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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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ZVahlfreihoit und Freisinn.

Geiste unsrer Verfassung durchaus entgegen -- den Verzicht der Krone auf das
Recht, ihre Minister frei zu wählen, bestritt sie dies hartnäckig. Jetzt aber ist
der Beweis auf das überzeugendste geführt. Die Verweigerung des Minister-
gehaltes kann keinen andern Sinn haben als entweder: erstens, wir wollen über¬
haupt einen Minister des Innern nicht, oder zweitens, wir wollen den gegen¬
wärtigen Minister nicht und werden den Gehalt erst bewilligen, wenn ihn der
König entläßt und eine Persönlichkeit an seine Stelle beruft, die uns paßt. Ein
drittes giebt es nicht, wenn man überhaupt noch ernste Politik, nicht ein fri¬
voles Spiel treiben will. Die Alternative unter 1 ist Unsinn, die unter 2 ist
ein Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Krone."

Und Leute, die solches gethan haben, haben die Stirn, durch den Ab¬
geordneten Richter in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses bei der De¬
batte über die Elbiug-Marienburger Wahl ins Land hinauszuschreien: "Meine
Herren, Sie fragen, warum wir jetzt mit unsrer Loyalität hervortreten? Nun,
wenn andre Parteien derart ^es sind natürlich die Kartellparteien gemeint) in
der Illoyalität wetteifern, wenn solche illoyale Vorkommnisse ^die Breslauer und
Leipziger Adresse) im Lande sich ereignen, dann sind wir allerdings verpflichtet,
gerade einem schwerkranken Kaiser gegenüber unsrer Loyalität einen schärferen
Ausdruck zu geben." So wagt jetzt der Parteigeuosse Virchows zu sprechen,
des Mannes, der in einer Versammlung der fortschrittlichen Wähler des zweiten
Berliner Wahlkreises im September 1884 einräumte, daß die Fortschrittspartei
die Verwirklichung der Parole: "Fort mit Bismarck" ohne weiteres Zuthun
von der Zeit, und zwar von einem unausbleiblichen Ereignisse in der Zeit,
hoffe. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, daher bricht die maßlose Wut
des Freisinns gegen den treuesten Diener des Kaisers und des Reiches von
neuem los.

Herr Richter und seine politischen Freunde sind die Träume, von denen
sie vor vier Jahren berückt worden waren, noch nicht los geworden. Die
Herren glaubten damals, die Person des Kronprinzen, unsers jetzigen Kaisers,
in die politischen ParteMmpfc hineinziehen und den Erben der Reichskronc als
einen besondern Freund und Gönner der Partei Rickert-Richter hinstellen zu
können. Die Belehrung, die ihnen damals von der "Frankfurter Zeitung," einem
demokratischen Blatte, zu teil wurde, verdient in Erinnerung gebracht zu werden.
Das demokratische Blatt schrieb: "Ungescheut haben wir zuweilen Herrn Richters
politische Fehler aufgedeckt, vor allem die Art, wie er im "Reichsfreund" jdem
Richterschen Leiborgan) den Kronprinzen als eine Art Hospitanten der frei¬
sinnigen Partei behandelt hat---- Herr Richter weiß, daß uns die "Nach¬
richten," auf denen diese Kronprinzelei basirt, so gut bekannt waren wie ihm,
wir haben sie im Interesse der Freisinnigen unterdrückt, er, der Führer, hat sie
ausposaunt, und der Erfolg? Es giebt Männer, die Herrn Richter sehr nahe
stehen und der festen Überzeugung sind, daß er und sein "Neichsfreund" mit die


ZVahlfreihoit und Freisinn.

Geiste unsrer Verfassung durchaus entgegen — den Verzicht der Krone auf das
Recht, ihre Minister frei zu wählen, bestritt sie dies hartnäckig. Jetzt aber ist
der Beweis auf das überzeugendste geführt. Die Verweigerung des Minister-
gehaltes kann keinen andern Sinn haben als entweder: erstens, wir wollen über¬
haupt einen Minister des Innern nicht, oder zweitens, wir wollen den gegen¬
wärtigen Minister nicht und werden den Gehalt erst bewilligen, wenn ihn der
König entläßt und eine Persönlichkeit an seine Stelle beruft, die uns paßt. Ein
drittes giebt es nicht, wenn man überhaupt noch ernste Politik, nicht ein fri¬
voles Spiel treiben will. Die Alternative unter 1 ist Unsinn, die unter 2 ist
ein Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Krone."

Und Leute, die solches gethan haben, haben die Stirn, durch den Ab¬
geordneten Richter in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses bei der De¬
batte über die Elbiug-Marienburger Wahl ins Land hinauszuschreien: „Meine
Herren, Sie fragen, warum wir jetzt mit unsrer Loyalität hervortreten? Nun,
wenn andre Parteien derart ^es sind natürlich die Kartellparteien gemeint) in
der Illoyalität wetteifern, wenn solche illoyale Vorkommnisse ^die Breslauer und
Leipziger Adresse) im Lande sich ereignen, dann sind wir allerdings verpflichtet,
gerade einem schwerkranken Kaiser gegenüber unsrer Loyalität einen schärferen
Ausdruck zu geben." So wagt jetzt der Parteigeuosse Virchows zu sprechen,
des Mannes, der in einer Versammlung der fortschrittlichen Wähler des zweiten
Berliner Wahlkreises im September 1884 einräumte, daß die Fortschrittspartei
die Verwirklichung der Parole: „Fort mit Bismarck" ohne weiteres Zuthun
von der Zeit, und zwar von einem unausbleiblichen Ereignisse in der Zeit,
hoffe. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, daher bricht die maßlose Wut
des Freisinns gegen den treuesten Diener des Kaisers und des Reiches von
neuem los.

