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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

sie so in ihren Eigentümlichkeiten und Feinheiten wiederzugeben, wie die deutsche.
Man nenne mir irgend ein hervorragendes Erzeugnis einer fremdländischen
Litteratur alter und neuer Zeit, von dem wir nicht eine gute oder gar eine
vorzügliche deutsche Übersetzung hätten. Nur ein einziger unter den alten
Dichtern erscheint mir nicht völlig ins Deutsche übertragbar: Horaz. Solche
wie mit Lapidarschrift geschriebenen Worte wie InwZöi- vitM oder -susturn g,o
tcmavöNi sind nicht mit gleicher Kraft wiederzugeben.

Auf die Frage also: Was soll geschehen, damit unsre Jugend das römische
Wesen und den Inhalt der römischen Litteratur sich zu eigen mache? wird die
Antwort vernünftigerweise nicht lauten: Man unterrichte sie neun Jahre lang
gründlich in der lateinischen Sprache, sondern: Man gebe ihnen von den guten
lateinischen Schriftstellern gute deutsche Übersetzungen in die Hand und führe sie
in den Sinn und Inhalt derselben auf verständige und fruchtbringende Weise ein.

Sofort wird man mir einwenden: Das mag zur Not für den gebildeten
Mann im allgemeinen genügen, aber uicht für den künftigen Juristen, Arzt,
Theologen und Philologen. Ist dem aber wirklich so?

Allerdings kann der Mediziner, der Lateinisch und Griechisch versteht, den
Hippokrates und den Galen in der Ursprache lesen. Er wird sich aber wohl
hüten, das zu thun, ebensowenig wie ein Mathematiker von heute den Euklid.
Was die alten Ärzte geschrieben haben, ist entweder längst überwundener Stand¬
punkt, oder es steht viel besser in den modernen Büchern.

Anders scheint die Sache für den Juristen zu liegen. Das römische Recht
bildet die Grundlage aller heutigen Rechte und wird dies stets thun. Immer
wird der Unterricht in der Jurisprudenz mit den Institutionen und Pandekten
beginnen. Aber dieser Unterricht wird im Kollegium auf gut Deutsch erteilt.
Die augeführten Stellen aus dem Lorxu8 Mis dienen nur zur Bestätigung
dessen, was der Professor auf Deutsch gesagt hat, und würden in guter deutscher
Übersetzung genau dasselbe leisten.

Und nicht anders verhält es sich mit den Theologen. Für einen Pastor
reicht es vollständig aus, wenn er die Lutherische Bibelübersetzung inne hat,'
besser als Luther wird er weder das Alte noch das Neue Testament übersetzen;
und der Ausübung seiner Seelsorge kann es nur schaden, wenn er sich mit den
alten Kirchenvätern oder den lateinischen Abhandlungen der nachlutherischen Zeit
herumschlügt. Man überlasse also in diesen drei Fächern die Quellenforschung
deu Fachgelehrten und Professoren; wer den Beruf praktisch auszuüben hat, der
begnüge sich mit dem, was diese zu Tage gefördert haben. Mein Rat ist in
der That ganz überflüssig; denn alle Welt verfährt bereits darnach.

Daß die Philologen schon auf der Schule tüchtig Lateinisch und Griechisch
lernen müssen, versteht sich von selbst. Daraus nun aber ableiten, daß ihnen
zu Gefallen auch alle übrigen Mitschüler das gleiche Joch tragen sollen, das
kann nur ein ebenso eingefleischter als beschränkter Philologe.


Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien.

sie so in ihren Eigentümlichkeiten und Feinheiten wiederzugeben, wie die deutsche.
Man nenne mir irgend ein hervorragendes Erzeugnis einer fremdländischen
Litteratur alter und neuer Zeit, von dem wir nicht eine gute oder gar eine
vorzügliche deutsche Übersetzung hätten. Nur ein einziger unter den alten
Dichtern erscheint mir nicht völlig ins Deutsche übertragbar: Horaz. Solche
wie mit Lapidarschrift geschriebenen Worte wie InwZöi- vitM oder -susturn g,o
tcmavöNi sind nicht mit gleicher Kraft wiederzugeben.

Auf die Frage also: Was soll geschehen, damit unsre Jugend das römische
Wesen und den Inhalt der römischen Litteratur sich zu eigen mache? wird die
Antwort vernünftigerweise nicht lauten: Man unterrichte sie neun Jahre lang
gründlich in der lateinischen Sprache, sondern: Man gebe ihnen von den guten
lateinischen Schriftstellern gute deutsche Übersetzungen in die Hand und führe sie
in den Sinn und Inhalt derselben auf verständige und fruchtbringende Weise ein.

Sofort wird man mir einwenden: Das mag zur Not für den gebildeten
Mann im allgemeinen genügen, aber uicht für den künftigen Juristen, Arzt,
Theologen und Philologen. Ist dem aber wirklich so?

Allerdings kann der Mediziner, der Lateinisch und Griechisch versteht, den
Hippokrates und den Galen in der Ursprache lesen. Er wird sich aber wohl
hüten, das zu thun, ebensowenig wie ein Mathematiker von heute den Euklid.
Was die alten Ärzte geschrieben haben, ist entweder längst überwundener Stand¬
punkt, oder es steht viel besser in den modernen Büchern.

