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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

Regelung dauernd gewährt werden sollen. Durch Einsprache von Struckmann
und Miquel, die sich die Überrumpelung verbaten, wurde der Antrag vertagt.

Nachdem das Abgeordnetenhaus wieder zusammengetreten war, wurde ihm
eine Notstandsvorlage gemacht zur Heilung der entsetzlichen Wasserschäden, die
in der Zwischenzeit mehrere Provinzen des preußischen Staates betroffen
hatten. Es wurden vierundzwanzig Millionen verlangt, wovon zwanzig Mil¬
lionen für die Notleidenden verwendet werden sollten. Diese Notstcmdsvorlage
wurde ohne viele Debatten angenommen; ebenso ein Gesetz betreffend die An¬
lage neuer Eisenbahnlinien und Sekundärbahuen.

Als hierauf das Volksschullastengesctz zur ersten Beratung kam, wurde
§ 1 der Kommissionsvorlage angenommen, wonach aus der Staatskasse ein jähr¬
licher Beitrag zu dem Diensteinkommen der Lehrer geleistet wird in der Höhe
von zwanzig Millionen. Sehr unangenehm war das Gesetz den Ultramontanen;
das ging aus der Umkleidung hervor, in die, wie der Kultusminister sagte,
Herr Windthorst sein Nein vor dem Landtage hüllte. Herr Windthorst meinte,
es wäre doch besser, den Gemeinden einfach die Summe zu überweisen, um die
Gemeindelasten zu verringern oder die Lehrerbesoldungen zu erhöhen. Natürlich
liegt ihm an letzteren gar nichts, wohl aber liegt ihm daran, daß die Schule
nicht vom Staate abhängig erscheint, was er auch deutlich zu verstehen gab.
Sie soll Sache der Gemeinde sein und der Familie, d. h. in den Händen des
Priesters liegen. Minister von Goßler erwiederte ihm, daß auch er die Schule
der Gemeinde lassen wolle, aber der politischen, wobei der Staat sich seinen
Einfluß auf die Schule wahrt.

Wichtig war die Debatte zu Z 5. Die Kommission hatte festgesetzt: Er¬
hebung von Schulgeld bei Volksschulen findet nicht statt. Es soll aber bei
Schulen, bei denen der Ausfall durch Aufhebung des Schulgeldes größer wäre
als der Staatszuschuß, einstweilige Forterhebung des Schulgeldes stattfinden.
Schulgelderhebung soll gestattet sein, wenn genügend schulgeldfreie Schulen in
dem Bezirke vorhanden sind. Dagegen wollten die Nationalliberalen (Antrag
Hobrechts) die Erhebung des Schulgeldes längstens für die Dauer von zehn
Jahren gestatten, und außerdem in einzelnen gehobenen Volksschulen. Die
Kvmmissionsauffassung ging aber durch.

Ein heftiger Streit entstand bei der zweiten Beratung des Volksschullasten-
gesetzes. Z 26 der Verfassung vom 31. Januar 1850 bestimmt in seinem ersten
Absätze, daß die Mittel für die Volksschule von den Gemeinden und im Falle
des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht werden
sollen. Da nun das Volksschullastengesetz mit der Überweisung von zwanzig
Millionen an die Gemeinden von diesem Falle absieht, so sah ein großer Teil
der Abgeordneten darin eine Verfassungsänderung, und die Kommission schaltete
den H 6a, (§7) ein, dnrch den jener Absatz in Z 25 der Verfassungsurkunde
dahin abgeändert wird, daß die Beihilfe des Staates auch da eintreten kann,


Grenzboten II. 1883. 64
Die letzte Session des preußischen Landtags.

Regelung dauernd gewährt werden sollen. Durch Einsprache von Struckmann
und Miquel, die sich die Überrumpelung verbaten, wurde der Antrag vertagt.

Nachdem das Abgeordnetenhaus wieder zusammengetreten war, wurde ihm
eine Notstandsvorlage gemacht zur Heilung der entsetzlichen Wasserschäden, die
in der Zwischenzeit mehrere Provinzen des preußischen Staates betroffen
hatten. Es wurden vierundzwanzig Millionen verlangt, wovon zwanzig Mil¬
lionen für die Notleidenden verwendet werden sollten. Diese Notstcmdsvorlage
wurde ohne viele Debatten angenommen; ebenso ein Gesetz betreffend die An¬
lage neuer Eisenbahnlinien und Sekundärbahuen.

Als hierauf das Volksschullastengesctz zur ersten Beratung kam, wurde
§ 1 der Kommissionsvorlage angenommen, wonach aus der Staatskasse ein jähr¬
licher Beitrag zu dem Diensteinkommen der Lehrer geleistet wird in der Höhe
von zwanzig Millionen. Sehr unangenehm war das Gesetz den Ultramontanen;
das ging aus der Umkleidung hervor, in die, wie der Kultusminister sagte,
Herr Windthorst sein Nein vor dem Landtage hüllte. Herr Windthorst meinte,
es wäre doch besser, den Gemeinden einfach die Summe zu überweisen, um die
Gemeindelasten zu verringern oder die Lehrerbesoldungen zu erhöhen. Natürlich
liegt ihm an letzteren gar nichts, wohl aber liegt ihm daran, daß die Schule
nicht vom Staate abhängig erscheint, was er auch deutlich zu verstehen gab.
Sie soll Sache der Gemeinde sein und der Familie, d. h. in den Händen des
Priesters liegen. Minister von Goßler erwiederte ihm, daß auch er die Schule
der Gemeinde lassen wolle, aber der politischen, wobei der Staat sich seinen
Einfluß auf die Schule wahrt.

