Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Wahlfreiheit und Freisinn. nur abgelistet worden. Die eigentlichen Gründer sind die Herren Bamberger, Wo ist da etwas von "Druck und Beängstigung" zu spüren, die die Re¬ Vertraulich! Berlin, im Oktober 1333. Sehr geehrter Herr! Der Umstand, daß die Wahl des liberalen Kandidaten der dritten Abteilung Hochachtungsvoll Das liberale Komitee. I. A: L. Sachs. Wahlfreiheit und Freisinn. nur abgelistet worden. Die eigentlichen Gründer sind die Herren Bamberger, Wo ist da etwas von „Druck und Beängstigung" zu spüren, die die Re¬ Vertraulich! Berlin, im Oktober 1333. Sehr geehrter Herr! Der Umstand, daß die Wahl des liberalen Kandidaten der dritten Abteilung Hochachtungsvoll Das liberale Komitee. I. A: L. Sachs. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0563" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203340"/> <fw type="header" place="top"> Wahlfreiheit und Freisinn.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1763" prev="#ID_1762"> nur abgelistet worden. Die eigentlichen Gründer sind die Herren Bamberger,<lb/> Rickert und Stauffenberg. Als ob man nicht wüßte, daß die Versailler Ver¬<lb/> träge fertig waren, bevor noch die Koryphäen des Norddeutschen Reichstags eine<lb/> Ahnung hatten. ... Es muß von den oppositionellen Parteien künstlicher Lärm<lb/> gemacht werden, weil ihnen die Stille der Wahlbewegung, die Zurückhaltung der<lb/> Regierung gerade so unheimlich ist, wie einst dem Segelschiffer der Eintritt in<lb/> die Region der Windstillen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1764"> Wo ist da etwas von „Druck und Beängstigung" zu spüren, die die Re¬<lb/> gierung ausgeübt haben soll, daß den Wählern angst und bange wurde, für<lb/> die Freisinnigen ihre Stimme abzugeben? Regierung und Wahlbeeinflussung<lb/> sind aber diesen Herren unzertrennliche Begriffe geworden, ebenso wie sie hinter<lb/> jeder That der Regierung Reaktion wittern, ohne daß der geringste Grund dazu<lb/> vorliegt. Aber wehe dem, der an der Heilighaltung der Wahlfreiheit bei den<lb/> Freisinnigen den leisesten Zweifel hegt. Und doch wagen wir daran nicht bloß<lb/> zu zweifeln. Was ein Freisinniger mit der von ihm verbürgten Wahlfreiheit<lb/> zu vereinen imstande ist, beweist ein von dem „Deutschen Tageblatt" im Ok¬<lb/> tober 1883 veröffentlichtes Schreiben des „liberalen," wohl richtiger „fortschritt¬<lb/> lichen" oder jetzt „freisinnigen" Wahlkomitees in demjenigen Berliner Gemeinde¬<lb/> wahlbezirk, in welchem der freisinnige Neichstagsabgeordnete Dr. Hermes als<lb/> Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung aufgestellt war. Das unvor¬<lb/> sichtigerweise einem Anhänger der konservativen „Vürgerpartei" — einem Haus¬<lb/> wirt — übersandte Schreiben lautete:</p><lb/> <p xml:id="ID_1765"> Vertraulich! Berlin, im Oktober 1333.<lb/> Dorotheenstraße 7.</p><lb/> <note type="salute"> Sehr geehrter Herr!</note><lb/> <p xml:id="ID_1766"> Der Umstand, daß die Wahl des liberalen Kandidaten der dritten Abteilung<lb/> in den Stadtbezirken 17 bis 20, 22 bis 26 und 28 bis 29 des Herrn Dr. Hermes,<lb/> Unter den Linden 68a, sehr gefährdet ist, da die kleinen Beamten der hier zahl¬<lb/> reich vorhandnen Staatsinstitute die Bttrgerpartei in ihren antisemitischen Bestre¬<lb/> bungen schon bei den letzten Landtagswahlen fast einmütig unterstützt haben und<lb/> vollzählig anzutreten pflegen, veranlaßt uns, Sie ergebenst zu ersuchen, auf die in<lb/> Ihrem Hause wohnenden Wähler der dritten Abteilung mit aller Energie auf die<lb/> Wahl des liberalen Kandidaten hinzuwirken. Die Beziehungen der Wähler der<lb/> ersten und zweiten Abteilung — namentlich in ihrer Eigenschaft als Hausbesitzer<lb/> und Arbeitgeber — zu denen der dritten Abteilung sind so mannichfache, daß,<lb/> wenn dieselben voll und ganz ausgenutzt werden »oll und ganz! ohne das gehts<lb/> nichts die Majorität unzweifelhaft der liberalen Partei zufallen muß. Die außer¬<lb/> ordentliche Rührigkeit der Gegner macht auch unserseits die allergrößten An¬<lb/> strengungen zur unabwendbaren Notwendigkeit, weshalb wir Sie nochmals dringend<lb/> ersuchen, die liberalen Elemente, insbesondre der dritten Abteilung, zu einer leb¬<lb/> haften Wahlbeteiligung anzuregen.</p><lb/> <note type="closer"> Hochachtungsvoll<note type="bibl"> Das liberale Komitee.<lb/> I. A: L. Sachs.</note></note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0563]
Wahlfreiheit und Freisinn.
