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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

Unrichtige zuwider zu macheu, das ist eben das segensreiche dabei. Definitionen
und Regeln sind keineswegs bloß Eselsbrücken, sie sind das Ergebnis des tiefen
Eindringens in eine Sache und des völligen Beherrschers derselben. Das fühlt
der Knabe; darum langweilt ihn selbst die bloße lateinische Grammatik nicht.
Mit dem Cornelius Nepos kommt nun aber das Interesse am Inhalt hinzu.
Und, was von großer Wichtigkeit ist, der Schüler beginnt allmählich den Geist
der lateinischen Sprache zu fassen, den großen Unterschied zu erkennen, der
zwischen ihr und der Muttersprache obwaltet. Anfangs dunkel, dann immer
klarer begreift er die Vorzüge des Lateinischen, in welchem sich so entschieden und
klar der Charakter des hochbedeutenden Volkes ausspricht, das diese Sprache
schuf. Mehr als irgend ein andres uns bekanntes Volk besaßen die Römer
praktischen Verstand, klaren Sinn, hohe Thatkraft, eiserne Konsequenz. Sie
gingen stets geradeswegs auf ihr Ziel los; sie waren geizig mit der Zeit, mehr
noch als jetzt die Engländer. Der Sinn für das Schöne lag ihnen fern, das
war das Herrschaftsgebiet der Hellenen, dafür schufen sie aber das Recht. Dem
allen entspricht ihre Sprache. Sie drückt den Gedanken stets mit so wenig
Worten aus als irgend möglich. Der etwas cynische, aber nur zu wahre Aus¬
spruch des Petronius: Ha-bös, lmdsomis, auf Deutsch: Du hast etwas, also
wirst du etwas gelten, besteht im Lateinischen aus zwei Worten; wir brauchen
acht, um ihn wiederzugeben. Nun ist es aber unzweifelhaft, daß der, der einen
Gedanken möglichst kurz ausdrücken will, genötigt ist, ihn vorher möglichst klar
ZU denken. Die Klarheit des Denkens erzeugt Kürze des Ausdrucks, weil sie
alles Überflüssige ausscheidet, und umgekehrt. Darum nötigt die lateinische
Sprache, die kürzeste der Welt, mehr als irgend eine andre zur Klarheit des
Denkens.' Dagegen sind ihr andre Sprachen, z. B. das Griechische und vor
allem das Deutsche, überall da überlegen, wo es sich nicht um den Ausdruck
eines bestimmten klaren Gedankens handelt, sondern um den einer Empfindung
"der Stimmung, also z. B. in der lyrischen Dichtung. Die Empfindungspoesie
ist aber auch den Römern fast gänzlich fremd, während in der Gedankenpoesie
Horaz für alle Zeiten unerreicht dastehen wird. Man wähle also, um das
Kind zur Klarheit des Denkens und zum richtigen Ausdrucke des Gedachten
anzuleiten, die lateinische Sprache und die lateinischen Schriftsteller; um die
Freude am Schönen in ihm zu wecken, das Deutsche und die deutsche Poesie.

Es ist eben so entschieden behauptet wie bestritten worden, das schriftliche
Übersetzen aus dem Lateinischen ins Deutsche sei zugleich eine vorzügliche Übung
im Deutschen. Ich stelle mich auf Seite derer, die das behaupten. Jedes Über¬
setzen aus einer fremden Sprache, wenn es sorgfältig geschieht, kommt der eignen
Sprache zu gute; vor allem aus einer Sprache, die in so hervorragendem Maße
durch Kürze und Klarheit sich auszeichnet, wie die Lateinische. Unerläßliche
Bedingung solchen Vorteiles ist freilich, daß der beaufsichtigende Lehrer selbst
ein gutes Deutsch schreibe und spreche, und nicht etwa einen Satz mit "Cäsar,


Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

Unrichtige zuwider zu macheu, das ist eben das segensreiche dabei. Definitionen
und Regeln sind keineswegs bloß Eselsbrücken, sie sind das Ergebnis des tiefen
Eindringens in eine Sache und des völligen Beherrschers derselben. Das fühlt
der Knabe; darum langweilt ihn selbst die bloße lateinische Grammatik nicht.
Mit dem Cornelius Nepos kommt nun aber das Interesse am Inhalt hinzu.
Und, was von großer Wichtigkeit ist, der Schüler beginnt allmählich den Geist
der lateinischen Sprache zu fassen, den großen Unterschied zu erkennen, der
zwischen ihr und der Muttersprache obwaltet. Anfangs dunkel, dann immer
klarer begreift er die Vorzüge des Lateinischen, in welchem sich so entschieden und
klar der Charakter des hochbedeutenden Volkes ausspricht, das diese Sprache
schuf. Mehr als irgend ein andres uns bekanntes Volk besaßen die Römer
praktischen Verstand, klaren Sinn, hohe Thatkraft, eiserne Konsequenz. Sie
gingen stets geradeswegs auf ihr Ziel los; sie waren geizig mit der Zeit, mehr
noch als jetzt die Engländer. Der Sinn für das Schöne lag ihnen fern, das
war das Herrschaftsgebiet der Hellenen, dafür schufen sie aber das Recht. Dem
allen entspricht ihre Sprache. Sie drückt den Gedanken stets mit so wenig
Worten aus als irgend möglich. Der etwas cynische, aber nur zu wahre Aus¬
spruch des Petronius: Ha-bös, lmdsomis, auf Deutsch: Du hast etwas, also
wirst du etwas gelten, besteht im Lateinischen aus zwei Worten; wir brauchen
acht, um ihn wiederzugeben. Nun ist es aber unzweifelhaft, daß der, der einen
Gedanken möglichst kurz ausdrücken will, genötigt ist, ihn vorher möglichst klar
ZU denken. Die Klarheit des Denkens erzeugt Kürze des Ausdrucks, weil sie
alles Überflüssige ausscheidet, und umgekehrt. Darum nötigt die lateinische
Sprache, die kürzeste der Welt, mehr als irgend eine andre zur Klarheit des
Denkens.' Dagegen sind ihr andre Sprachen, z. B. das Griechische und vor
allem das Deutsche, überall da überlegen, wo es sich nicht um den Ausdruck
eines bestimmten klaren Gedankens handelt, sondern um den einer Empfindung
»der Stimmung, also z. B. in der lyrischen Dichtung. Die Empfindungspoesie
ist aber auch den Römern fast gänzlich fremd, während in der Gedankenpoesie
Horaz für alle Zeiten unerreicht dastehen wird. Man wähle also, um das
Kind zur Klarheit des Denkens und zum richtigen Ausdrucke des Gedachten
anzuleiten, die lateinische Sprache und die lateinischen Schriftsteller; um die
Freude am Schönen in ihm zu wecken, das Deutsche und die deutsche Poesie.

