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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Ministerkrifis in Preußen.

der Verfasser, daß die Situation, wie sie sich auch klären möge, jedenfalls schon
jetzt das Ergebnis gehabt habe, daß die Parteien, welche sich früher als die
schärfsten Bekämpfer der verfassungsmäßigen Königsrechte erwiesen, sich von
ihren Irrtümern überzeugt und eingesehen haben, daß Preußen eines Monarchen
bedarf, der auch unabhängig von der Deckung durch verantwortliche Minister
das Recht hat, persönlich nicht nur auf die Verwaltung, sondern auch auf die
Gesetzgebung des Landes einzuwirken, . . . "Die Zukunft wird vielfach Gelegenheit
bieten, auf diesem Fundamente weiterzubauen und das Einverständnis nutzbar
zu machen, welches heutzutage über die unabhängige Tragweite der königlichen
Gewalt unter allen parlamentarischen Parteien außer Zweifel gestellt ist. Man
wird nicht mehr zu dem unwürdigen Mittel greifen wie damals, 1832, jede
Bezugnahme auf die Allerhöchste Willensmeinung und auf die Intentionen des
Königs selbst als einen unerlaubten Versuch der Minister zu bezeichnen, sich
mit der verfassungsmäßigen Autorität des Königs zu decken."

Wäre diese Ansicht und Hoffnung gegenüber den Parteien ausgesprochen,
so könnte sie nur ironisch gemeint sein. Wir sind aber der Meinung, daß mit
ihnen wie mit den Hauptpunkten der ganzen Betrachtung nach andrer Seite hin
geblickt und in diplomatischer Weise zu wirken versucht wird. Es wird an die
Zukunft gedacht und ein Prcizedenzfall festgestellt. Im übrigen ließ die Erörterung
schließen, daß allerdings keine Ministerkrisis existirte, welche das ganze Kabinet
umfaßte, daß sich aber eine solche entwickeln kann, wenn wichtigeres in Frage
kommt als die Verlängerung der Wahl- und Legislaturperioden. Der König
war unleugbar verfassungsmäßig befugt, diese durch sein direktes oder indirektes
Votum ohne Angabe von Gründen zu verhindern. Er konnte von diesem Rechte
aber Gebrauch machen oder nicht, in jedem von beiden Fällen blieb das Mini¬
sterium; denn im zweiten mußte die Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen die
Gewißheit eines Verlustes an dem Vertrauen, welches Preußen in Deutschland
und ganz Europa genießt und welches an dem Namen Bismarck untrennbar
haftet, weit schwerer wiegen als die Vorenthaltung einer nützlichen, aber nicht
unbedingt notwendigen Reform auf parlamentarischem Gebiete. Auch die Ent¬
lassung Puttkamers wog nicht so schwer, daß sie die Kollegen hätte veranlassen
müssen, gleich ihm zurückzutreten. Bestätigte sich dagegen die Nachricht, daß
Herr Winter zu seinem Nachfolger ersehen sei, so könnte das Kabinet allerdings
dadurch bewogen werden, sich zu überlegen, ob es nicht den Gesinnungsgenossen
desselben Raum machen und Gelegenheit geben solle, zu zeigen, was sie können
und was nicht.




Die Ministerkrifis in Preußen.

der Verfasser, daß die Situation, wie sie sich auch klären möge, jedenfalls schon
jetzt das Ergebnis gehabt habe, daß die Parteien, welche sich früher als die
schärfsten Bekämpfer der verfassungsmäßigen Königsrechte erwiesen, sich von
ihren Irrtümern überzeugt und eingesehen haben, daß Preußen eines Monarchen
bedarf, der auch unabhängig von der Deckung durch verantwortliche Minister
das Recht hat, persönlich nicht nur auf die Verwaltung, sondern auch auf die
Gesetzgebung des Landes einzuwirken, . . . „Die Zukunft wird vielfach Gelegenheit
bieten, auf diesem Fundamente weiterzubauen und das Einverständnis nutzbar
zu machen, welches heutzutage über die unabhängige Tragweite der königlichen
Gewalt unter allen parlamentarischen Parteien außer Zweifel gestellt ist. Man
wird nicht mehr zu dem unwürdigen Mittel greifen wie damals, 1832, jede
Bezugnahme auf die Allerhöchste Willensmeinung und auf die Intentionen des
Königs selbst als einen unerlaubten Versuch der Minister zu bezeichnen, sich
mit der verfassungsmäßigen Autorität des Königs zu decken."

