Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ministerkrisis in preußen.

einem bestimmte", von den Häusern des Landtages gestellten Antrage, in Form
eines Gesetzentwurfs oder eines Amendements zu einer Vorlage, auf die Zu¬
stimmung des Königs werde rechnen können. Daß diese Erwägung dem be¬
treffenden Minister nahe liege, wird jedermann zugeben, und daß er ihr nicht
soll Ausdruck geben dürfen, ist eine der unpraktischen Fiktionen, die wir aus
andern Staaten überkommen haben, eine Fiktion, die dazu dienen soll, die
Macht und den Einfluß des Monarchen selbst nach Möglichkeit hinter Wolken
und Vorhängen zu halten." Weiterhin berührt dann die Erörterung des
offiziösen Blattes die uns besonders naheliegende Frage des Rücktrittes der
Minister vor einer Weigerung des Königs, sich der Meinung derselben an¬
zuschließen. Es wird hier zunächst bemerkt, daß der Satz, eine Meinungs¬
verschiedenheit zwischen der Krone und dem Ministerium könne nur durch
Trennung beider von einander erledigt werden, weder im geschriebenen Rechte
Preußens, noch in dessen Traditionen eine Stütze finde. Wenn ein Minister,
was häufig geschehe, in einer nach seiner Ansicht den Staat nicht gerade ge¬
fährdenden Angelegenheit von seinen Kollegen überstimmt werde, so scheide er
deshalb nicht aus. Dann fährt der Artikel fort: "Daß das Staatsministerium
seine Entschlüsse nicht immer bei Seiner Majestät zur Annahme zu bringen
vermag, lehrt unsre vierzigjährige Erfahrung auf jedem Blatte ihrer Erinne¬
rungen. Wollte deshalb jedesmal das Kabinet zurücktreten, so wäre unser
Ministerverbrauch dem französischen schon näher gekommen. Jeder Minister
wird bereit sein, zurückzutreten, wenn er glaubt, daß die Haltung, welche von
ihm verlangt wird, das vaterländische Gemeinwesen schädigen würde. Eine solche
Gefahr liegt in dem hier in Frage stehenden Falle nicht vor. Wären die Mi¬
nister der Ansicht, daß die dreijährigen Wahlperioden den Staat wesentlich
schädigen, so hätten sie schon längst eine Verlängerung ihrerseits in Antrag
bringen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Frage der Dauer der
Legislaturperioden ist von den Ministern für nützlich gehalten und deshalb der
betreffende Antrag der Mehrheit beider Häuser von ihnen bei Seiner Majestät
befürwortet worden. Sie werden zu erwägen haben, ob sie den Nutzen einer
Verlängerung der Legislaturperioden so hoch anschlagen, daß sie die Verant¬
wortlichkeit für ihren Rücktritt bei der heutigen Lage der Dinge vor dem Lande
zu übernehmen bereit sein dürften, falls die bisherige Dauer der Wahlperioden
noch länger zu Recht bestehen bleiben sollte." Der Artikel sagt dann, daß
das Kabinet jederzeit berechtigt sei, um seine Entlassung zu bitten, daß aber
die Gesamtlage einem jeden gewissenhaften Minister eine besonders vorsichtige
Erwägung der Frage nahe legen werde, welche Rückwirkung el" Kabiuetswechscl
in diesem Augenblicke auf das Maß von Vertrauen üben würde, dessen sich
Preußen bei seinen Freunden im Reiche und außerhalb desselben erfreut, und
auf das Maß von Zuversicht, mit welchem die Gegner des Reiches in Deutsch¬
land und in Europa in die Zukunft blicken würden. Zum Schlüsse freut sich


Die Ministerkrisis in preußen.