Anders scheint die Sache für den Juristen zu liegen. Das römische Recht
bildet die Grundlage aller heutigen Rechte und wird dies stets thun. Immer
wird der Unterricht in der Jurisprudenz mit den Institutionen und Pandekten
beginnen. Aber dieser Unterricht wird im Kollegium auf gut Deutsch erteilt.
Die augeführten Stellen aus dem Lorxu8 Mis dienen nur zur Bestätigung
dessen, was der Professor auf Deutsch gesagt hat, und würden in guter deutscher
Übersetzung genau dasselbe leisten.

Und nicht anders verhält es sich mit den Theologen. Für einen Pastor
reicht es vollständig aus, wenn er die Lutherische Bibelübersetzung inne hat,'
besser als Luther wird er weder das Alte noch das Neue Testament übersetzen;
und der Ausübung seiner Seelsorge kann es nur schaden, wenn er sich mit den
alten Kirchenvätern oder den lateinischen Abhandlungen der nachlutherischen Zeit
herumschlügt. Man überlasse also in diesen drei Fächern die Quellenforschung
deu Fachgelehrten und Professoren; wer den Beruf praktisch auszuüben hat, der
begnüge sich mit dem, was diese zu Tage gefördert haben. Mein Rat ist in
der That ganz überflüssig; denn alle Welt verfährt bereits darnach.

Daß die Philologen schon auf der Schule tüchtig Lateinisch und Griechisch
lernen müssen, versteht sich von selbst. Daraus nun aber ableiten, daß ihnen
zu Gefallen auch alle übrigen Mitschüler das gleiche Joch tragen sollen, das
kann nur ein ebenso eingefleischter als beschränkter Philologe.


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[0524] Das Studium der alten Sprachen auf den Gymnasien. sie so in ihren Eigentümlichkeiten und Feinheiten wiederzugeben, wie die deutsche. Man nenne mir irgend ein hervorragendes Erzeugnis einer fremdländischen Litteratur alter und neuer Zeit, von dem wir nicht eine gute oder gar eine vorzügliche deutsche Übersetzung hätten. Nur ein einziger unter den alten Dichtern erscheint mir nicht völlig ins Deutsche übertragbar: Horaz. Solche wie mit Lapidarschrift geschriebenen Worte wie InwZöi- vitM oder -susturn g,o tcmavöNi sind nicht mit gleicher Kraft wiederzugeben. Auf die Frage also: Was soll geschehen, damit unsre Jugend das römische Wesen und den Inhalt der römischen Litteratur sich zu eigen mache? wird die Antwort vernünftigerweise nicht lauten: Man unterrichte sie neun Jahre lang gründlich in der lateinischen Sprache, sondern: Man gebe ihnen von den guten lateinischen Schriftstellern gute deutsche Übersetzungen in die Hand und führe sie in den Sinn und Inhalt derselben auf verständige und fruchtbringende Weise ein. Sofort wird man mir einwenden: Das mag zur Not für den gebildeten Mann im allgemeinen genügen, aber uicht für den künftigen Juristen, Arzt, Theologen und Philologen. Ist dem aber wirklich so? Allerdings kann der Mediziner, der Lateinisch und Griechisch versteht, den Hippokrates und den Galen in der Ursprache lesen. Er wird sich aber wohl hüten, das zu thun, ebensowenig wie ein Mathematiker von heute den Euklid. Was die alten Ärzte geschrieben haben, ist entweder längst überwundener Stand¬ punkt, oder es steht viel besser in den modernen Büchern. Anders scheint die Sache für den Juristen zu liegen. Das römische Recht bildet die Grundlage aller heutigen Rechte und wird dies stets thun. Immer wird der Unterricht in der Jurisprudenz mit den Institutionen und Pandekten beginnen. Aber dieser Unterricht wird im Kollegium auf gut Deutsch erteilt. Die augeführten Stellen aus dem Lorxu8 Mis dienen nur zur Bestätigung dessen, was der Professor auf Deutsch gesagt hat, und würden in guter deutscher Übersetzung genau dasselbe leisten. Und nicht anders verhält es sich mit den Theologen. Für einen Pastor reicht es vollständig aus, wenn er die Lutherische Bibelübersetzung inne hat,' besser als Luther wird er weder das Alte noch das Neue Testament übersetzen; und der Ausübung seiner Seelsorge kann es nur schaden, wenn er sich mit den alten Kirchenvätern oder den lateinischen Abhandlungen der nachlutherischen Zeit herumschlügt. Man überlasse also in diesen drei Fächern die Quellenforschung deu Fachgelehrten und Professoren; wer den Beruf praktisch auszuüben hat, der begnüge sich mit dem, was diese zu Tage gefördert haben. Mein Rat ist in der That ganz überflüssig; denn alle Welt verfährt bereits darnach. Daß die Philologen schon auf der Schule tüchtig Lateinisch und Griechisch lernen müssen, versteht sich von selbst. Daraus nun aber ableiten, daß ihnen zu Gefallen auch alle übrigen Mitschüler das gleiche Joch tragen sollen, das kann nur ein ebenso eingefleischter als beschränkter Philologe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/524>, abgerufen am 01.09.2024.