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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Ministerkrisis in Preußen.

sagt sin Artikel 62 j: "Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern
ist zu jedem Gesetze erforderlich. Dem Könige, sowie jeder Kammer steht das
Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. Gesetze, die vom Könige einmal verworfen
worden sind, können nicht wieder eingebracht werden." Der Minister ist also
ein in der Verfassung kaum genannter Lückenbüßer. ... Ob das nnn in die
konstitutionelle Theorie paßt öder Redner meint die. welche den Parlamentaris¬
mus will, nach welcher abwechselnd die Parteien durch ihre Führer als Minister
regieren^, ist mir vollständig gleichgiltig. Es steht das in der preußischen Ver¬
fassung, und ich kenne kein andres Grundgesetz, nach welchem in Preußen zu
regieren und zu leben ist."

Die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" verband mit einem Rückblicke auf
diese Erklärungen eine Betrachtung der Lage, in der wir den Reichskanzler
selbst zu hören glauben, und die wir deshalb im Auszuge wiedergeben. Es
heißt da im wesentlichen, der Gesetzentwurf in Betreff der Legislaturperioden
sei am 2. Mai von beiden Häusern des Landtages beschlossen worden, also seit
Monatsfrist zur Veröffentlichung reif gewesen, letztere sei indes noch nicht er¬
folgt, entweder weil der König sie aufgeschoben zu sehen gewünscht habe, bis
er zu der Überzeugung gelangt sei, daß die Beschwerden der Opposition über
Wahlmißbräuche begründet oder grundlos seien, oder weil eine Verlängerung
der Wahlperioden aus sachlichen, im Gesetze selbst liegenden Gründen gegen die
Meinungen und Absichten des Monarchen verstieße. Vom Standpunkte des
Verfassungsrechtes sei es gleichgiltig, was der Grund der Verzögerung sei;
denn hier komme es auf Gründe nicht an. Wie die Kammern, jede für sich,
durch Stimmenmehrheit beschlossen, ohne verpflichtet zu sein, ihren Beschluß mit
Gründen zu rechtfertigen, so sei auch der König als dritter gesetzgebender Faktor
befugt, sich auf bloße Kundgebung seiner Zustimmung oder Ablehnung zu be¬
schränken. Seine Stellung dürfte nicht auf das Niveau herabgedrückt werden,
das die Minister einnahmen, welche bei Verhandlungen mit der Volksvertretung
die Überzeugung, die sie aussprächen, mit Gründen zu belegen hätten. Die
Krone bedürfe "keiner weitern Deckung als ihres Willens." Wenn also die
Gründe des königlichen Willens im vorliegenden Falle unbekannt seien, so gehe
aus der Möglichkeit der oben bezeichneten Lage an sich unwiderleglich hervor,
daß die Fiktion der Anhänger des Parlamentarismus, es dürfe bei der Gesetz¬
gebung von der Person und den Absichten des Monarchen überhaupt nicht die
Rede sein, mit der verfassungsmäßigen Einrichtung des preußischen Staates
nicht in Einklang zu bringen sei. "Wenn -- so wird darauf ausgeführt -- "ach
Art. 62 der preußischen Verfassung die Übereinstimmung des Königs mit den
beiden Kammern für jedes Ergebnis der gesetzgebenden Gewalt notwendig ist,
so kann es nicht unzulässig sein, daß ein Minister, welcher mit einer der Kam¬
mern über legislative Maßregeln verhandelt, die Frage erwäge oder zur Er¬
wägung stelle, ob die Allerhöchste Einwilligung, die jener Artikel verlangt, zu


Die Ministerkrisis in Preußen.

sagt sin Artikel 62 j: »Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern
ist zu jedem Gesetze erforderlich. Dem Könige, sowie jeder Kammer steht das
Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. Gesetze, die vom Könige einmal verworfen
worden sind, können nicht wieder eingebracht werden.« Der Minister ist also
ein in der Verfassung kaum genannter Lückenbüßer. ... Ob das nnn in die
konstitutionelle Theorie paßt öder Redner meint die. welche den Parlamentaris¬
mus will, nach welcher abwechselnd die Parteien durch ihre Führer als Minister
regieren^, ist mir vollständig gleichgiltig. Es steht das in der preußischen Ver¬
fassung, und ich kenne kein andres Grundgesetz, nach welchem in Preußen zu
regieren und zu leben ist."

Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" verband mit einem Rückblicke auf
diese Erklärungen eine Betrachtung der Lage, in der wir den Reichskanzler
selbst zu hören glauben, und die wir deshalb im Auszuge wiedergeben. Es
heißt da im wesentlichen, der Gesetzentwurf in Betreff der Legislaturperioden
sei am 2. Mai von beiden Häusern des Landtages beschlossen worden, also seit
Monatsfrist zur Veröffentlichung reif gewesen, letztere sei indes noch nicht er¬
folgt, entweder weil der König sie aufgeschoben zu sehen gewünscht habe, bis
er zu der Überzeugung gelangt sei, daß die Beschwerden der Opposition über
Wahlmißbräuche begründet oder grundlos seien, oder weil eine Verlängerung
der Wahlperioden aus sachlichen, im Gesetze selbst liegenden Gründen gegen die
Meinungen und Absichten des Monarchen verstieße. Vom Standpunkte des
Verfassungsrechtes sei es gleichgiltig, was der Grund der Verzögerung sei;
denn hier komme es auf Gründe nicht an. Wie die Kammern, jede für sich,
durch Stimmenmehrheit beschlossen, ohne verpflichtet zu sein, ihren Beschluß mit
Gründen zu rechtfertigen, so sei auch der König als dritter gesetzgebender Faktor
befugt, sich auf bloße Kundgebung seiner Zustimmung oder Ablehnung zu be¬
schränken. Seine Stellung dürfte nicht auf das Niveau herabgedrückt werden,
das die Minister einnahmen, welche bei Verhandlungen mit der Volksvertretung
die Überzeugung, die sie aussprächen, mit Gründen zu belegen hätten. Die
Krone bedürfe „keiner weitern Deckung als ihres Willens." Wenn also die
Gründe des königlichen Willens im vorliegenden Falle unbekannt seien, so gehe
aus der Möglichkeit der oben bezeichneten Lage an sich unwiderleglich hervor,
daß die Fiktion der Anhänger des Parlamentarismus, es dürfe bei der Gesetz¬
gebung von der Person und den Absichten des Monarchen überhaupt nicht die
Rede sein, mit der verfassungsmäßigen Einrichtung des preußischen Staates
nicht in Einklang zu bringen sei. „Wenn — so wird darauf ausgeführt — »ach
Art. 62 der preußischen Verfassung die Übereinstimmung des Königs mit den
beiden Kammern für jedes Ergebnis der gesetzgebenden Gewalt notwendig ist,
so kann es nicht unzulässig sein, daß ein Minister, welcher mit einer der Kam¬
mern über legislative Maßregeln verhandelt, die Frage erwäge oder zur Er¬
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[0597] Die Ministerkrisis in Preußen. sagt sin Artikel 62 j: »Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich. Dem Könige, sowie jeder Kammer steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. Gesetze, die vom Könige einmal verworfen worden sind, können nicht wieder eingebracht werden.« Der Minister ist also ein in der Verfassung kaum genannter Lückenbüßer. ... Ob das nnn in die konstitutionelle Theorie paßt öder Redner meint die. welche den Parlamentaris¬ mus will, nach welcher abwechselnd die Parteien durch ihre Führer als Minister regieren^, ist mir vollständig gleichgiltig. Es steht das in der preußischen Ver¬ fassung, und ich kenne kein andres Grundgesetz, nach welchem in Preußen zu regieren und zu leben ist." Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" verband mit einem Rückblicke auf diese Erklärungen eine Betrachtung der Lage, in der wir den Reichskanzler selbst zu hören glauben, und die wir deshalb im Auszuge wiedergeben. Es heißt da im wesentlichen, der Gesetzentwurf in Betreff der Legislaturperioden sei am 2. Mai von beiden Häusern des Landtages beschlossen worden, also seit Monatsfrist zur Veröffentlichung reif gewesen, letztere sei indes noch nicht er¬ folgt, entweder weil der König sie aufgeschoben zu sehen gewünscht habe, bis er zu der Überzeugung gelangt sei, daß die Beschwerden der Opposition über Wahlmißbräuche begründet oder grundlos seien, oder weil eine Verlängerung der Wahlperioden aus sachlichen, im Gesetze selbst liegenden Gründen gegen die Meinungen und Absichten des Monarchen verstieße. Vom Standpunkte des Verfassungsrechtes sei es gleichgiltig, was der Grund der Verzögerung sei; denn hier komme es auf Gründe nicht an. Wie die Kammern, jede für sich, durch Stimmenmehrheit beschlossen, ohne verpflichtet zu sein, ihren Beschluß mit Gründen zu rechtfertigen, so sei auch der König als dritter gesetzgebender Faktor befugt, sich auf bloße Kundgebung seiner Zustimmung oder Ablehnung zu be¬ schränken. Seine Stellung dürfte nicht auf das Niveau herabgedrückt werden, das die Minister einnahmen, welche bei Verhandlungen mit der Volksvertretung die Überzeugung, die sie aussprächen, mit Gründen zu belegen hätten. Die Krone bedürfe „keiner weitern Deckung als ihres Willens." Wenn also die Gründe des königlichen Willens im vorliegenden Falle unbekannt seien, so gehe aus der Möglichkeit der oben bezeichneten Lage an sich unwiderleglich hervor, daß die Fiktion der Anhänger des Parlamentarismus, es dürfe bei der Gesetz¬ gebung von der Person und den Absichten des Monarchen überhaupt nicht die Rede sein, mit der verfassungsmäßigen Einrichtung des preußischen Staates nicht in Einklang zu bringen sei. „Wenn — so wird darauf ausgeführt — »ach Art. 62 der preußischen Verfassung die Übereinstimmung des Königs mit den beiden Kammern für jedes Ergebnis der gesetzgebenden Gewalt notwendig ist, so kann es nicht unzulässig sein, daß ein Minister, welcher mit einer der Kam¬ mern über legislative Maßregeln verhandelt, die Frage erwäge oder zur Er¬ wägung stelle, ob die Allerhöchste Einwilligung, die jener Artikel verlangt, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/597>, abgerufen am 28.07.2024.