einem bestimmte», von den Häusern des Landtages gestellten Antrage, in Form
eines Gesetzentwurfs oder eines Amendements zu einer Vorlage, auf die Zu¬
stimmung des Königs werde rechnen können. Daß diese Erwägung dem be¬
treffenden Minister nahe liege, wird jedermann zugeben, und daß er ihr nicht
soll Ausdruck geben dürfen, ist eine der unpraktischen Fiktionen, die wir aus
andern Staaten überkommen haben, eine Fiktion, die dazu dienen soll, die
Macht und den Einfluß des Monarchen selbst nach Möglichkeit hinter Wolken
und Vorhängen zu halten." Weiterhin berührt dann die Erörterung des
offiziösen Blattes die uns besonders naheliegende Frage des Rücktrittes der
Minister vor einer Weigerung des Königs, sich der Meinung derselben an¬
zuschließen. Es wird hier zunächst bemerkt, daß der Satz, eine Meinungs¬
verschiedenheit zwischen der Krone und dem Ministerium könne nur durch
Trennung beider von einander erledigt werden, weder im geschriebenen Rechte
Preußens, noch in dessen Traditionen eine Stütze finde. Wenn ein Minister,
was häufig geschehe, in einer nach seiner Ansicht den Staat nicht gerade ge¬
fährdenden Angelegenheit von seinen Kollegen überstimmt werde, so scheide er
deshalb nicht aus. Dann fährt der Artikel fort: „Daß das Staatsministerium
seine Entschlüsse nicht immer bei Seiner Majestät zur Annahme zu bringen
vermag, lehrt unsre vierzigjährige Erfahrung auf jedem Blatte ihrer Erinne¬
rungen. Wollte deshalb jedesmal das Kabinet zurücktreten, so wäre unser
Ministerverbrauch dem französischen schon näher gekommen. Jeder Minister
wird bereit sein, zurückzutreten, wenn er glaubt, daß die Haltung, welche von
ihm verlangt wird, das vaterländische Gemeinwesen schädigen würde. Eine solche
Gefahr liegt in dem hier in Frage stehenden Falle nicht vor. Wären die Mi¬
nister der Ansicht, daß die dreijährigen Wahlperioden den Staat wesentlich
schädigen, so hätten sie schon längst eine Verlängerung ihrerseits in Antrag
bringen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Frage der Dauer der
Legislaturperioden ist von den Ministern für nützlich gehalten und deshalb der
betreffende Antrag der Mehrheit beider Häuser von ihnen bei Seiner Majestät
befürwortet worden. Sie werden zu erwägen haben, ob sie den Nutzen einer
Verlängerung der Legislaturperioden so hoch anschlagen, daß sie die Verant¬
wortlichkeit für ihren Rücktritt bei der heutigen Lage der Dinge vor dem Lande
zu übernehmen bereit sein dürften, falls die bisherige Dauer der Wahlperioden
noch länger zu Recht bestehen bleiben sollte." Der Artikel sagt dann, daß
das Kabinet jederzeit berechtigt sei, um seine Entlassung zu bitten, daß aber
die Gesamtlage einem jeden gewissenhaften Minister eine besonders vorsichtige
Erwägung der Frage nahe legen werde, welche Rückwirkung el» Kabiuetswechscl
in diesem Augenblicke auf das Maß von Vertrauen üben würde, dessen sich
Preußen bei seinen Freunden im Reiche und außerhalb desselben erfreut, und
auf das Maß von Zuversicht, mit welchem die Gegner des Reiches in Deutsch¬
land und in Europa in die Zukunft blicken würden. Zum Schlüsse freut sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0598" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203375"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ministerkrisis in preußen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1873" prev="#ID_1872" next="#ID_1874"> einem bestimmte», von den Häusern des Landtages gestellten Antrage, in Form<lb/>
eines Gesetzentwurfs oder eines Amendements zu einer Vorlage, auf die Zu¬<lb/>
stimmung des Königs werde rechnen können. Daß diese Erwägung dem be¬<lb/>
treffenden Minister nahe liege, wird jedermann zugeben, und daß er ihr nicht<lb/>
soll Ausdruck geben dürfen, ist eine der unpraktischen Fiktionen, die wir aus<lb/>
andern Staaten überkommen haben, eine Fiktion, die dazu dienen soll, die<lb/>
Macht und den Einfluß des Monarchen selbst nach Möglichkeit hinter Wolken<lb/>
und Vorhängen zu halten." Weiterhin berührt dann die Erörterung des<lb/>
offiziösen Blattes die uns besonders naheliegende Frage des Rücktrittes der<lb/>
Minister vor einer Weigerung des Königs, sich der Meinung derselben an¬<lb/>
zuschließen. Es wird hier zunächst bemerkt, daß der Satz, eine Meinungs¬<lb/>
verschiedenheit zwischen der Krone und dem Ministerium könne nur durch<lb/>
Trennung beider von einander erledigt werden, weder im geschriebenen Rechte<lb/>
Preußens, noch in dessen Traditionen eine Stütze finde. Wenn ein Minister,<lb/>
was häufig geschehe, in einer nach seiner Ansicht den Staat nicht gerade ge¬<lb/>
fährdenden Angelegenheit von seinen Kollegen überstimmt werde, so scheide er<lb/>
deshalb nicht aus. Dann fährt der Artikel fort: &#x201E;Daß das Staatsministerium<lb/>
seine Entschlüsse nicht immer bei Seiner Majestät zur Annahme zu bringen<lb/>
vermag, lehrt unsre vierzigjährige Erfahrung auf jedem Blatte ihrer Erinne¬<lb/>
rungen. Wollte deshalb jedesmal das Kabinet zurücktreten, so wäre unser<lb/>
