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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ivcihlfreiheit und Freisinn.

Von Druck und Beängstigung, ausgeübt auf Geheiß deutschfreisinnigcr Agi¬
tatoren von freisinnigen Hausbesitzern und Arbeitgebern, ist nach freisinniger
Auslegung in solchem Treiben natürlich keine Spur; wenn aber auf Grund
eines Allerhöchsten Erlasses der Minister von Puttkamer am 6. Dezember 1883
erklärte, daß keinen Beamten wegen seiner Abstimmung ein Nachteil getroffen
habe oder treffen werde, daß es aber eine andre Frage sei, ob die Regierung
verpflichtet oder berechtigt sei, Beamte zur Beförderung und Auszeichnung vor¬
zuschlagen, die sich einer Agitation und notorischen Stellungnahme gegen die
Staatsregierung schuldig gemacht und sich zu ihr in "dauernde Opposition" ge¬
setzt hätten, so bezeichnet dies der Freisinn als unerhörte Beschränkung der
Wahlfreiheit. Wie am 6. Dezember 1883, sprach sich der Minister nach einem
seiner Zeit von der "Provinzialkorrespondenz" gebrachten Artikel über "die
Wahlfreiheit und die Beamten" auch dem Abgeordneten Nickert gegenüber am
14. Dezember 1383 aus, indem er nachwies, daß jedes ersprießliche Zusammen¬
wirken zwischen der Regierung und den Beamten das Vertrauen zur Grundlage
habe und daß von einem solchen Vertrauen zwischen grundsätzlichen und erklärten
politischen Gegnern weder bei uns, noch sonst irgendwo die Rede sein könne.
Auf ihre politischen Beamten müsse die Regierung auch rücksichtlich der Wahlen
rechnen können, die Erhaltung eines Vertrauensverhältnisses zu den übrigen
Beamten aber sei davon abhängig, daß sie sich jeder gegen die Negicrungs-
politik gerichteten agitatorischen Thätigkeit enthielten. Die persönliche Ausübung
des Wahlrechts habe mit dieser Mindestforderung, deren Unentbehrlichkeit nicht
nur vom Reichskanzler, sondern bei gegebener Gelegenheit auch von dem Reichs¬
gerichte anerkannt worden sei, nichts gemein. Über diese Forderung aber sei
die Regierung niemals hinausgegangen, niemals habe sie eine willenlose Unter¬
ordnung der Beamten unter die Regierungsanschaunngen gefordert. Darauf
werde umso größeres Gewicht zu legen sein, als die Parteien der liberalen
Opposition ihrer Zeit erheblich weiter gegangen seien und unbedingt verlangt
hätten, daß nicht nur die Handlungen, sondern auch die Gesinnungen der Be¬
amten in Betracht gezogen und daß Vertreter von Meinungen, die von der Rc-
gierungspolitik abwichen, erforderlichenfalls "geopfert" werden sollten.

Der Minister gab diese bündigen und jeden vom "Freisinn" nicht ange¬
kränkelten Mann überzeugenden Erklärungen ab in der Sitzung des Abgeordneten¬
hauses, die der einen Etatsposition geopfert wurde: "Gehalt des Ministers des
Innern 36 000 Mark." Als es zur Abstimmung kam, gab die Linke ein Votum
ab, das von der "Schlesischen Zeitung" mit Recht als revolutionär, als ein
Eingriff in die Rechte des Königs, als ein Mißbrauch des Rechtes der Volks¬
vertretung bezeichnet wurde. Fortschritt, Sezession und ein Teil der National¬
liberalen verweigerten den Gehalt des Ministers.

"So oft der großen liberalen Partei -- schrieb damals die "Schlesische
Zeitung" -- vorgehalten worden ist, sie beanspruche -- dem Wortlaute wie dem


Ivcihlfreiheit und Freisinn.

Von Druck und Beängstigung, ausgeübt auf Geheiß deutschfreisinnigcr Agi¬
tatoren von freisinnigen Hausbesitzern und Arbeitgebern, ist nach freisinniger
Auslegung in solchem Treiben natürlich keine Spur; wenn aber auf Grund
eines Allerhöchsten Erlasses der Minister von Puttkamer am 6. Dezember 1883
erklärte, daß keinen Beamten wegen seiner Abstimmung ein Nachteil getroffen
habe oder treffen werde, daß es aber eine andre Frage sei, ob die Regierung
verpflichtet oder berechtigt sei, Beamte zur Beförderung und Auszeichnung vor¬
zuschlagen, die sich einer Agitation und notorischen Stellungnahme gegen die
Staatsregierung schuldig gemacht und sich zu ihr in „dauernde Opposition" ge¬
setzt hätten, so bezeichnet dies der Freisinn als unerhörte Beschränkung der
Wahlfreiheit. Wie am 6. Dezember 1883, sprach sich der Minister nach einem
seiner Zeit von der „Provinzialkorrespondenz" gebrachten Artikel über „die
Wahlfreiheit und die Beamten" auch dem Abgeordneten Nickert gegenüber am
14. Dezember 1383 aus, indem er nachwies, daß jedes ersprießliche Zusammen¬
wirken zwischen der Regierung und den Beamten das Vertrauen zur Grundlage
habe und daß von einem solchen Vertrauen zwischen grundsätzlichen und erklärten
politischen Gegnern weder bei uns, noch sonst irgendwo die Rede sein könne.
Auf ihre politischen Beamten müsse die Regierung auch rücksichtlich der Wahlen
rechnen können, die Erhaltung eines Vertrauensverhältnisses zu den übrigen
Beamten aber sei davon abhängig, daß sie sich jeder gegen die Negicrungs-
politik gerichteten agitatorischen Thätigkeit enthielten. Die persönliche Ausübung
des Wahlrechts habe mit dieser Mindestforderung, deren Unentbehrlichkeit nicht
nur vom Reichskanzler, sondern bei gegebener Gelegenheit auch von dem Reichs¬
gerichte anerkannt worden sei, nichts gemein. Über diese Forderung aber sei
die Regierung niemals hinausgegangen, niemals habe sie eine willenlose Unter¬
ordnung der Beamten unter die Regierungsanschaunngen gefordert. Darauf
werde umso größeres Gewicht zu legen sein, als die Parteien der liberalen
Opposition ihrer Zeit erheblich weiter gegangen seien und unbedingt verlangt
hätten, daß nicht nur die Handlungen, sondern auch die Gesinnungen der Be¬
amten in Betracht gezogen und daß Vertreter von Meinungen, die von der Rc-
gierungspolitik abwichen, erforderlichenfalls „geopfert" werden sollten.