Es ist eben so entschieden behauptet wie bestritten worden, das schriftliche
Übersetzen aus dem Lateinischen ins Deutsche sei zugleich eine vorzügliche Übung
im Deutschen. Ich stelle mich auf Seite derer, die das behaupten. Jedes Über¬
setzen aus einer fremden Sprache, wenn es sorgfältig geschieht, kommt der eignen
Sprache zu gute; vor allem aus einer Sprache, die in so hervorragendem Maße
durch Kürze und Klarheit sich auszeichnet, wie die Lateinische. Unerläßliche
Bedingung solchen Vorteiles ist freilich, daß der beaufsichtigende Lehrer selbst
ein gutes Deutsch schreibe und spreche, und nicht etwa einen Satz mit „Cäsar,


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[0527] Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien. Unrichtige zuwider zu macheu, das ist eben das segensreiche dabei. Definitionen und Regeln sind keineswegs bloß Eselsbrücken, sie sind das Ergebnis des tiefen Eindringens in eine Sache und des völligen Beherrschers derselben. Das fühlt der Knabe; darum langweilt ihn selbst die bloße lateinische Grammatik nicht. Mit dem Cornelius Nepos kommt nun aber das Interesse am Inhalt hinzu. Und, was von großer Wichtigkeit ist, der Schüler beginnt allmählich den Geist der lateinischen Sprache zu fassen, den großen Unterschied zu erkennen, der zwischen ihr und der Muttersprache obwaltet. Anfangs dunkel, dann immer klarer begreift er die Vorzüge des Lateinischen, in welchem sich so entschieden und klar der Charakter des hochbedeutenden Volkes ausspricht, das diese Sprache schuf. Mehr als irgend ein andres uns bekanntes Volk besaßen die Römer praktischen Verstand, klaren Sinn, hohe Thatkraft, eiserne Konsequenz. Sie gingen stets geradeswegs auf ihr Ziel los; sie waren geizig mit der Zeit, mehr noch als jetzt die Engländer. Der Sinn für das Schöne lag ihnen fern, das war das Herrschaftsgebiet der Hellenen, dafür schufen sie aber das Recht. Dem allen entspricht ihre Sprache. Sie drückt den Gedanken stets mit so wenig Worten aus als irgend möglich. Der etwas cynische, aber nur zu wahre Aus¬ spruch des Petronius: Ha-bös, lmdsomis, auf Deutsch: Du hast etwas, also wirst du etwas gelten, besteht im Lateinischen aus zwei Worten; wir brauchen acht, um ihn wiederzugeben. Nun ist es aber unzweifelhaft, daß der, der einen Gedanken möglichst kurz ausdrücken will, genötigt ist, ihn vorher möglichst klar ZU denken. Die Klarheit des Denkens erzeugt Kürze des Ausdrucks, weil sie alles Überflüssige ausscheidet, und umgekehrt. Darum nötigt die lateinische Sprache, die kürzeste der Welt, mehr als irgend eine andre zur Klarheit des Denkens.' Dagegen sind ihr andre Sprachen, z. B. das Griechische und vor allem das Deutsche, überall da überlegen, wo es sich nicht um den Ausdruck eines bestimmten klaren Gedankens handelt, sondern um den einer Empfindung »der Stimmung, also z. B. in der lyrischen Dichtung. Die Empfindungspoesie ist aber auch den Römern fast gänzlich fremd, während in der Gedankenpoesie Horaz für alle Zeiten unerreicht dastehen wird. Man wähle also, um das Kind zur Klarheit des Denkens und zum richtigen Ausdrucke des Gedachten anzuleiten, die lateinische Sprache und die lateinischen Schriftsteller; um die Freude am Schönen in ihm zu wecken, das Deutsche und die deutsche Poesie. Es ist eben so entschieden behauptet wie bestritten worden, das schriftliche Übersetzen aus dem Lateinischen ins Deutsche sei zugleich eine vorzügliche Übung im Deutschen. Ich stelle mich auf Seite derer, die das behaupten. Jedes Über¬ setzen aus einer fremden Sprache, wenn es sorgfältig geschieht, kommt der eignen Sprache zu gute; vor allem aus einer Sprache, die in so hervorragendem Maße durch Kürze und Klarheit sich auszeichnet, wie die Lateinische. Unerläßliche Bedingung solchen Vorteiles ist freilich, daß der beaufsichtigende Lehrer selbst ein gutes Deutsch schreibe und spreche, und nicht etwa einen Satz mit „Cäsar,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/527>, abgerufen am 01.09.2024.