Herr Richter und seine politischen Freunde sind die Träume, von denen
sie vor vier Jahren berückt worden waren, noch nicht los geworden. Die
Herren glaubten damals, die Person des Kronprinzen, unsers jetzigen Kaisers,
in die politischen ParteMmpfc hineinziehen und den Erben der Reichskronc als
einen besondern Freund und Gönner der Partei Rickert-Richter hinstellen zu
können. Die Belehrung, die ihnen damals von der „Frankfurter Zeitung," einem
demokratischen Blatte, zu teil wurde, verdient in Erinnerung gebracht zu werden.
Das demokratische Blatt schrieb: „Ungescheut haben wir zuweilen Herrn Richters
politische Fehler aufgedeckt, vor allem die Art, wie er im »Reichsfreund« jdem
Richterschen Leiborgan) den Kronprinzen als eine Art Hospitanten der frei¬
sinnigen Partei behandelt hat---- Herr Richter weiß, daß uns die »Nach¬
richten,« auf denen diese Kronprinzelei basirt, so gut bekannt waren wie ihm,
wir haben sie im Interesse der Freisinnigen unterdrückt, er, der Führer, hat sie
ausposaunt, und der Erfolg? Es giebt Männer, die Herrn Richter sehr nahe
stehen und der festen Überzeugung sind, daß er und sein »Neichsfreund« mit die


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[0565] ZVahlfreihoit und Freisinn. Geiste unsrer Verfassung durchaus entgegen — den Verzicht der Krone auf das Recht, ihre Minister frei zu wählen, bestritt sie dies hartnäckig. Jetzt aber ist der Beweis auf das überzeugendste geführt. Die Verweigerung des Minister- gehaltes kann keinen andern Sinn haben als entweder: erstens, wir wollen über¬ haupt einen Minister des Innern nicht, oder zweitens, wir wollen den gegen¬ wärtigen Minister nicht und werden den Gehalt erst bewilligen, wenn ihn der König entläßt und eine Persönlichkeit an seine Stelle beruft, die uns paßt. Ein drittes giebt es nicht, wenn man überhaupt noch ernste Politik, nicht ein fri¬ voles Spiel treiben will. Die Alternative unter 1 ist Unsinn, die unter 2 ist ein Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Krone." Und Leute, die solches gethan haben, haben die Stirn, durch den Ab¬ geordneten Richter in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses bei der De¬ batte über die Elbiug-Marienburger Wahl ins Land hinauszuschreien: „Meine Herren, Sie fragen, warum wir jetzt mit unsrer Loyalität hervortreten? Nun, wenn andre Parteien derart ^es sind natürlich die Kartellparteien gemeint) in der Illoyalität wetteifern, wenn solche illoyale Vorkommnisse ^die Breslauer und Leipziger Adresse) im Lande sich ereignen, dann sind wir allerdings verpflichtet, gerade einem schwerkranken Kaiser gegenüber unsrer Loyalität einen schärferen Ausdruck zu geben." So wagt jetzt der Parteigeuosse Virchows zu sprechen, des Mannes, der in einer Versammlung der fortschrittlichen Wähler des zweiten Berliner Wahlkreises im September 1884 einräumte, daß die Fortschrittspartei die Verwirklichung der Parole: „Fort mit Bismarck" ohne weiteres Zuthun von der Zeit, und zwar von einem unausbleiblichen Ereignisse in der Zeit, hoffe. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, daher bricht die maßlose Wut des Freisinns gegen den treuesten Diener des Kaisers und des Reiches von neuem los. Herr Richter und seine politischen Freunde sind die Träume, von denen sie vor vier Jahren berückt worden waren, noch nicht los geworden. Die Herren glaubten damals, die Person des Kronprinzen, unsers jetzigen Kaisers, in die politischen ParteMmpfc hineinziehen und den Erben der Reichskronc als einen besondern Freund und Gönner der Partei Rickert-Richter hinstellen zu können. Die Belehrung, die ihnen damals von der „Frankfurter Zeitung," einem demokratischen Blatte, zu teil wurde, verdient in Erinnerung gebracht zu werden. Das demokratische Blatt schrieb: „Ungescheut haben wir zuweilen Herrn Richters politische Fehler aufgedeckt, vor allem die Art, wie er im »Reichsfreund« jdem Richterschen Leiborgan) den Kronprinzen als eine Art Hospitanten der frei¬ sinnigen Partei behandelt hat---- Herr Richter weiß, daß uns die »Nach¬ richten,« auf denen diese Kronprinzelei basirt, so gut bekannt waren wie ihm, wir haben sie im Interesse der Freisinnigen unterdrückt, er, der Führer, hat sie ausposaunt, und der Erfolg? Es giebt Männer, die Herrn Richter sehr nahe stehen und der festen Überzeugung sind, daß er und sein »Neichsfreund« mit die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/565>, abgerufen am 01.09.2024.