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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

Legaten am Reichstage Drohungen aus, die er glücklicherweise gar nicht in der
Lage war ausführen zu können. Denn Hütten und Sickingen verhielten sich
eben doch nicht bloß, wie man Wohl gesagt hat, wie Kopf und Arm; wenigstens
versagte diesmal der Arm dem Kopfe die Ausführung seiner raschen Entschlüsse:
Sickingens kühle Besonnenheit ließ sich von Hnttens leidenschaftlichem Ungestüm
nicht fortreißen zu einem unbedachten Schritt. Da der Hauptpfeiler, auf den
Hütten feinen nationalen Neubau hatte stützen wollen, der junge Kaiser, zu
diesem Bau, wie sich nunmehr zeigte, gar nicht verwendbar war, so stand
Huttens Plan in der Luft. So folgte seinen kühnen Worten keine That, und
das schadete ihm und seinem Rufe bei Freund und Feind. Überdies mußte
nach dieser fieberhaften Erregung aller Kräfte naturgemäß eine Abspannung ein¬
treten, und so verschwindet Hütten für einige Zeit ganz vom Schauplatze, bis
wir ihn in kleinen litterarischen und persönlichen Handeln wiederfinden, die seines
Namens nicht würdig waren.

Über Huttens Anteil an dem Unternehmen Sickingens gegen den Kurfürsten
von Trier ist nichts sicheres bekannt. Nur so viel wissen wir, daß Hütten für
die Ausführung seiner alten politischen Pläne, die er auch jetzt nicht aus dem
Auge ließ, weniger als je an das Landesfürftentnm dachte. Denn in diesem
Punkte vermochte er nicht, sich über die Anschauungen seines Standes zu erheben,
der freilich unter dem Emporkommen der Fürstenmacht in erster Linie zu leiden
hatte. Es blieb ihm versagt, in dieser Beziehung das Vorgefühl des Kommenden
zu haben und auch nur dunkel zu ahnen, daß die landesherrlichen Gewalten Jahr¬
hunderte hindurch gerade darin ihr schönstes Daseinsrecht habe" sollten, daß bei ihnen
der erneute Glaube seinen Schutz fand, nachdem ihn das Kaisertum von sich gestoßen
hatte. Ob Sickingen dieser Gedanke nahe getreten ist, erscheint zweifelhaft; nicht
so ganz die Vermutung, daß ein gewisses Gefühl ihm gesagt habe, der Neichs-
ritterstand sei eine geschichtlich überwundene Erscheinung, und von den politischen
Gewalten in Deutschland gehöre die Zukunft nicht dem Kaisertum und nicht den
Rittern, sondern den Fürsten. Jedenfalls war thatsächlich das Ziel, das er
zunächst verfolgte, kein andres als für sich ein Fürstentum zu erringen und in
dessen Gebiet wenigstens "dem Evangelium eine Öffnung zu machen." Aber
das Kriegsglück war ihm nicht mehr hold. Am ?. Mai 1523 erlag er in einem
dunkeln Gewölbe unter den Trümmern seiner Burg Landstnhl der schweren
Wunde, die er bei der Verteidigung erhalten hatte. Er starb verlassen; seine
Söhne und seine Freunde waren tot, gefangen oder zerstreut.

Schon im November des vorhergehenden Jahres hatte Hütten, wie die
übrigen Mitglieder des Freundeskreises, die Ebernbnrg verlassen; Sickingen
wollte sie nicht auch der Gefahr, die ihn selbst bedrohte, aussetzen. Von allen
Mitteln entblößt, dnrch Enttäuschung über Enttäuschung innerlich niedergedrückt,
schleppte er seinen kranken Körper das Rheinthal aufwärts, bis die Stadt
Basel ihm Aufnahme gewährte. Hier mußte er den Kelch der Enttäuschung


Ulrich von Hütten.

Legaten am Reichstage Drohungen aus, die er glücklicherweise gar nicht in der
Lage war ausführen zu können. Denn Hütten und Sickingen verhielten sich
eben doch nicht bloß, wie man Wohl gesagt hat, wie Kopf und Arm; wenigstens
versagte diesmal der Arm dem Kopfe die Ausführung seiner raschen Entschlüsse:
Sickingens kühle Besonnenheit ließ sich von Hnttens leidenschaftlichem Ungestüm
nicht fortreißen zu einem unbedachten Schritt. Da der Hauptpfeiler, auf den
Hütten feinen nationalen Neubau hatte stützen wollen, der junge Kaiser, zu
diesem Bau, wie sich nunmehr zeigte, gar nicht verwendbar war, so stand
Huttens Plan in der Luft. So folgte seinen kühnen Worten keine That, und
das schadete ihm und seinem Rufe bei Freund und Feind. Überdies mußte
nach dieser fieberhaften Erregung aller Kräfte naturgemäß eine Abspannung ein¬
treten, und so verschwindet Hütten für einige Zeit ganz vom Schauplatze, bis
wir ihn in kleinen litterarischen und persönlichen Handeln wiederfinden, die seines
Namens nicht würdig waren.