Ministerverbrauch dem französischen schon näher gekommen. Jeder Minister<lb/>
wird bereit sein, zurückzutreten, wenn er glaubt, daß die Haltung, welche von<lb/>
ihm verlangt wird, das vaterländische Gemeinwesen schädigen würde. Eine solche<lb/>
Gefahr liegt in dem hier in Frage stehenden Falle nicht vor. Wären die Mi¬<lb/>
nister der Ansicht, daß die dreijährigen Wahlperioden den Staat wesentlich<lb/>
schädigen, so hätten sie schon längst eine Verlängerung ihrerseits in Antrag<lb/>
bringen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Frage der Dauer der<lb/>
Legislaturperioden ist von den Ministern für nützlich gehalten und deshalb der<lb/>
betreffende Antrag der Mehrheit beider Häuser von ihnen bei Seiner Majestät<lb/>
befürwortet worden. Sie werden zu erwägen haben, ob sie den Nutzen einer<lb/>
Verlängerung der Legislaturperioden so hoch anschlagen, daß sie die Verant¬<lb/>
wortlichkeit für ihren Rücktritt bei der heutigen Lage der Dinge vor dem Lande<lb/>
zu übernehmen bereit sein dürften, falls die bisherige Dauer der Wahlperioden<lb/>
noch länger zu Recht bestehen bleiben sollte." Der Artikel sagt dann, daß<lb/>
das Kabinet jederzeit berechtigt sei, um seine Entlassung zu bitten, daß aber<lb/>
die Gesamtlage einem jeden gewissenhaften Minister eine besonders vorsichtige<lb/>
Erwägung der Frage nahe legen werde, welche Rückwirkung el» Kabiuetswechscl<lb/>
in diesem Augenblicke auf das Maß von Vertrauen üben würde, dessen sich<lb/>
Preußen bei seinen Freunden im Reiche und außerhalb desselben erfreut, und<lb/>
auf das Maß von Zuversicht, mit welchem die Gegner des Reiches in Deutsch¬<lb/>
land und in Europa in die Zukunft blicken würden. Zum Schlüsse freut sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0598] Die Ministerkrisis in preußen. einem bestimmte», von den Häusern des Landtages gestellten Antrage, in Form eines Gesetzentwurfs oder eines Amendements zu einer Vorlage, auf die Zu¬ stimmung des Königs werde rechnen können. Daß diese Erwägung dem be¬ treffenden Minister nahe liege, wird jedermann zugeben, und daß er ihr nicht soll Ausdruck geben dürfen, ist eine der unpraktischen Fiktionen, die wir aus andern Staaten überkommen haben, eine Fiktion, die dazu dienen soll, die Macht und den Einfluß des Monarchen selbst nach Möglichkeit hinter Wolken und Vorhängen zu halten." Weiterhin berührt dann die Erörterung des offiziösen Blattes die uns besonders naheliegende Frage des Rücktrittes der Minister vor einer Weigerung des Königs, sich der Meinung derselben an¬ zuschließen. Es wird hier zunächst bemerkt, daß der Satz, eine Meinungs¬ verschiedenheit zwischen der Krone und dem Ministerium könne nur durch Trennung beider von einander erledigt werden, weder im geschriebenen Rechte Preußens, noch in dessen Traditionen eine Stütze finde. Wenn ein Minister, was häufig geschehe, in einer nach seiner Ansicht den Staat nicht gerade ge¬ fährdenden Angelegenheit von seinen Kollegen überstimmt werde, so scheide er deshalb nicht aus. Dann fährt der Artikel fort: „Daß das Staatsministerium seine Entschlüsse nicht immer bei Seiner Majestät zur Annahme zu bringen vermag, lehrt unsre vierzigjährige Erfahrung auf jedem Blatte ihrer Erinne¬ rungen. Wollte deshalb jedesmal das Kabinet zurücktreten, so wäre unser Ministerverbrauch dem französischen schon näher gekommen. Jeder Minister wird bereit sein, zurückzutreten, wenn er glaubt, daß die Haltung, welche von ihm verlangt wird, das vaterländische Gemeinwesen schädigen würde. Eine solche Gefahr liegt in dem hier in Frage stehenden Falle nicht vor. Wären die Mi¬ nister der Ansicht, daß die dreijährigen Wahlperioden den Staat wesentlich schädigen, so hätten sie schon längst eine Verlängerung ihrerseits in Antrag bringen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die Frage der Dauer der Legislaturperioden ist von den Ministern für nützlich gehalten und deshalb der betreffende Antrag der Mehrheit beider Häuser von ihnen bei Seiner Majestät befürwortet worden. Sie werden zu erwägen haben, ob sie den Nutzen einer Verlängerung der Legislaturperioden so hoch anschlagen, daß sie die Verant¬ wortlichkeit für ihren Rücktritt bei der heutigen Lage der Dinge vor dem Lande zu übernehmen bereit sein dürften, falls die bisherige Dauer der Wahlperioden noch länger zu Recht bestehen bleiben sollte." Der Artikel sagt dann, daß das Kabinet jederzeit berechtigt sei, um seine Entlassung zu bitten, daß aber die Gesamtlage einem jeden gewissenhaften Minister eine besonders vorsichtige Erwägung der Frage nahe legen werde, welche Rückwirkung el» Kabiuetswechscl in diesem Augenblicke auf das Maß von Vertrauen üben würde, dessen sich Preußen bei seinen Freunden im Reiche und außerhalb desselben erfreut, und auf das Maß von Zuversicht, mit welchem die Gegner des Reiches in Deutsch¬ land und in Europa in die Zukunft blicken würden. Zum Schlüsse freut sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/598
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/598>, abgerufen am 27.07.2024.