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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Munckcrs Ulopstockbiographie.

Shakespeare ins deutsche Volk tiefer eingedrungen ist als in das englische, daß
er bei uns vollkommen gleichberechtigt mit den größten Geistern unsrer eignen
Litteratur dasteht.

Als grundlegende Sprache steht aber das Englische weit hinter dem La¬
teinischen zurück dadurch, daß ihm der Wohlklang fehlt, der das Lateinische aus¬
zeichnet; ferner, daß die englische Grammatik wohl einfach erscheint, aber nur da¬
durch, daß sie bis zur Rohheit abgeschliffen ist, indem ihr z, B, die Flexionen der
Deklination und Konjugation großenteils fehlen; endlich weil sie sich an Kürze
und Logik des Ausdrucks durchaus nicht mit dem Lateinischen messen kann; das
lateinische tuiWoiri z. B. braucht zu seinem Ausdruck im Englischen vier Worte,
unter denen sich obendrein die logisch durchaus nicht dahin gehörigen Begriffe
des Sollens und Habens befinden. (Schluß folgt.)




Munckers Kloxstockbiographie.

le Zahl der biographisch-kritischen Werke über hervorragende
Dichtererscheinungen der deutschen Litteratur ist Legion, und gleich¬
wohl können wir uns nur eines geringfügigen Besitzes rühmen,
sobald es sich um erschöpfende, abschließende, im frohen Anteil
an der Erscheinung empfangene, im Ringen ernster Einzelforschung
und unverdrossener Arbeit gereifte, zu einer gewissen künstlerischen Vollendung
gediehene Dichterbiographicn handelt. Die strengern Forderungen genauester
Kenntnis der Einzelheiten, schärferer Einsicht in die geschichtlichen Lebens¬
bedingungen einer Periode, innigerer Vertrautheit mit Eigenart und Stil eines
Dichters und mit all seinen äußern und innern Beziehungen zu Vorgängern und
Zeitgenossen haben zunächst eine eigentümliche Scheu vor großen, ganzen und
geschlossenen Aufgaben hervorgerufen. Man zieht es vor, "Beiträge" zur
Lebensgeschichte, zur Charakteristik, zur Biographie zu liefern und der Verant¬
wortung für eine umfassende Arbeit auszuweichen. So häuft sich die Zahl
der Werke, die bestenfalls Material zu einem befriedigenden Buche sind,
schier ins unabsehbare. Noch jüngst bei der Säkularfeier Friedrich Rückerts
konnten wir einige Dutzend Schriften über den Dichter, Beiträge aller Art,
zählen, doch ein inhaltreiches, künstlerisch erfreuliches biographisches Werk, welches
der großen und vielseitigen Erscheinung gerecht geworden wäre, ist weder vorher
noch bei diesem Anlaß hervorgetreten und wird auch wohl noch lange auf sich
warten lassen. Denn wo einmal der erste günstige Zeitpunkt versäumt ist, als


Munckcrs Ulopstockbiographie.

Shakespeare ins deutsche Volk tiefer eingedrungen ist als in das englische, daß
er bei uns vollkommen gleichberechtigt mit den größten Geistern unsrer eignen
Litteratur dasteht.

Als grundlegende Sprache steht aber das Englische weit hinter dem La¬
teinischen zurück dadurch, daß ihm der Wohlklang fehlt, der das Lateinische aus¬
zeichnet; ferner, daß die englische Grammatik wohl einfach erscheint, aber nur da¬
durch, daß sie bis zur Rohheit abgeschliffen ist, indem ihr z, B, die Flexionen der
Deklination und Konjugation großenteils fehlen; endlich weil sie sich an Kürze
und Logik des Ausdrucks durchaus nicht mit dem Lateinischen messen kann; das
lateinische tuiWoiri z. B. braucht zu seinem Ausdruck im Englischen vier Worte,
unter denen sich obendrein die logisch durchaus nicht dahin gehörigen Begriffe
des Sollens und Habens befinden. (Schluß folgt.)