nur abgelistet worden. Die eigentlichen Gründer sind die Herren Bamberger,
Rickert und Stauffenberg. Als ob man nicht wüßte, daß die Versailler Ver¬
träge fertig waren, bevor noch die Koryphäen des Norddeutschen Reichstags eine
Ahnung hatten. ... Es muß von den oppositionellen Parteien künstlicher Lärm
gemacht werden, weil ihnen die Stille der Wahlbewegung, die Zurückhaltung der
Regierung gerade so unheimlich ist, wie einst dem Segelschiffer der Eintritt in
die Region der Windstillen."
Wo ist da etwas von „Druck und Beängstigung" zu spüren, die die Re¬
gierung ausgeübt haben soll, daß den Wählern angst und bange wurde, für
die Freisinnigen ihre Stimme abzugeben? Regierung und Wahlbeeinflussung
sind aber diesen Herren unzertrennliche Begriffe geworden, ebenso wie sie hinter
jeder That der Regierung Reaktion wittern, ohne daß der geringste Grund dazu
vorliegt. Aber wehe dem, der an der Heilighaltung der Wahlfreiheit bei den
Freisinnigen den leisesten Zweifel hegt. Und doch wagen wir daran nicht bloß
zu zweifeln. Was ein Freisinniger mit der von ihm verbürgten Wahlfreiheit
zu vereinen imstande ist, beweist ein von dem „Deutschen Tageblatt" im Ok¬
tober 1883 veröffentlichtes Schreiben des „liberalen," wohl richtiger „fortschritt¬
lichen" oder jetzt „freisinnigen" Wahlkomitees in demjenigen Berliner Gemeinde¬
wahlbezirk, in welchem der freisinnige Neichstagsabgeordnete Dr. Hermes als
Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung aufgestellt war. Das unvor¬
sichtigerweise einem Anhänger der konservativen „Vürgerpartei" — einem Haus¬
wirt — übersandte Schreiben lautete:
Vertraulich! Berlin, im Oktober 1333.
Dorotheenstraße 7.
Sehr geehrter Herr!
Der Umstand, daß die Wahl des liberalen Kandidaten der dritten Abteilung
in den Stadtbezirken 17 bis 20, 22 bis 26 und 28 bis 29 des Herrn Dr. Hermes,
Unter den Linden 68a, sehr gefährdet ist, da die kleinen Beamten der hier zahl¬
reich vorhandnen Staatsinstitute die Bttrgerpartei in ihren antisemitischen Bestre¬
bungen schon bei den letzten Landtagswahlen fast einmütig unterstützt haben und
vollzählig anzutreten pflegen, veranlaßt uns, Sie ergebenst zu ersuchen, auf die in
Ihrem Hause wohnenden Wähler der dritten Abteilung mit aller Energie auf die
Wahl des liberalen Kandidaten hinzuwirken. Die Beziehungen der Wähler der
ersten und zweiten Abteilung — namentlich in ihrer Eigenschaft als Hausbesitzer
und Arbeitgeber — zu denen der dritten Abteilung sind so mannichfache, daß,
wenn dieselben voll und ganz ausgenutzt werden »oll und ganz! ohne das gehts
nichts die Majorität unzweifelhaft der liberalen Partei zufallen muß. Die außer¬
ordentliche Rührigkeit der Gegner macht auch unserseits die allergrößten An¬
strengungen zur unabwendbaren Notwendigkeit, weshalb wir Sie nochmals dringend
ersuchen, die liberalen Elemente, insbesondre der dritten Abteilung, zu einer leb¬
haften Wahlbeteiligung anzuregen.
Hochachtungsvoll Das liberale Komitee.
I. A: L. Sachs.
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