Der Minister gab diese bündigen und jeden vom „Freisinn" nicht ange¬
kränkelten Mann überzeugenden Erklärungen ab in der Sitzung des Abgeordneten¬
hauses, die der einen Etatsposition geopfert wurde: „Gehalt des Ministers des
Innern 36 000 Mark." Als es zur Abstimmung kam, gab die Linke ein Votum
ab, das von der „Schlesischen Zeitung" mit Recht als revolutionär, als ein
Eingriff in die Rechte des Königs, als ein Mißbrauch des Rechtes der Volks¬
vertretung bezeichnet wurde. Fortschritt, Sezession und ein Teil der National¬
liberalen verweigerten den Gehalt des Ministers.

„So oft der großen liberalen Partei — schrieb damals die »Schlesische
Zeitung« — vorgehalten worden ist, sie beanspruche — dem Wortlaute wie dem


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[0564] Ivcihlfreiheit und Freisinn. Von Druck und Beängstigung, ausgeübt auf Geheiß deutschfreisinnigcr Agi¬ tatoren von freisinnigen Hausbesitzern und Arbeitgebern, ist nach freisinniger Auslegung in solchem Treiben natürlich keine Spur; wenn aber auf Grund eines Allerhöchsten Erlasses der Minister von Puttkamer am 6. Dezember 1883 erklärte, daß keinen Beamten wegen seiner Abstimmung ein Nachteil getroffen habe oder treffen werde, daß es aber eine andre Frage sei, ob die Regierung verpflichtet oder berechtigt sei, Beamte zur Beförderung und Auszeichnung vor¬ zuschlagen, die sich einer Agitation und notorischen Stellungnahme gegen die Staatsregierung schuldig gemacht und sich zu ihr in „dauernde Opposition" ge¬ setzt hätten, so bezeichnet dies der Freisinn als unerhörte Beschränkung der Wahlfreiheit. Wie am 6. Dezember 1883, sprach sich der Minister nach einem seiner Zeit von der „Provinzialkorrespondenz" gebrachten Artikel über „die Wahlfreiheit und die Beamten" auch dem Abgeordneten Nickert gegenüber am 14. Dezember 1383 aus, indem er nachwies, daß jedes ersprießliche Zusammen¬ wirken zwischen der Regierung und den Beamten das Vertrauen zur Grundlage habe und daß von einem solchen Vertrauen zwischen grundsätzlichen und erklärten politischen Gegnern weder bei uns, noch sonst irgendwo die Rede sein könne. Auf ihre politischen Beamten müsse die Regierung auch rücksichtlich der Wahlen rechnen können, die Erhaltung eines Vertrauensverhältnisses zu den übrigen Beamten aber sei davon abhängig, daß sie sich jeder gegen die Negicrungs- politik gerichteten agitatorischen Thätigkeit enthielten. Die persönliche Ausübung des Wahlrechts habe mit dieser Mindestforderung, deren Unentbehrlichkeit nicht nur vom Reichskanzler, sondern bei gegebener Gelegenheit auch von dem Reichs¬ gerichte anerkannt worden sei, nichts gemein. Über diese Forderung aber sei die Regierung niemals hinausgegangen, niemals habe sie eine willenlose Unter¬ ordnung der Beamten unter die Regierungsanschaunngen gefordert. Darauf werde umso größeres Gewicht zu legen sein, als die Parteien der liberalen Opposition ihrer Zeit erheblich weiter gegangen seien und unbedingt verlangt hätten, daß nicht nur die Handlungen, sondern auch die Gesinnungen der Be¬ amten in Betracht gezogen und daß Vertreter von Meinungen, die von der Rc- gierungspolitik abwichen, erforderlichenfalls „geopfert" werden sollten. Der Minister gab diese bündigen und jeden vom „Freisinn" nicht ange¬ kränkelten Mann überzeugenden Erklärungen ab in der Sitzung des Abgeordneten¬ hauses, die der einen Etatsposition geopfert wurde: „Gehalt des Ministers des Innern 36 000 Mark." Als es zur Abstimmung kam, gab die Linke ein Votum ab, das von der „Schlesischen Zeitung" mit Recht als revolutionär, als ein Eingriff in die Rechte des Königs, als ein Mißbrauch des Rechtes der Volks¬ vertretung bezeichnet wurde. Fortschritt, Sezession und ein Teil der National¬ liberalen verweigerten den Gehalt des Ministers. „So oft der großen liberalen Partei — schrieb damals die »Schlesische Zeitung« — vorgehalten worden ist, sie beanspruche — dem Wortlaute wie dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/564>, abgerufen am 01.09.2024.