Munckers Kloxstockbiographie.

le Zahl der biographisch-kritischen Werke über hervorragende
Dichtererscheinungen der deutschen Litteratur ist Legion, und gleich¬
wohl können wir uns nur eines geringfügigen Besitzes rühmen,
sobald es sich um erschöpfende, abschließende, im frohen Anteil
an der Erscheinung empfangene, im Ringen ernster Einzelforschung
und unverdrossener Arbeit gereifte, zu einer gewissen künstlerischen Vollendung
gediehene Dichterbiographicn handelt. Die strengern Forderungen genauester
Kenntnis der Einzelheiten, schärferer Einsicht in die geschichtlichen Lebens¬
bedingungen einer Periode, innigerer Vertrautheit mit Eigenart und Stil eines
Dichters und mit all seinen äußern und innern Beziehungen zu Vorgängern und
Zeitgenossen haben zunächst eine eigentümliche Scheu vor großen, ganzen und
geschlossenen Aufgaben hervorgerufen. Man zieht es vor, „Beiträge" zur
Lebensgeschichte, zur Charakteristik, zur Biographie zu liefern und der Verant¬
wortung für eine umfassende Arbeit auszuweichen. So häuft sich die Zahl
der Werke, die bestenfalls Material zu einem befriedigenden Buche sind,
schier ins unabsehbare. Noch jüngst bei der Säkularfeier Friedrich Rückerts
konnten wir einige Dutzend Schriften über den Dichter, Beiträge aller Art,
zählen, doch ein inhaltreiches, künstlerisch erfreuliches biographisches Werk, welches
der großen und vielseitigen Erscheinung gerecht geworden wäre, ist weder vorher
noch bei diesem Anlaß hervorgetreten und wird auch wohl noch lange auf sich
warten lassen. Denn wo einmal der erste günstige Zeitpunkt versäumt ist, als


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[0530] Munckcrs Ulopstockbiographie. Shakespeare ins deutsche Volk tiefer eingedrungen ist als in das englische, daß er bei uns vollkommen gleichberechtigt mit den größten Geistern unsrer eignen Litteratur dasteht. Als grundlegende Sprache steht aber das Englische weit hinter dem La¬ teinischen zurück dadurch, daß ihm der Wohlklang fehlt, der das Lateinische aus¬ zeichnet; ferner, daß die englische Grammatik wohl einfach erscheint, aber nur da¬ durch, daß sie bis zur Rohheit abgeschliffen ist, indem ihr z, B, die Flexionen der Deklination und Konjugation großenteils fehlen; endlich weil sie sich an Kürze und Logik des Ausdrucks durchaus nicht mit dem Lateinischen messen kann; das lateinische tuiWoiri z. B. braucht zu seinem Ausdruck im Englischen vier Worte, unter denen sich obendrein die logisch durchaus nicht dahin gehörigen Begriffe des Sollens und Habens befinden. (Schluß folgt.) Munckers Kloxstockbiographie. le Zahl der biographisch-kritischen Werke über hervorragende Dichtererscheinungen der deutschen Litteratur ist Legion, und gleich¬ wohl können wir uns nur eines geringfügigen Besitzes rühmen, sobald es sich um erschöpfende, abschließende, im frohen Anteil an der Erscheinung empfangene, im Ringen ernster Einzelforschung und unverdrossener Arbeit gereifte, zu einer gewissen künstlerischen Vollendung gediehene Dichterbiographicn handelt. Die strengern Forderungen genauester Kenntnis der Einzelheiten, schärferer Einsicht in die geschichtlichen Lebens¬ bedingungen einer Periode, innigerer Vertrautheit mit Eigenart und Stil eines Dichters und mit all seinen äußern und innern Beziehungen zu Vorgängern und Zeitgenossen haben zunächst eine eigentümliche Scheu vor großen, ganzen und geschlossenen Aufgaben hervorgerufen. Man zieht es vor, „Beiträge" zur Lebensgeschichte, zur Charakteristik, zur Biographie zu liefern und der Verant¬ wortung für eine umfassende Arbeit auszuweichen. So häuft sich die Zahl der Werke, die bestenfalls Material zu einem befriedigenden Buche sind, schier ins unabsehbare. Noch jüngst bei der Säkularfeier Friedrich Rückerts konnten wir einige Dutzend Schriften über den Dichter, Beiträge aller Art, zählen, doch ein inhaltreiches, künstlerisch erfreuliches biographisches Werk, welches der großen und vielseitigen Erscheinung gerecht geworden wäre, ist weder vorher noch bei diesem Anlaß hervorgetreten und wird auch wohl noch lange auf sich warten lassen. Denn wo einmal der erste günstige Zeitpunkt versäumt ist, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/530>, abgerufen am 01.09.2024.