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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Wahlfreiheit und Freisinn.

heftigsten Anklagen gegen die Regierung und beschuldigt lauter als zuvor den
Minister von Puttkamer, Maßregeln vorgenommen zu haben, welche die Wahl¬
freiheit der Beamten beeinträchtigten. Wieder, wie 1883, soll durch die frei¬
sinnige Presse das Land zu dem Glauben gebracht werden, die Wahlfreiheit der
Beamten sei durch den Vizepräsidenten des Staatsministeriums gefährdet, es
sei von diesem ein System aufgerichtet worden, das zu der Allerhöchsten Willens¬
kundgebung vom Januar 1882 und zu der von Kaiser Friedrich verlangten
schärferen Beobachtung der Wahlfreiheit in Widerspruch stehe.

In Bezug auf das Verhältnis der Beamten zu den Wahlen sei nur
erinnert an den an das Staatsministerium gerichteten Allerhöchsten Erlaß vom
4. Januar 1882, nach welchem sich "für diejenigen Beamten, welche mit der
Ausführung von Ncgierungsakten betraut sind, die durch deu Diensteid beschworene
Pflicht auch auf die Vertretung der Regierungspolitik bei den Wahlen erstreckt"
und nach welchem von allen Beamten erwartet wird, daß sie sich, unbeschadet
der Freiheit des Wahlrechts für ihre Person, im Hinblick auf diesen Eid auch
bei den Wahlen jeder Agitation gegen die Regierung enthalten. Nach diesem
Allerhöchsten Erlaß hat der Minister gehandelt, seine Handlungsweise wird von
den Freisinnigen verurteilt, ihr Unwille richtet sich nicht gegen die Person des
Münsters, er richtet sich gegen den Allerhöchsten Erlaß selbst. Die Zurück¬
haltung der Regierung angesichts des Wahlkampfes im Herbst 1884 fand auch
im Auslande gebührende Anerkennung, und die unsern fortschrittlichen Agitatoren
bereitete schlimme Lage schilderte damals die Wiener "Presse" folgendermaßen:
"Keine Regierungsparole beeinflußt die öffentliche Meinung, die Ministeriellen
reden über die buntesten Dinge, aber wenig über die Wahlen. Keine allgemeine
Bewegung, keine Aufregung, einige Nedecmstrengungen der verschiednen Gruppen
in den vielleicht anderthalbhundert Kampfbezirken, die zwischen Klerikalen, Libe¬
ralen und Konservativen streitig sind. Das ist das Um und Ans des gegen¬
wärtigen Wahlkampfes. Der Kanzler hat keine Direktive gegeben, die man mit
aller Macht des deutschen Wortes bekämpfen oder verteidigen könnte, und jetzt
sitzen die Parteiführer da und saugen an den Fingern. In der Verlegenheit
erzählen die freisinnigen Führer der Nation Anekdoten über die nationalen Er¬
folge ihrer Vergangenheit, und den größten Humbug dieser Art hat kürzlich
Herr Bamberger in der "Nation" aufgetischt. Dort wurde erzählt, daß eigentlich
gegen Ende des deutsch-französischen Krieges die liberalen Führer den Kanzler
dazu gebracht hätten, Kaiser und Reichstag zu stiften, er selber hätte sich be¬
gnügt, nach Beseitigung der österreichischen Mitherrschaft den alten Bundestag
unter preußischem Präsidium wieder einzusetzen. "Es war der Instinkt der
Liberalen -- sagt Herr Bamberger --, zuzugreifen, als Bismarck sich anschickte,
sie zum Werkzeug seiner Pläne und dadurch zum Instrument ihrer Ideen zu
machen. Ein solcher Mann und ein solcher Moment finden sich nicht zweimal!"
Also Kaiser und Reich sind dem Kanzler von den liberalen Diplomaten eigentlich


Wahlfreiheit und Freisinn.

heftigsten Anklagen gegen die Regierung und beschuldigt lauter als zuvor den
Minister von Puttkamer, Maßregeln vorgenommen zu haben, welche die Wahl¬
freiheit der Beamten beeinträchtigten. Wieder, wie 1883, soll durch die frei¬
sinnige Presse das Land zu dem Glauben gebracht werden, die Wahlfreiheit der
Beamten sei durch den Vizepräsidenten des Staatsministeriums gefährdet, es
sei von diesem ein System aufgerichtet worden, das zu der Allerhöchsten Willens¬
kundgebung vom Januar 1882 und zu der von Kaiser Friedrich verlangten
schärferen Beobachtung der Wahlfreiheit in Widerspruch stehe.

