Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Überzeugung aus: Die Sorge für gute Erziehung und guten Unterricht der
Jugend steht in allererster Reihe; für diesen Zweck darf kein Opfer zu groß er¬
scheinen. Es muß freilich außer dem von mir Vorgeschlagenen noch vieles andre
geschehen, um den Stand der Lehrer für seinen Beruf tüchtiger zu machen und
ihn auf die Stufe zu heben, die seiner Wichtigkeit entspricht. Mein Vorschlag
soll auch nur ein Anfang sein. Irgendwo muß der Hebel zuerst angesetzt
werden -- hier versuche man es. Was sagen vor allem die Lehrer selbst dazu?




Ich komme nun zur zweiten Hälfte meines Gegenstandes: dem Studium
des Griechischen auf den Gymnasien. Hier kann ich mich kürzer fassen. Ich
frage zweierlei: Bedarf der "gebildete" Mann im allgemeinen der Kenntnis
des Griechischen? Bedarf dessen der Fachgelehrte?

Die Kultur des Altertums, soweit sie für uns in Betracht kommt, geht
wesentlich auf das Helleuentnm zurück. Nur in der Architektur, der Geschicht¬
schreibung und der Rechtswissenschaft haben die Römer selbständig bedeutendes
geleistet; im übrigen blieben sie Nachahmer der Griechen oder eigneten sich
an, was diese geschaffen hatte.

Nun wiederhole ich: Die möglichst genaue Bekanntschaft mit der Kultur
des Altertums, namentlich mit den Leistungen der Griechen auf dem Gebiete
der Kunst und der Wissenschaft, wird für den gebildeten Mann unsrer Zeit
und aller Zeiten stets unerläßlich bleiben, ja einen Hauptunterschied zwischen
ihm und den Nichtgebildeten begründen. Ihm diese Bekanntschaft zu vermitteln
muß daher stets als eine Hauptaufgabe unsrer Gymnasien gelten. Ist nun
zur Erreichung dieses Zieles die Kenntnis der griechischen Sprache unerläßlich?

Auch hierüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Im November 1868
wohnte ich in Karlsruhe einer Nbendversammlung des Litterarischen Vereins
bei. Da erklärte Professor W, die höchste Autorität des Landes in Schul¬
angelegenheiten: "Das Nötigste, was der Mensch überhaupt lernen kann, ist
Griechisch: ich habe vier Töchter -- alle vier sind tüchtige Griechinnen." Man
wußte schon von dieser pädagogischen Grausamkeit. Doch wurde Professor W.
aufgefordert, seinen Ausspruch zu begründen. Er that dies kurz und bündig.
"Lessing hat seine Zitate aus griechischen Schriftstellern stets in griechischer
Sprache unter den Text gesetzt. Um diese zu verstehen, muß man des Grie¬
chischen mächtig sein. Wer die Zitate nicht richtig versteht, kann seinen Lessing
nicht verstehen. Wer Lessing nicht versteht, ist kein gebildeter Mann. Huoä
Mi-ut äswon8tiAnäum."

Hierauf sah Eduard Devrient, damals Dramaturg am Karlsruher Theater,
den Sprecher mit flehendem Blicke an und entgegnete: "Somit blicke ich auf
ein gänzlich verfehltes Leben zurück. Fünfzig Jahre hindurch ist der Verfasser
des Laokoon und der Dramaturgie der Gegenstand meines Studiums und die


Überzeugung aus: Die Sorge für gute Erziehung und guten Unterricht der
Jugend steht in allererster Reihe; für diesen Zweck darf kein Opfer zu groß er¬
scheinen. Es muß freilich außer dem von mir Vorgeschlagenen noch vieles andre
geschehen, um den Stand der Lehrer für seinen Beruf tüchtiger zu machen und
ihn auf die Stufe zu heben, die seiner Wichtigkeit entspricht. Mein Vorschlag
soll auch nur ein Anfang sein. Irgendwo muß der Hebel zuerst angesetzt
werden — hier versuche man es. Was sagen vor allem die Lehrer selbst dazu?




Ich komme nun zur zweiten Hälfte meines Gegenstandes: dem Studium
des Griechischen auf den Gymnasien. Hier kann ich mich kürzer fassen. Ich
frage zweierlei: Bedarf der „gebildete" Mann im allgemeinen der Kenntnis
des Griechischen? Bedarf dessen der Fachgelehrte?

Die Kultur des Altertums, soweit sie für uns in Betracht kommt, geht
wesentlich auf das Helleuentnm zurück. Nur in der Architektur, der Geschicht¬
schreibung und der Rechtswissenschaft haben die Römer selbständig bedeutendes
geleistet; im übrigen blieben sie Nachahmer der Griechen oder eigneten sich
an, was diese geschaffen hatte.