Wichtig war die Debatte zu Z 5. Die Kommission hatte festgesetzt: Er¬
hebung von Schulgeld bei Volksschulen findet nicht statt. Es soll aber bei
Schulen, bei denen der Ausfall durch Aufhebung des Schulgeldes größer wäre
als der Staatszuschuß, einstweilige Forterhebung des Schulgeldes stattfinden.
Schulgelderhebung soll gestattet sein, wenn genügend schulgeldfreie Schulen in
dem Bezirke vorhanden sind. Dagegen wollten die Nationalliberalen (Antrag
Hobrechts) die Erhebung des Schulgeldes längstens für die Dauer von zehn
Jahren gestatten, und außerdem in einzelnen gehobenen Volksschulen. Die
Kvmmissionsauffassung ging aber durch.

Ein heftiger Streit entstand bei der zweiten Beratung des Volksschullasten-
gesetzes. Z 26 der Verfassung vom 31. Januar 1850 bestimmt in seinem ersten
Absätze, daß die Mittel für die Volksschule von den Gemeinden und im Falle
des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht werden
sollen. Da nun das Volksschullastengesetz mit der Überweisung von zwanzig
Millionen an die Gemeinden von diesem Falle absieht, so sah ein großer Teil
der Abgeordneten darin eine Verfassungsänderung, und die Kommission schaltete
den H 6a, (§7) ein, dnrch den jener Absatz in Z 25 der Verfassungsurkunde
dahin abgeändert wird, daß die Beihilfe des Staates auch da eintreten kann,


Grenzboten II. 1883. 64
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[0513] Die letzte Session des preußischen Landtags. Regelung dauernd gewährt werden sollen. Durch Einsprache von Struckmann und Miquel, die sich die Überrumpelung verbaten, wurde der Antrag vertagt. Nachdem das Abgeordnetenhaus wieder zusammengetreten war, wurde ihm eine Notstandsvorlage gemacht zur Heilung der entsetzlichen Wasserschäden, die in der Zwischenzeit mehrere Provinzen des preußischen Staates betroffen hatten. Es wurden vierundzwanzig Millionen verlangt, wovon zwanzig Mil¬ lionen für die Notleidenden verwendet werden sollten. Diese Notstcmdsvorlage wurde ohne viele Debatten angenommen; ebenso ein Gesetz betreffend die An¬ lage neuer Eisenbahnlinien und Sekundärbahuen. Als hierauf das Volksschullastengesctz zur ersten Beratung kam, wurde § 1 der Kommissionsvorlage angenommen, wonach aus der Staatskasse ein jähr¬ licher Beitrag zu dem Diensteinkommen der Lehrer geleistet wird in der Höhe von zwanzig Millionen. Sehr unangenehm war das Gesetz den Ultramontanen; das ging aus der Umkleidung hervor, in die, wie der Kultusminister sagte, Herr Windthorst sein Nein vor dem Landtage hüllte. Herr Windthorst meinte, es wäre doch besser, den Gemeinden einfach die Summe zu überweisen, um die Gemeindelasten zu verringern oder die Lehrerbesoldungen zu erhöhen. Natürlich liegt ihm an letzteren gar nichts, wohl aber liegt ihm daran, daß die Schule nicht vom Staate abhängig erscheint, was er auch deutlich zu verstehen gab. Sie soll Sache der Gemeinde sein und der Familie, d. h. in den Händen des Priesters liegen. Minister von Goßler erwiederte ihm, daß auch er die Schule der Gemeinde lassen wolle, aber der politischen, wobei der Staat sich seinen Einfluß auf die Schule wahrt. Wichtig war die Debatte zu Z 5. Die Kommission hatte festgesetzt: Er¬ hebung von Schulgeld bei Volksschulen findet nicht statt. Es soll aber bei Schulen, bei denen der Ausfall durch Aufhebung des Schulgeldes größer wäre als der Staatszuschuß, einstweilige Forterhebung des Schulgeldes stattfinden. Schulgelderhebung soll gestattet sein, wenn genügend schulgeldfreie Schulen in dem Bezirke vorhanden sind. Dagegen wollten die Nationalliberalen (Antrag Hobrechts) die Erhebung des Schulgeldes längstens für die Dauer von zehn Jahren gestatten, und außerdem in einzelnen gehobenen Volksschulen. Die Kvmmissionsauffassung ging aber durch. Ein heftiger Streit entstand bei der zweiten Beratung des Volksschullasten- gesetzes. Z 26 der Verfassung vom 31. Januar 1850 bestimmt in seinem ersten Absätze, daß die Mittel für die Volksschule von den Gemeinden und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht werden sollen. Da nun das Volksschullastengesetz mit der Überweisung von zwanzig Millionen an die Gemeinden von diesem Falle absieht, so sah ein großer Teil der Abgeordneten darin eine Verfassungsänderung, und die Kommission schaltete den H 6a, (§7) ein, dnrch den jener Absatz in Z 25 der Verfassungsurkunde dahin abgeändert wird, daß die Beihilfe des Staates auch da eintreten kann, Grenzboten II. 1883. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/513>, abgerufen am 01.09.2024.