In Bezug auf das Verhältnis der Beamten zu den Wahlen sei nur
erinnert an den an das Staatsministerium gerichteten Allerhöchsten Erlaß vom
4. Januar 1882, nach welchem sich „für diejenigen Beamten, welche mit der
Ausführung von Ncgierungsakten betraut sind, die durch deu Diensteid beschworene
Pflicht auch auf die Vertretung der Regierungspolitik bei den Wahlen erstreckt"
und nach welchem von allen Beamten erwartet wird, daß sie sich, unbeschadet
der Freiheit des Wahlrechts für ihre Person, im Hinblick auf diesen Eid auch
bei den Wahlen jeder Agitation gegen die Regierung enthalten. Nach diesem
Allerhöchsten Erlaß hat der Minister gehandelt, seine Handlungsweise wird von
den Freisinnigen verurteilt, ihr Unwille richtet sich nicht gegen die Person des
Münsters, er richtet sich gegen den Allerhöchsten Erlaß selbst. Die Zurück¬
haltung der Regierung angesichts des Wahlkampfes im Herbst 1884 fand auch
im Auslande gebührende Anerkennung, und die unsern fortschrittlichen Agitatoren
bereitete schlimme Lage schilderte damals die Wiener „Presse" folgendermaßen:
„Keine Regierungsparole beeinflußt die öffentliche Meinung, die Ministeriellen
reden über die buntesten Dinge, aber wenig über die Wahlen. Keine allgemeine
Bewegung, keine Aufregung, einige Nedecmstrengungen der verschiednen Gruppen
in den vielleicht anderthalbhundert Kampfbezirken, die zwischen Klerikalen, Libe¬
ralen und Konservativen streitig sind. Das ist das Um und Ans des gegen¬
wärtigen Wahlkampfes. Der Kanzler hat keine Direktive gegeben, die man mit
aller Macht des deutschen Wortes bekämpfen oder verteidigen könnte, und jetzt
sitzen die Parteiführer da und saugen an den Fingern. In der Verlegenheit
erzählen die freisinnigen Führer der Nation Anekdoten über die nationalen Er¬
folge ihrer Vergangenheit, und den größten Humbug dieser Art hat kürzlich
Herr Bamberger in der »Nation« aufgetischt. Dort wurde erzählt, daß eigentlich
gegen Ende des deutsch-französischen Krieges die liberalen Führer den Kanzler
dazu gebracht hätten, Kaiser und Reichstag zu stiften, er selber hätte sich be¬
gnügt, nach Beseitigung der österreichischen Mitherrschaft den alten Bundestag
unter preußischem Präsidium wieder einzusetzen. »Es war der Instinkt der
Liberalen — sagt Herr Bamberger —, zuzugreifen, als Bismarck sich anschickte,
sie zum Werkzeug seiner Pläne und dadurch zum Instrument ihrer Ideen zu
machen. Ein solcher Mann und ein solcher Moment finden sich nicht zweimal!«
Also Kaiser und Reich sind dem Kanzler von den liberalen Diplomaten eigentlich


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[0562] Wahlfreiheit und Freisinn. heftigsten Anklagen gegen die Regierung und beschuldigt lauter als zuvor den Minister von Puttkamer, Maßregeln vorgenommen zu haben, welche die Wahl¬ freiheit der Beamten beeinträchtigten. Wieder, wie 1883, soll durch die frei¬ sinnige Presse das Land zu dem Glauben gebracht werden, die Wahlfreiheit der Beamten sei durch den Vizepräsidenten des Staatsministeriums gefährdet, es sei von diesem ein System aufgerichtet worden, das zu der Allerhöchsten Willens¬ kundgebung vom Januar 1882 und zu der von Kaiser Friedrich verlangten schärferen Beobachtung der Wahlfreiheit in Widerspruch stehe. In Bezug auf das Verhältnis der Beamten zu den Wahlen sei nur erinnert an den an das Staatsministerium gerichteten Allerhöchsten Erlaß vom 4. Januar 1882, nach welchem sich „für diejenigen Beamten, welche mit der Ausführung von Ncgierungsakten betraut sind, die durch deu Diensteid beschworene Pflicht auch auf die Vertretung der Regierungspolitik bei den Wahlen erstreckt" und nach welchem von allen Beamten erwartet wird, daß sie sich, unbeschadet der Freiheit des Wahlrechts für ihre Person, im Hinblick auf diesen Eid auch bei den Wahlen jeder Agitation gegen die Regierung enthalten. Nach diesem Allerhöchsten Erlaß hat der Minister gehandelt, seine Handlungsweise wird von den Freisinnigen verurteilt, ihr Unwille richtet sich nicht gegen die Person des Münsters, er richtet sich gegen den Allerhöchsten Erlaß selbst. Die Zurück¬ haltung der Regierung angesichts des Wahlkampfes im Herbst 1884 fand auch im Auslande gebührende Anerkennung, und die unsern fortschrittlichen Agitatoren bereitete schlimme Lage schilderte damals die Wiener „Presse" folgendermaßen: „Keine Regierungsparole beeinflußt die öffentliche Meinung, die Ministeriellen reden über die buntesten Dinge, aber wenig über die Wahlen. Keine allgemeine Bewegung, keine Aufregung, einige Nedecmstrengungen der verschiednen Gruppen in den vielleicht anderthalbhundert Kampfbezirken, die zwischen Klerikalen, Libe¬ ralen und Konservativen streitig sind. Das ist das Um und Ans des gegen¬ wärtigen Wahlkampfes. Der Kanzler hat keine Direktive gegeben, die man mit aller Macht des deutschen Wortes bekämpfen oder verteidigen könnte, und jetzt sitzen die Parteiführer da und saugen an den Fingern. In der Verlegenheit erzählen die freisinnigen Führer der Nation Anekdoten über die nationalen Er¬ folge ihrer Vergangenheit, und den größten Humbug dieser Art hat kürzlich Herr Bamberger in der »Nation« aufgetischt. Dort wurde erzählt, daß eigentlich gegen Ende des deutsch-französischen Krieges die liberalen Führer den Kanzler dazu gebracht hätten, Kaiser und Reichstag zu stiften, er selber hätte sich be¬ gnügt, nach Beseitigung der österreichischen Mitherrschaft den alten Bundestag unter preußischem Präsidium wieder einzusetzen. »Es war der Instinkt der Liberalen — sagt Herr Bamberger —, zuzugreifen, als Bismarck sich anschickte, sie zum Werkzeug seiner Pläne und dadurch zum Instrument ihrer Ideen zu machen. Ein solcher Mann und ein solcher Moment finden sich nicht zweimal!« Also Kaiser und Reich sind dem Kanzler von den liberalen Diplomaten eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/562>, abgerufen am 01.09.2024.