Nun wiederhole ich: Die möglichst genaue Bekanntschaft mit der Kultur
des Altertums, namentlich mit den Leistungen der Griechen auf dem Gebiete
der Kunst und der Wissenschaft, wird für den gebildeten Mann unsrer Zeit
und aller Zeiten stets unerläßlich bleiben, ja einen Hauptunterschied zwischen
ihm und den Nichtgebildeten begründen. Ihm diese Bekanntschaft zu vermitteln
muß daher stets als eine Hauptaufgabe unsrer Gymnasien gelten. Ist nun
zur Erreichung dieses Zieles die Kenntnis der griechischen Sprache unerläßlich?

Auch hierüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Im November 1868
wohnte ich in Karlsruhe einer Nbendversammlung des Litterarischen Vereins
bei. Da erklärte Professor W, die höchste Autorität des Landes in Schul¬
angelegenheiten: „Das Nötigste, was der Mensch überhaupt lernen kann, ist
Griechisch: ich habe vier Töchter — alle vier sind tüchtige Griechinnen." Man
wußte schon von dieser pädagogischen Grausamkeit. Doch wurde Professor W.
aufgefordert, seinen Ausspruch zu begründen. Er that dies kurz und bündig.
„Lessing hat seine Zitate aus griechischen Schriftstellern stets in griechischer
Sprache unter den Text gesetzt. Um diese zu verstehen, muß man des Grie¬
chischen mächtig sein. Wer die Zitate nicht richtig versteht, kann seinen Lessing
nicht verstehen. Wer Lessing nicht versteht, ist kein gebildeter Mann. Huoä
Mi-ut äswon8tiAnäum."

