zeitung vom 10. März<lb/>
heißt es: &#x201E;In frischerer, lebensvollerer Kraft, als das versteinerte Bild Kaiser<lb/>
Rothbarts, mag der erste Kaiser des neuen Reiches im Herzen des deutschen<lb/>
Volkes fortleben. Denn Wilhelm von Hohenzollern war die leibhafteste Ver¬<lb/>
körperung jener Tugend, welche seit den Zeiten der alten Heldensagen als die<lb/>
erste und beste der Deutschen gepriesen wird. Als das Bewundernswerteste an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] TagebuchblLtter eines Sonntagsphilosoxhen, daß es eigentlich die ganze Christenheit, ja die ganze Welt umspannen und zu einem Ganzen zusammenhalten solle, eine Idee, die nicht leben und nicht sterben konnte, aber immer mehr ins Sterben kam, wie fern liegt sie nun der Zeit. Und doch konnte man in diesen Tagen daran erinnert werden, als ob sie mit ihrem besten Kern wieder mit ausgelebt wäre, aber in gesunder Weise, unbewußt und ungewollt. Denn an der Bahre Kaiser Wilhelms und bei seinem Leichen¬ begängnis offenbarte sich über Erwarten eine Teilnahme aller europäischen Staaten und Völker, fielen Äußerungen in Blättern wie aus amtlichen Munde, als ob Europa überhaupt den als verloren empfände, der als Schirmvogt des allgemeinen Friedens und Gedeihens unentbehrlich geworden war. Ein solcher Friedensfürst nach solchen Siegen! Nun, und dessen sind wir freudig sicher, fein Nachfolger tritt in diesen selben Sinn ein wie in ein teures Vermächtnis, und wir Deutschen alle mit ihm. Überhaupt ist das der Gesichtspunkt, in der ganze Massen durch das Er¬ eignis aufgeregter Gedanken und Empfindungen von selbst ihren rechten Schluß finden, daß wir damit in ein Vermächtnis, eintreten mit seinen Rechten und Pflichten, die uns der Genius der Nation und der Weltgeschichte als Erben Kaiser Wilhelms überweist. Es war in den gehobenen Stunden dieser Tage eine und dieselbe Empfindung, die dem Augenblicke zugekehrt Schmerz und Trauer war, der Zeit und Zukunft zugewendet aber von selbst zu solchem Ent¬ schluß und Willen wurde, bewußt oder unbewußt in Allen. Fürst Bismarck schloß mit dem Gedanken dieses Vermächtnisses seine Todesmeldung am 9. März im Reichstage ab: „Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale Ehrgefühl, vor allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes, die in dem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzerstörbares Erbteil der Nation sein, welches der aus unsrer Mitte geschiedene geliebte Kaiser uns hinterlassen hat. Ich hoffe zu Gott, daß dieses Erbteil bei uns allen, die wir an den Geschäften des Vaterlandes mitzuwirken haben, in Krieg und Frieden, in Heldenmut, in Arbeitsamkeit, in Pflichttreue treu bewahrt wird." Wer konnte auch so befugt und berufen sein als Bismarck, zum Reichstage und zum Reiche so zu reden, zur Gegenwart und zur Zukunft, auch das bezeichnete die einzige Höhe des Augenblicks aus tiefster Trauer gewonnen. Aber eigentlich sprach doch durch ihn die min stumme Heldengestalt des Kaisers selbst so zur Nation, und sie wird so weiter sprechen und wirken, das ist auch von andern Rednern und in Tagesblättern in verschiedenster Weise gesagt oder angedeutet worden. In dem Nachrufe in der Münchner Allgemeinen Zeitung vom 10. März heißt es: „In frischerer, lebensvollerer Kraft, als das versteinerte Bild Kaiser Rothbarts, mag der erste Kaiser des neuen Reiches im Herzen des deutschen Volkes fortleben. Denn Wilhelm von Hohenzollern war die leibhafteste Ver¬ körperung jener Tugend, welche seit den Zeiten der alten Heldensagen als die erste und beste der Deutschen gepriesen wird. Als das Bewundernswerteste an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/95>, abgerufen am 01.09.2024.