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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

geeignetste zur internationalen Weltsprache. In Europa ist sie das auch thatsäch¬
lich. Aber sie als grundlegende Sprache an die Stelle des Lateinischen zu setzen,
das begegnet denn doch den ernstesten Bedenken. Zunächst ist es nicht klug,
sich mit dem weniger Guten zu behelfen, wenn man das Bessere haben kann.
Die französische Grammatik ist aber denn doch bei weitem nicht so einfach, klar
und regelmäßig wie die lateinische. Ruch kann sich der französische Ausdruck
an Kürze nicht mit dem lateinischen messen; er hat den Artikel, das Pronomen
bei der Konjugation, das Hilfszeitwort ?c. Ferner gestaltet sich das Erlernen
des Französischen dadurch schwerer als des Lateinischen, daß die schwierige Aus¬
sprache hinzukommt, während wir das Lateinische in glücklicher Unwissenheit
so aussprechen, als wäre es Deutsch. Ob freilich Cieero von einer lateinischen
Festrede in der Aula eiues unsrer Gymnasien viel verstehen würde, darf billig
bezweifelt werden; in England wahrscheinlich kein Wort.

Unzweifelhaft liegt sodann die Gefahr nahe, daß ein so gründlicher gram¬
matikalischer Unterricht im Französischen, als er erforderlich sein würde, wenn
er den im Lateinischen ersetzen sollte, noch mehr als jetzt das in den Hinter¬
grund drängen würde, was bei den modernen Sprachen die Hauptsache ist: das
Sprechen. Durch die Verwendung als grundlegende Sprache würde also wahr¬
scheinlich das Französische selbst in eine unrichtige Bahn geleitet und geschädigt
werden.

Ferner erscheint für den Geist und das Gemüt des deutschen Schülers die
französische Litteratur, namentlich die neuere, in eben so hohem Grade un¬
geeignet, als die lateinische geeignet und zuträglich. Racine und Corneille lang¬
weilen ihn; Voltaire und Rousseau sind nicht ungefährlich; und wie will man ihn
vor Zola behüten?

Sehr ins Gewicht fallen würde endlich der Umstand, daß wir in Deutsch¬
land in reichlichem Besitze vorzüglicher Lehrkräfte für das Lateinische sind, wäh¬
rend es für das Französische daran mangelt. Es wird voraussichtlich noch
lange unmöglich sein, die letztern zu beschaffen; denn welcher Franzose wird eine
Stelle als Gymnasiallehrer in Deutschland annehmen? oder welcher Deutsche
kann es wagen, zum Studium des Französischen auf mehrere Jahre nach Paris
M gehen?

Das Englische besitzt Wohl den scheinbaren Vorzug, daß es von den
europäischen Sprachen die auf der Erde am weitesten verbreitete ist. So
notwendig aber auch die Kenntnis desselben allen denjenigen ist, die ihr Beruf
in Verbindung mit dem Auslande bringt, namentlich in Handelsbeziehungen,
so wenig bedarf ihrer derjenige Teil der Bevölkerung Deutschlands, der aufs Zu¬
hausebleiben angewiesen ist, also bei weitem der größte. Mit dem Engländer
in Deutschland aber sollen wir Deutsch sprechen. Und zu meiner Behauptung,
daß zur Kenntnis einer fremden Litteratur die Kenntnis der fremden Sprache
nicht erforderlich sei, liefert einen schlagenden Beweis gerade der Umstand, daß


Grenzboten II. 1388. 6l>
Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

geeignetste zur internationalen Weltsprache. In Europa ist sie das auch thatsäch¬
lich. Aber sie als grundlegende Sprache an die Stelle des Lateinischen zu setzen,
das begegnet denn doch den ernstesten Bedenken. Zunächst ist es nicht klug,
sich mit dem weniger Guten zu behelfen, wenn man das Bessere haben kann.
Die französische Grammatik ist aber denn doch bei weitem nicht so einfach, klar
und regelmäßig wie die lateinische. Ruch kann sich der französische Ausdruck
an Kürze nicht mit dem lateinischen messen; er hat den Artikel, das Pronomen
bei der Konjugation, das Hilfszeitwort ?c. Ferner gestaltet sich das Erlernen
des Französischen dadurch schwerer als des Lateinischen, daß die schwierige Aus¬
sprache hinzukommt, während wir das Lateinische in glücklicher Unwissenheit
so aussprechen, als wäre es Deutsch. Ob freilich Cieero von einer lateinischen
Festrede in der Aula eiues unsrer Gymnasien viel verstehen würde, darf billig
bezweifelt werden; in England wahrscheinlich kein Wort.

Unzweifelhaft liegt sodann die Gefahr nahe, daß ein so gründlicher gram¬
matikalischer Unterricht im Französischen, als er erforderlich sein würde, wenn
er den im Lateinischen ersetzen sollte, noch mehr als jetzt das in den Hinter¬
grund drängen würde, was bei den modernen Sprachen die Hauptsache ist: das
Sprechen. Durch die Verwendung als grundlegende Sprache würde also wahr¬
scheinlich das Französische selbst in eine unrichtige Bahn geleitet und geschädigt
werden.