Wäre diese Ansicht und Hoffnung gegenüber den Parteien ausgesprochen,
so könnte sie nur ironisch gemeint sein. Wir sind aber der Meinung, daß mit
ihnen wie mit den Hauptpunkten der ganzen Betrachtung nach andrer Seite hin
geblickt und in diplomatischer Weise zu wirken versucht wird. Es wird an die
Zukunft gedacht und ein Prcizedenzfall festgestellt. Im übrigen ließ die Erörterung
schließen, daß allerdings keine Ministerkrisis existirte, welche das ganze Kabinet
umfaßte, daß sich aber eine solche entwickeln kann, wenn wichtigeres in Frage
kommt als die Verlängerung der Wahl- und Legislaturperioden. Der König
war unleugbar verfassungsmäßig befugt, diese durch sein direktes oder indirektes
Votum ohne Angabe von Gründen zu verhindern. Er konnte von diesem Rechte
aber Gebrauch machen oder nicht, in jedem von beiden Fällen blieb das Mini¬
sterium; denn im zweiten mußte die Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen die
Gewißheit eines Verlustes an dem Vertrauen, welches Preußen in Deutschland
und ganz Europa genießt und welches an dem Namen Bismarck untrennbar
haftet, weit schwerer wiegen als die Vorenthaltung einer nützlichen, aber nicht
unbedingt notwendigen Reform auf parlamentarischem Gebiete. Auch die Ent¬
lassung Puttkamers wog nicht so schwer, daß sie die Kollegen hätte veranlassen
müssen, gleich ihm zurückzutreten. Bestätigte sich dagegen die Nachricht, daß
Herr Winter zu seinem Nachfolger ersehen sei, so könnte das Kabinet allerdings
dadurch bewogen werden, sich zu überlegen, ob es nicht den Gesinnungsgenossen
desselben Raum machen und Gelegenheit geben solle, zu zeigen, was sie können
und was nicht.




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[0599] Die Ministerkrifis in Preußen. der Verfasser, daß die Situation, wie sie sich auch klären möge, jedenfalls schon jetzt das Ergebnis gehabt habe, daß die Parteien, welche sich früher als die schärfsten Bekämpfer der verfassungsmäßigen Königsrechte erwiesen, sich von ihren Irrtümern überzeugt und eingesehen haben, daß Preußen eines Monarchen bedarf, der auch unabhängig von der Deckung durch verantwortliche Minister das Recht hat, persönlich nicht nur auf die Verwaltung, sondern auch auf die Gesetzgebung des Landes einzuwirken, . . . „Die Zukunft wird vielfach Gelegenheit bieten, auf diesem Fundamente weiterzubauen und das Einverständnis nutzbar zu machen, welches heutzutage über die unabhängige Tragweite der königlichen Gewalt unter allen parlamentarischen Parteien außer Zweifel gestellt ist. Man wird nicht mehr zu dem unwürdigen Mittel greifen wie damals, 1832, jede Bezugnahme auf die Allerhöchste Willensmeinung und auf die Intentionen des Königs selbst als einen unerlaubten Versuch der Minister zu bezeichnen, sich mit der verfassungsmäßigen Autorität des Königs zu decken." Wäre diese Ansicht und Hoffnung gegenüber den Parteien ausgesprochen, so könnte sie nur ironisch gemeint sein. Wir sind aber der Meinung, daß mit ihnen wie mit den Hauptpunkten der ganzen Betrachtung nach andrer Seite hin geblickt und in diplomatischer Weise zu wirken versucht wird. Es wird an die Zukunft gedacht und ein Prcizedenzfall festgestellt. Im übrigen ließ die Erörterung schließen, daß allerdings keine Ministerkrisis existirte, welche das ganze Kabinet umfaßte, daß sich aber eine solche entwickeln kann, wenn wichtigeres in Frage kommt als die Verlängerung der Wahl- und Legislaturperioden. Der König war unleugbar verfassungsmäßig befugt, diese durch sein direktes oder indirektes Votum ohne Angabe von Gründen zu verhindern. Er konnte von diesem Rechte aber Gebrauch machen oder nicht, in jedem von beiden Fällen blieb das Mini¬ sterium; denn im zweiten mußte die Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen die Gewißheit eines Verlustes an dem Vertrauen, welches Preußen in Deutschland und ganz Europa genießt und welches an dem Namen Bismarck untrennbar haftet, weit schwerer wiegen als die Vorenthaltung einer nützlichen, aber nicht unbedingt notwendigen Reform auf parlamentarischem Gebiete. Auch die Ent¬ lassung Puttkamers wog nicht so schwer, daß sie die Kollegen hätte veranlassen müssen, gleich ihm zurückzutreten. Bestätigte sich dagegen die Nachricht, daß Herr Winter zu seinem Nachfolger ersehen sei, so könnte das Kabinet allerdings dadurch bewogen werden, sich zu überlegen, ob es nicht den Gesinnungsgenossen desselben Raum machen und Gelegenheit geben solle, zu zeigen, was sie können und was nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/599>, abgerufen am 27.07.2024.