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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

sächsischen Bauernsohnes durchaus widerstreben. Es kam dazu, daß er im
Grunde doch ein Fremder war, der für unser Volk kein Herz hatte, in dessen
Sprache er damals kaum über die Anfangsgründe hinausgekommen war, dessen
innerstes Wesen ihm stets fremd geblieben ist. Ihm war der Augustinermönch,
der in Worms vor ihm so mutig sein Bekenntnis that, ebenso unverständlich,
wie dieser es einige Jahre früher dem römischen Legaten in Augsburg gewesen
war, und wie dort Kajetcm, so mag hier Karl dem Fünften "die deutsche Bestie
mit den tiefsinnigen Angen und wunderlichen Spekulationen im Kopf" unheimlich
gewesen sein. Das war und blieb eben diesen Welschen fremd; sie ahnten kaum,
in welchem fürchterlichen Abgrund von qualvollen Zweifeln dieser deutsche Mönch
bange Nächte hindurch gerungen hatte. Dem Manne standen sie so verständnislos
gegenüber, wie heutzutage tiefwühlenden nordischen Naturen, wie einem Faust
und Hamlet der gegenübersteht, der nicht selbst seine Seele wund gerieben hat
an diesen Fragen. Davon war aber bei einem Manne wie Karl V. nie die
Rede gewesen; die eigentliche Bedeutung der Frage, über welche er hier die
schicksalsschwere Entscheidung treffen sollte, verstand er gar nicht. Dazu kam
uoch die Eigenart seiner Stellung. Wäre er nur deutscher Kaiser gewesen, so
hätte er sich, selbst bei vollständiger Gleichgiltigkeit gegen Religionsfragen, der
allgemeinen Bewegung in Deutschland doch auf die Dauer nicht entziehen können.
So aber war er nicht nur Herrscher von Deutschland, sondern auch König von
Spanien und Neapel und Herr der Niederlande, und in einem Kampfe mit
Franz I. vou Frankreich, der unter diesen Verhältnissen unausbleiblich war,
mußte es für ihn von größter Wichtigkeit sein, auf welche Seite sich Leo X.
als Herr eines Teiles von Italien stellen würde. Dieser Gesichtspunkt entschied
zuletzt; Karl gab die deutsche Reformationsbewegung preis, und der Papst Franz
den Ersten, indem er sich mit dem Kaiser verband. Luther wurde in die Acht
gethan, und die Hoffnungen der deutschen Patrioten zerrannen.

Niemand aber hatte mehr von diesem Kaiser und von diesem Reichstage
gehofft als Hütten und Sickingen. Nirgends im Reiche waren die Verhand¬
lungen in Worms mit so atemloser Spannung von Tag zu Tage verfolgt
worden wie auf der Ebernburg; nirgends erkannte man auch so klar die Trag¬
weite der in Worms getroffenen Entscheidung als hier; nirgends war man so
durchdrungen von der Überzeugung, daß der Spruch des Kaisers der deutschen
Geschichte auf Jahrhunderte hinaus den Stempel ausdrücken müsse. Als nun
dem Ebernburger Freundeskreise die Nachricht zukam, daß Luther mir zum
Widerruf aufgefordert und dann ohne eigentliches Verhör geopfert worden sei
und sein Werk zerstört werden solle, da tobte Hütten wie ein Löwe, dem man
sein Junges genommen hat. Mit Thränen in den Augen las er den Brief,
worin ihm Luther den ungnädigen Abschied des Kaisers berichtete. Seinem
gepreßten Herzen entrang sich der Seufzer: "Ich schäme mich allmählich meines
Vaterlandes," und in seiner schäumenden Wut stieß er gegen die päpstlichen


Ulrich von Hütten.

sächsischen Bauernsohnes durchaus widerstreben. Es kam dazu, daß er im
Grunde doch ein Fremder war, der für unser Volk kein Herz hatte, in dessen
Sprache er damals kaum über die Anfangsgründe hinausgekommen war, dessen
innerstes Wesen ihm stets fremd geblieben ist. Ihm war der Augustinermönch,
der in Worms vor ihm so mutig sein Bekenntnis that, ebenso unverständlich,
wie dieser es einige Jahre früher dem römischen Legaten in Augsburg gewesen
war, und wie dort Kajetcm, so mag hier Karl dem Fünften „die deutsche Bestie
mit den tiefsinnigen Angen und wunderlichen Spekulationen im Kopf" unheimlich
gewesen sein. Das war und blieb eben diesen Welschen fremd; sie ahnten kaum,
in welchem fürchterlichen Abgrund von qualvollen Zweifeln dieser deutsche Mönch
bange Nächte hindurch gerungen hatte. Dem Manne standen sie so verständnislos
gegenüber, wie heutzutage tiefwühlenden nordischen Naturen, wie einem Faust
und Hamlet der gegenübersteht, der nicht selbst seine Seele wund gerieben hat
an diesen Fragen. Davon war aber bei einem Manne wie Karl V. nie die
Rede gewesen; die eigentliche Bedeutung der Frage, über welche er hier die
schicksalsschwere Entscheidung treffen sollte, verstand er gar nicht. Dazu kam
uoch die Eigenart seiner Stellung. Wäre er nur deutscher Kaiser gewesen, so
hätte er sich, selbst bei vollständiger Gleichgiltigkeit gegen Religionsfragen, der
allgemeinen Bewegung in Deutschland doch auf die Dauer nicht entziehen können.
So aber war er nicht nur Herrscher von Deutschland, sondern auch König von
Spanien und Neapel und Herr der Niederlande, und in einem Kampfe mit
Franz I. vou Frankreich, der unter diesen Verhältnissen unausbleiblich war,
mußte es für ihn von größter Wichtigkeit sein, auf welche Seite sich Leo X.
als Herr eines Teiles von Italien stellen würde. Dieser Gesichtspunkt entschied
zuletzt; Karl gab die deutsche Reformationsbewegung preis, und der Papst Franz
den Ersten, indem er sich mit dem Kaiser verband. Luther wurde in die Acht
gethan, und die Hoffnungen der deutschen Patrioten zerrannen.