Über Huttens Anteil an dem Unternehmen Sickingens gegen den Kurfürsten
von Trier ist nichts sicheres bekannt. Nur so viel wissen wir, daß Hütten für
die Ausführung seiner alten politischen Pläne, die er auch jetzt nicht aus dem
Auge ließ, weniger als je an das Landesfürftentnm dachte. Denn in diesem
Punkte vermochte er nicht, sich über die Anschauungen seines Standes zu erheben,
der freilich unter dem Emporkommen der Fürstenmacht in erster Linie zu leiden
hatte. Es blieb ihm versagt, in dieser Beziehung das Vorgefühl des Kommenden
zu haben und auch nur dunkel zu ahnen, daß die landesherrlichen Gewalten Jahr¬
hunderte hindurch gerade darin ihr schönstes Daseinsrecht habe» sollten, daß bei ihnen
der erneute Glaube seinen Schutz fand, nachdem ihn das Kaisertum von sich gestoßen
hatte. Ob Sickingen dieser Gedanke nahe getreten ist, erscheint zweifelhaft; nicht
so ganz die Vermutung, daß ein gewisses Gefühl ihm gesagt habe, der Neichs-
ritterstand sei eine geschichtlich überwundene Erscheinung, und von den politischen
Gewalten in Deutschland gehöre die Zukunft nicht dem Kaisertum und nicht den
Rittern, sondern den Fürsten. Jedenfalls war thatsächlich das Ziel, das er
zunächst verfolgte, kein andres als für sich ein Fürstentum zu erringen und in
dessen Gebiet wenigstens „dem Evangelium eine Öffnung zu machen." Aber
das Kriegsglück war ihm nicht mehr hold. Am ?. Mai 1523 erlag er in einem
dunkeln Gewölbe unter den Trümmern seiner Burg Landstnhl der schweren
Wunde, die er bei der Verteidigung erhalten hatte. Er starb verlassen; seine
Söhne und seine Freunde waren tot, gefangen oder zerstreut.

Schon im November des vorhergehenden Jahres hatte Hütten, wie die
übrigen Mitglieder des Freundeskreises, die Ebernbnrg verlassen; Sickingen
wollte sie nicht auch der Gefahr, die ihn selbst bedrohte, aussetzen. Von allen
Mitteln entblößt, dnrch Enttäuschung über Enttäuschung innerlich niedergedrückt,
schleppte er seinen kranken Körper das Rheinthal aufwärts, bis die Stadt
Basel ihm Aufnahme gewährte. Hier mußte er den Kelch der Enttäuschung


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[0077] Ulrich von Hütten. Legaten am Reichstage Drohungen aus, die er glücklicherweise gar nicht in der Lage war ausführen zu können. Denn Hütten und Sickingen verhielten sich eben doch nicht bloß, wie man Wohl gesagt hat, wie Kopf und Arm; wenigstens versagte diesmal der Arm dem Kopfe die Ausführung seiner raschen Entschlüsse: Sickingens kühle Besonnenheit ließ sich von Hnttens leidenschaftlichem Ungestüm nicht fortreißen zu einem unbedachten Schritt. Da der Hauptpfeiler, auf den Hütten feinen nationalen Neubau hatte stützen wollen, der junge Kaiser, zu diesem Bau, wie sich nunmehr zeigte, gar nicht verwendbar war, so stand Huttens Plan in der Luft. So folgte seinen kühnen Worten keine That, und das schadete ihm und seinem Rufe bei Freund und Feind. Überdies mußte nach dieser fieberhaften Erregung aller Kräfte naturgemäß eine Abspannung ein¬ treten, und so verschwindet Hütten für einige Zeit ganz vom Schauplatze, bis wir ihn in kleinen litterarischen und persönlichen Handeln wiederfinden, die seines Namens nicht würdig waren. Über Huttens Anteil an dem Unternehmen Sickingens gegen den Kurfürsten von Trier ist nichts sicheres bekannt. Nur so viel wissen wir, daß Hütten für die Ausführung seiner alten politischen Pläne, die er auch jetzt nicht aus dem Auge ließ, weniger als je an das Landesfürftentnm dachte. Denn in diesem Punkte vermochte er nicht, sich über die Anschauungen seines Standes zu erheben, der freilich unter dem Emporkommen der Fürstenmacht in erster Linie zu leiden hatte. Es blieb ihm versagt, in dieser Beziehung das Vorgefühl des Kommenden zu haben und auch nur dunkel zu ahnen, daß die landesherrlichen Gewalten Jahr¬ hunderte hindurch gerade darin ihr schönstes Daseinsrecht habe» sollten, daß bei ihnen der erneute Glaube seinen Schutz fand, nachdem ihn das Kaisertum von sich gestoßen hatte. Ob Sickingen dieser Gedanke nahe getreten ist, erscheint zweifelhaft; nicht so ganz die Vermutung, daß ein gewisses Gefühl ihm gesagt habe, der Neichs- ritterstand sei eine geschichtlich überwundene Erscheinung, und von den politischen Gewalten in Deutschland gehöre die Zukunft nicht dem Kaisertum und nicht den Rittern, sondern den Fürsten. Jedenfalls war thatsächlich das Ziel, das er zunächst verfolgte, kein andres als für sich ein Fürstentum zu erringen und in dessen Gebiet wenigstens „dem Evangelium eine Öffnung zu machen." Aber das Kriegsglück war ihm nicht mehr hold. Am ?. Mai 1523 erlag er in einem dunkeln Gewölbe unter den Trümmern seiner Burg Landstnhl der schweren Wunde, die er bei der Verteidigung erhalten hatte. Er starb verlassen; seine Söhne und seine Freunde waren tot, gefangen oder zerstreut. Schon im November des vorhergehenden Jahres hatte Hütten, wie die übrigen Mitglieder des Freundeskreises, die Ebernbnrg verlassen; Sickingen wollte sie nicht auch der Gefahr, die ihn selbst bedrohte, aussetzen. Von allen Mitteln entblößt, dnrch Enttäuschung über Enttäuschung innerlich niedergedrückt, schleppte er seinen kranken Körper das Rheinthal aufwärts, bis die Stadt Basel ihm Aufnahme gewährte. Hier mußte er den Kelch der Enttäuschung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/77>, abgerufen am 01.09.2024.