Ferner erscheint für den Geist und das Gemüt des deutschen Schülers die
französische Litteratur, namentlich die neuere, in eben so hohem Grade un¬
geeignet, als die lateinische geeignet und zuträglich. Racine und Corneille lang¬
weilen ihn; Voltaire und Rousseau sind nicht ungefährlich; und wie will man ihn
vor Zola behüten?

Sehr ins Gewicht fallen würde endlich der Umstand, daß wir in Deutsch¬
land in reichlichem Besitze vorzüglicher Lehrkräfte für das Lateinische sind, wäh¬
rend es für das Französische daran mangelt. Es wird voraussichtlich noch
lange unmöglich sein, die letztern zu beschaffen; denn welcher Franzose wird eine
Stelle als Gymnasiallehrer in Deutschland annehmen? oder welcher Deutsche
kann es wagen, zum Studium des Französischen auf mehrere Jahre nach Paris
M gehen?

Das Englische besitzt Wohl den scheinbaren Vorzug, daß es von den
europäischen Sprachen die auf der Erde am weitesten verbreitete ist. So
notwendig aber auch die Kenntnis desselben allen denjenigen ist, die ihr Beruf
in Verbindung mit dem Auslande bringt, namentlich in Handelsbeziehungen,
so wenig bedarf ihrer derjenige Teil der Bevölkerung Deutschlands, der aufs Zu¬
hausebleiben angewiesen ist, also bei weitem der größte. Mit dem Engländer
in Deutschland aber sollen wir Deutsch sprechen. Und zu meiner Behauptung,
daß zur Kenntnis einer fremden Litteratur die Kenntnis der fremden Sprache
nicht erforderlich sei, liefert einen schlagenden Beweis gerade der Umstand, daß


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[0529] Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien. geeignetste zur internationalen Weltsprache. In Europa ist sie das auch thatsäch¬ lich. Aber sie als grundlegende Sprache an die Stelle des Lateinischen zu setzen, das begegnet denn doch den ernstesten Bedenken. Zunächst ist es nicht klug, sich mit dem weniger Guten zu behelfen, wenn man das Bessere haben kann. Die französische Grammatik ist aber denn doch bei weitem nicht so einfach, klar und regelmäßig wie die lateinische. Ruch kann sich der französische Ausdruck an Kürze nicht mit dem lateinischen messen; er hat den Artikel, das Pronomen bei der Konjugation, das Hilfszeitwort ?c. Ferner gestaltet sich das Erlernen des Französischen dadurch schwerer als des Lateinischen, daß die schwierige Aus¬ sprache hinzukommt, während wir das Lateinische in glücklicher Unwissenheit so aussprechen, als wäre es Deutsch. Ob freilich Cieero von einer lateinischen Festrede in der Aula eiues unsrer Gymnasien viel verstehen würde, darf billig bezweifelt werden; in England wahrscheinlich kein Wort. Unzweifelhaft liegt sodann die Gefahr nahe, daß ein so gründlicher gram¬ matikalischer Unterricht im Französischen, als er erforderlich sein würde, wenn er den im Lateinischen ersetzen sollte, noch mehr als jetzt das in den Hinter¬ grund drängen würde, was bei den modernen Sprachen die Hauptsache ist: das Sprechen. Durch die Verwendung als grundlegende Sprache würde also wahr¬ scheinlich das Französische selbst in eine unrichtige Bahn geleitet und geschädigt werden. Ferner erscheint für den Geist und das Gemüt des deutschen Schülers die französische Litteratur, namentlich die neuere, in eben so hohem Grade un¬ geeignet, als die lateinische geeignet und zuträglich. Racine und Corneille lang¬ weilen ihn; Voltaire und Rousseau sind nicht ungefährlich; und wie will man ihn vor Zola behüten? Sehr ins Gewicht fallen würde endlich der Umstand, daß wir in Deutsch¬ land in reichlichem Besitze vorzüglicher Lehrkräfte für das Lateinische sind, wäh¬ rend es für das Französische daran mangelt. Es wird voraussichtlich noch lange unmöglich sein, die letztern zu beschaffen; denn welcher Franzose wird eine Stelle als Gymnasiallehrer in Deutschland annehmen? oder welcher Deutsche kann es wagen, zum Studium des Französischen auf mehrere Jahre nach Paris M gehen? Das Englische besitzt Wohl den scheinbaren Vorzug, daß es von den europäischen Sprachen die auf der Erde am weitesten verbreitete ist. So notwendig aber auch die Kenntnis desselben allen denjenigen ist, die ihr Beruf in Verbindung mit dem Auslande bringt, namentlich in Handelsbeziehungen, so wenig bedarf ihrer derjenige Teil der Bevölkerung Deutschlands, der aufs Zu¬ hausebleiben angewiesen ist, also bei weitem der größte. Mit dem Engländer in Deutschland aber sollen wir Deutsch sprechen. Und zu meiner Behauptung, daß zur Kenntnis einer fremden Litteratur die Kenntnis der fremden Sprache nicht erforderlich sei, liefert einen schlagenden Beweis gerade der Umstand, daß Grenzboten II. 1388. 6l>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/529>, abgerufen am 01.09.2024.