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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Sossion des preußischen Landtags.

wo das Unvermögen der Gemeinde nicht vorliegt. Dieser Kommissionsbeschluß
wurde leider und zwar mit 215 gegen 108 Stimmen angenommen, obgleich
der Abgeordnete Gneist nachwies, daß seit 1860 schon mehrfach Bestimmungen
zur Ausführung des Art. 25 getroffen worden sind, die gleicher Art waren
wie die Regierungsvorlage, ohne daß sie als eine Verfassungsänderung wären
angesehen worden, und obgleich er weiter daran erinnerte, daß bei Annahme
von H 6a, das Gesetz über die Lehrerpensionen und die Alterszulagen, sowie noch
eine Anzahl andrer neuer Maßregeln der Unterrichtsverwaltung als verfassungs¬
widrig erklärt und in Frage gestellt würden. Der Art. 25 setze den Fall fest,
wo der Staat unterstützen müsse, nicht, wo er dürfe. Gneist beschuldigte die
Juristen, daß sie als Abgeordnete zu wenig die ratio IsM ins Auge zu fassen
vermöchten und dem Gesetzgeber so eine geradezu sinnlose Willensmeinung unter¬
legten. Der Staat habe den hohen Beruf, die nationale Erziehung zu fördern
und in allen Stufen zu unterstützen. Unsern Juristen aber wolle es nicht ge¬
lingen, unsre öffentlichen rechtlichen Institutionen im Zusammenhange anzusehen
und zu beurteilen; sie trügen ihre privatrechtlichen Anschauungen in das öffent¬
liche Recht über, wo sie von Unheil seien. Das ist eine alte und sehr berech¬
tigte Klage; in der Konfliktszeit hat dies Unheil den Staat in eine Gefahr auf
Leben und Tod gebracht. Aber auch seit jener Zeit haben sich viele unsrer
Juristen wenig als Sachverständige für die Normen des öffentlichen Rechts ge¬
zeigt, die ihrer Praxis fern liegen. Sieht man auf die Geschichte der letzten
sechsundzwanzig Jahre, so muß man Gneist Recht geben, wenn er behauptet,
daß die Juristen bei ihrer Thätigkeit als Zivil- und Strafrichter "eine Ver¬
wirrung in die einfachsten Rechtsmaterien bringen, wenn sie die ihnen gewohnte
Interpretation auf Gebiete anwenden, wo man so nicht interpretiren darf."
Auch der Abgeordnete von Zedlitz-Neukirch wies das beinahe ans Lächerliche
streifende des Kommissionsvorschlages nach, wenn er sagte: "Vielleicht sollen
im nächsten Jahre abermals zwei Millionen verteilt werden; soll dann wieder
eine Verfassungsänderung beschlossen werden?" Aber Zentrum, Polen, Deutsch¬
freisinnige, das Gros der Konservativen, einzelne Nationalliberale und drei Frei¬
konservative stimmten für den Paragraphen. Bei der dritten Lesung wurden
die Beschlüsse der zweiten bestätigt. Auch wurde noch eine Resolution einge-
nommen: "die Regierung aufzufordern, auf die angemessene gesetzliche Ordnung
des Lehrerbcsoldungswesens und namentlich der Alterszulagen unter Einführung
einer dritten weitern Stufe derselben Bedacht zu nehmen." Und zwar sollen
die den Volksschullehrern zu bewilligenden Alterszulageu in drei Stufen nach
zehn-, zwanzig- und dreißigjähriger Dienstzeit in Höhe von 100, 200 und
300 Mark gewährt werden.

Das Gesetz erfüllt eine alte Bestimmung der Verfassung. Es wäre aber
unheilvoll geworden, wenn es, wie das eine Zeit lang drohte, schließlich die
Wirkung gehabt hätte, das Verhältnis zwischen Konservativen und National-


Die letzte Sossion des preußischen Landtags.

wo das Unvermögen der Gemeinde nicht vorliegt. Dieser Kommissionsbeschluß
wurde leider und zwar mit 215 gegen 108 Stimmen angenommen, obgleich
der Abgeordnete Gneist nachwies, daß seit 1860 schon mehrfach Bestimmungen
zur Ausführung des Art. 25 getroffen worden sind, die gleicher Art waren
wie die Regierungsvorlage, ohne daß sie als eine Verfassungsänderung wären
angesehen worden, und obgleich er weiter daran erinnerte, daß bei Annahme
von H 6a, das Gesetz über die Lehrerpensionen und die Alterszulagen, sowie noch
eine Anzahl andrer neuer Maßregeln der Unterrichtsverwaltung als verfassungs¬
widrig erklärt und in Frage gestellt würden. Der Art. 25 setze den Fall fest,
wo der Staat unterstützen müsse, nicht, wo er dürfe. Gneist beschuldigte die
Juristen, daß sie als Abgeordnete zu wenig die ratio IsM ins Auge zu fassen
vermöchten und dem Gesetzgeber so eine geradezu sinnlose Willensmeinung unter¬
legten. Der Staat habe den hohen Beruf, die nationale Erziehung zu fördern
und in allen Stufen zu unterstützen. Unsern Juristen aber wolle es nicht ge¬
lingen, unsre öffentlichen rechtlichen Institutionen im Zusammenhange anzusehen
und zu beurteilen; sie trügen ihre privatrechtlichen Anschauungen in das öffent¬
liche Recht über, wo sie von Unheil seien. Das ist eine alte und sehr berech¬
tigte Klage; in der Konfliktszeit hat dies Unheil den Staat in eine Gefahr auf
Leben und Tod gebracht. Aber auch seit jener Zeit haben sich viele unsrer
Juristen wenig als Sachverständige für die Normen des öffentlichen Rechts ge¬
zeigt, die ihrer Praxis fern liegen. Sieht man auf die Geschichte der letzten
sechsundzwanzig Jahre, so muß man Gneist Recht geben, wenn er behauptet,
daß die Juristen bei ihrer Thätigkeit als Zivil- und Strafrichter „eine Ver¬
wirrung in die einfachsten Rechtsmaterien bringen, wenn sie die ihnen gewohnte
Interpretation auf Gebiete anwenden, wo man so nicht interpretiren darf."
Auch der Abgeordnete von Zedlitz-Neukirch wies das beinahe ans Lächerliche
streifende des Kommissionsvorschlages nach, wenn er sagte: „Vielleicht sollen
im nächsten Jahre abermals zwei Millionen verteilt werden; soll dann wieder
eine Verfassungsänderung beschlossen werden?" Aber Zentrum, Polen, Deutsch¬
freisinnige, das Gros der Konservativen, einzelne Nationalliberale und drei Frei¬
konservative stimmten für den Paragraphen. Bei der dritten Lesung wurden
die Beschlüsse der zweiten bestätigt. Auch wurde noch eine Resolution einge-
nommen: „die Regierung aufzufordern, auf die angemessene gesetzliche Ordnung
des Lehrerbcsoldungswesens und namentlich der Alterszulagen unter Einführung
einer dritten weitern Stufe derselben Bedacht zu nehmen." Und zwar sollen
die den Volksschullehrern zu bewilligenden Alterszulageu in drei Stufen nach
zehn-, zwanzig- und dreißigjähriger Dienstzeit in Höhe von 100, 200 und
300 Mark gewährt werden.

Das Gesetz erfüllt eine alte Bestimmung der Verfassung. Es wäre aber
unheilvoll geworden, wenn es, wie das eine Zeit lang drohte, schließlich die
Wirkung gehabt hätte, das Verhältnis zwischen Konservativen und National-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/514>, abgerufen am 01.09.2024.