Niemand aber hatte mehr von diesem Kaiser und von diesem Reichstage
gehofft als Hütten und Sickingen. Nirgends im Reiche waren die Verhand¬
lungen in Worms mit so atemloser Spannung von Tag zu Tage verfolgt
worden wie auf der Ebernburg; nirgends erkannte man auch so klar die Trag¬
weite der in Worms getroffenen Entscheidung als hier; nirgends war man so
durchdrungen von der Überzeugung, daß der Spruch des Kaisers der deutschen
Geschichte auf Jahrhunderte hinaus den Stempel ausdrücken müsse. Als nun
dem Ebernburger Freundeskreise die Nachricht zukam, daß Luther mir zum
Widerruf aufgefordert und dann ohne eigentliches Verhör geopfert worden sei
und sein Werk zerstört werden solle, da tobte Hütten wie ein Löwe, dem man
sein Junges genommen hat. Mit Thränen in den Augen las er den Brief,
worin ihm Luther den ungnädigen Abschied des Kaisers berichtete. Seinem
gepreßten Herzen entrang sich der Seufzer: „Ich schäme mich allmählich meines
Vaterlandes," und in seiner schäumenden Wut stieß er gegen die päpstlichen


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[0076] Ulrich von Hütten. sächsischen Bauernsohnes durchaus widerstreben. Es kam dazu, daß er im Grunde doch ein Fremder war, der für unser Volk kein Herz hatte, in dessen Sprache er damals kaum über die Anfangsgründe hinausgekommen war, dessen innerstes Wesen ihm stets fremd geblieben ist. Ihm war der Augustinermönch, der in Worms vor ihm so mutig sein Bekenntnis that, ebenso unverständlich, wie dieser es einige Jahre früher dem römischen Legaten in Augsburg gewesen war, und wie dort Kajetcm, so mag hier Karl dem Fünften „die deutsche Bestie mit den tiefsinnigen Angen und wunderlichen Spekulationen im Kopf" unheimlich gewesen sein. Das war und blieb eben diesen Welschen fremd; sie ahnten kaum, in welchem fürchterlichen Abgrund von qualvollen Zweifeln dieser deutsche Mönch bange Nächte hindurch gerungen hatte. Dem Manne standen sie so verständnislos gegenüber, wie heutzutage tiefwühlenden nordischen Naturen, wie einem Faust und Hamlet der gegenübersteht, der nicht selbst seine Seele wund gerieben hat an diesen Fragen. Davon war aber bei einem Manne wie Karl V. nie die Rede gewesen; die eigentliche Bedeutung der Frage, über welche er hier die schicksalsschwere Entscheidung treffen sollte, verstand er gar nicht. Dazu kam uoch die Eigenart seiner Stellung. Wäre er nur deutscher Kaiser gewesen, so hätte er sich, selbst bei vollständiger Gleichgiltigkeit gegen Religionsfragen, der allgemeinen Bewegung in Deutschland doch auf die Dauer nicht entziehen können. So aber war er nicht nur Herrscher von Deutschland, sondern auch König von Spanien und Neapel und Herr der Niederlande, und in einem Kampfe mit Franz I. vou Frankreich, der unter diesen Verhältnissen unausbleiblich war, mußte es für ihn von größter Wichtigkeit sein, auf welche Seite sich Leo X. als Herr eines Teiles von Italien stellen würde. Dieser Gesichtspunkt entschied zuletzt; Karl gab die deutsche Reformationsbewegung preis, und der Papst Franz den Ersten, indem er sich mit dem Kaiser verband. Luther wurde in die Acht gethan, und die Hoffnungen der deutschen Patrioten zerrannen. Niemand aber hatte mehr von diesem Kaiser und von diesem Reichstage gehofft als Hütten und Sickingen. Nirgends im Reiche waren die Verhand¬ lungen in Worms mit so atemloser Spannung von Tag zu Tage verfolgt worden wie auf der Ebernburg; nirgends erkannte man auch so klar die Trag¬ weite der in Worms getroffenen Entscheidung als hier; nirgends war man so durchdrungen von der Überzeugung, daß der Spruch des Kaisers der deutschen Geschichte auf Jahrhunderte hinaus den Stempel ausdrücken müsse. Als nun dem Ebernburger Freundeskreise die Nachricht zukam, daß Luther mir zum Widerruf aufgefordert und dann ohne eigentliches Verhör geopfert worden sei und sein Werk zerstört werden solle, da tobte Hütten wie ein Löwe, dem man sein Junges genommen hat. Mit Thränen in den Augen las er den Brief, worin ihm Luther den ungnädigen Abschied des Kaisers berichtete. Seinem gepreßten Herzen entrang sich der Seufzer: „Ich schäme mich allmählich meines Vaterlandes," und in seiner schäumenden Wut stieß er gegen die päpstlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/76>, abgerufen am 01.09.2024.