Hierauf sah Eduard Devrient, damals Dramaturg am Karlsruher Theater,
den Sprecher mit flehendem Blicke an und entgegnete: „Somit blicke ich auf
ein gänzlich verfehltes Leben zurück. Fünfzig Jahre hindurch ist der Verfasser
des Laokoon und der Dramaturgie der Gegenstand meines Studiums und die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0579" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203356"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1823" prev="#ID_1822"> Überzeugung aus: Die Sorge für gute Erziehung und guten Unterricht der<lb/>
Jugend steht in allererster Reihe; für diesen Zweck darf kein Opfer zu groß er¬<lb/>
scheinen. Es muß freilich außer dem von mir Vorgeschlagenen noch vieles andre<lb/>
geschehen, um den Stand der Lehrer für seinen Beruf tüchtiger zu machen und<lb/>
ihn auf die Stufe zu heben, die seiner Wichtigkeit entspricht. Mein Vorschlag<lb/>
soll auch nur ein Anfang sein. Irgendwo muß der Hebel zuerst angesetzt<lb/>
werden &#x2014; hier versuche man es. Was sagen vor allem die Lehrer selbst dazu?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1824"> Ich komme nun zur zweiten Hälfte meines Gegenstandes: dem Studium<lb/>
des Griechischen auf den Gymnasien. Hier kann ich mich kürzer fassen. Ich<lb/>
frage zweierlei: Bedarf der &#x201E;gebildete" Mann im allgemeinen der Kenntnis<lb/>
des Griechischen? Bedarf dessen der Fachgelehrte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1825"> Die Kultur des Altertums, soweit sie für uns in Betracht kommt, geht<lb/>
wesentlich auf das Helleuentnm zurück. Nur in der Architektur, der Geschicht¬<lb/>
schreibung und der Rechtswissenschaft haben die Römer selbständig bedeutendes<lb/>
geleistet; im übrigen blieben sie Nachahmer der Griechen oder eigneten sich<lb/>
an, was diese geschaffen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1826"> Nun wiederhole ich: Die möglichst genaue Bekanntschaft mit der Kultur<lb/>
des Altertums, namentlich mit den Leistungen der Griechen auf dem Gebiete<lb/>
der Kunst und der Wissenschaft, wird für den gebildeten Mann unsrer Zeit<lb/>
und aller Zeiten stets unerläßlich bleiben, ja einen Hauptunterschied zwischen<lb/>
ihm und den Nichtgebildeten begründen. Ihm diese Bekanntschaft zu vermitteln<lb/>
muß daher stets als eine Hauptaufgabe unsrer Gymnasien gelten. Ist nun<lb/>
zur Erreichung dieses Zieles die Kenntnis der griechischen Sprache unerläßlich?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1827"> Auch hierüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Im November 1868<lb/>
wohnte ich in Karlsruhe einer Nbendversammlung des Litterarischen Vereins<lb/>
bei. Da erklärte Professor W, die höchste Autorität des Landes in Schul¬<lb/>
angelegenheiten: &#x201E;Das Nötigste, was der Mensch überhaupt lernen kann, ist<lb/>
Griechisch: ich habe vier Töchter &#x2014; alle vier sind tüchtige Griechinnen." Man<lb/>
wußte schon von dieser pädagogischen Grausamkeit. Doch wurde Professor W.<lb/>
aufgefordert, seinen Ausspruch zu begründen. Er that dies kurz und bündig.<lb/>
&#x201E;Lessing hat seine Zitate aus griechischen Schriftstellern stets in griechischer<lb/>
Sprache unter den Text gesetzt. Um diese zu verstehen, muß man des Grie¬<lb/>
chischen mächtig sein. Wer die Zitate nicht richtig versteht, kann seinen Lessing<lb/>
nicht verstehen. Wer Lessing nicht versteht, ist kein gebildeter Mann. Huoä<lb/>
Mi-ut äswon8tiAnäum."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1828" next="#ID_1829"> Hierauf sah Eduard Devrient, damals Dramaturg am Karlsruher Theater,<lb/>
den Sprecher mit flehendem Blicke an und entgegnete: &#x201E;Somit blicke ich auf<lb/>
ein gänzlich verfehltes Leben zurück. Fünfzig Jahre hindurch ist der Verfasser<lb/>
des Laokoon und der Dramaturgie der Gegenstand meines Studiums und die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0579] Überzeugung aus: Die Sorge für gute Erziehung und guten Unterricht der Jugend steht in allererster Reihe; für diesen Zweck darf kein Opfer zu groß er¬ scheinen. Es muß freilich außer dem von mir Vorgeschlagenen noch vieles andre geschehen, um den Stand der Lehrer für seinen Beruf tüchtiger zu machen und ihn auf die Stufe zu heben, die seiner Wichtigkeit entspricht. Mein Vorschlag soll auch nur ein Anfang sein. Irgendwo muß der Hebel zuerst angesetzt werden — hier versuche man es. Was sagen vor allem die Lehrer selbst dazu? Ich komme nun zur zweiten Hälfte meines Gegenstandes: dem Studium des Griechischen auf den Gymnasien. Hier kann ich mich kürzer fassen. Ich frage zweierlei: Bedarf der „gebildete" Mann im allgemeinen der Kenntnis des Griechischen? Bedarf dessen der Fachgelehrte? Die Kultur des Altertums, soweit sie für uns in Betracht kommt, geht wesentlich auf das Helleuentnm zurück. Nur in der Architektur, der Geschicht¬ schreibung und der Rechtswissenschaft haben die Römer selbständig bedeutendes geleistet; im übrigen blieben sie Nachahmer der Griechen oder eigneten sich an, was diese geschaffen hatte. Nun wiederhole ich: Die möglichst genaue Bekanntschaft mit der Kultur des Altertums, namentlich mit den Leistungen der Griechen auf dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft, wird für den gebildeten Mann unsrer Zeit und aller Zeiten stets unerläßlich bleiben, ja einen Hauptunterschied zwischen ihm und den Nichtgebildeten begründen. Ihm diese Bekanntschaft zu vermitteln muß daher stets als eine Hauptaufgabe unsrer Gymnasien gelten. Ist nun zur Erreichung dieses Zieles die Kenntnis der griechischen Sprache unerläßlich? Auch hierüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Im November 1868 wohnte ich in Karlsruhe einer Nbendversammlung des Litterarischen Vereins bei. Da erklärte Professor W, die höchste Autorität des Landes in Schul¬ angelegenheiten: „Das Nötigste, was der Mensch überhaupt lernen kann, ist Griechisch: ich habe vier Töchter — alle vier sind tüchtige Griechinnen." Man wußte schon von dieser pädagogischen Grausamkeit. Doch wurde Professor W. aufgefordert, seinen Ausspruch zu begründen. Er that dies kurz und bündig. „Lessing hat seine Zitate aus griechischen Schriftstellern stets in griechischer Sprache unter den Text gesetzt. Um diese zu verstehen, muß man des Grie¬ chischen mächtig sein. Wer die Zitate nicht richtig versteht, kann seinen Lessing nicht verstehen. Wer Lessing nicht versteht, ist kein gebildeter Mann. Huoä Mi-ut äswon8tiAnäum." Hierauf sah Eduard Devrient, damals Dramaturg am Karlsruher Theater, den Sprecher mit flehendem Blicke an und entgegnete: „Somit blicke ich auf ein gänzlich verfehltes Leben zurück. Fünfzig Jahre hindurch ist der Verfasser des Laokoon und der Dramaturgie der Gegenstand meines Studiums und die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/579
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/579>, abgerufen am 01.09.2024.