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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

liberalen zu stören. Es war zwischen den Kartellparteien ein höchst unerquick¬
licher Streit ausgebrochen, an den Ultramoutcme wie Fortschrittliche große Hoff¬
nungen für sich knüpften. Man warf den Konservativen vor, hinter dem Rücken
der andern Kartellparteien mit dem Zentrum konspirirt zu haben. Das Gesetz
wurde aber schließlich fast einstimmig angenommen mit § 7, d. h. der Annahme
einer Verfassungsänderung.

Da nun nach Ansicht des Hauses eine Verfassungsänderung vorlag, so
war erst nach einundzwanzig Tagen derselbe Beschluß wieder zu fassen, ehe das
Gesetz ins Herrenhaus gelangen konnte. Daher beschäftigte sich das Abgeord¬
netenhaus in der Zwischenzeit mit der Erledigung von etlichen andern, der De¬
batte wenig bedürfenden Vorlagen. Dahin gehörte insbesondre eine die Regu-
lirung der Weichsel und Nogat betreffende Vorlage, ferner eine solche, die
die Kreis- und Provinzialordnung für Schleswig-Holstein, sowie eine, die
die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover betraf, und
etliche andre von geringerer Bedeutung. Es war gut, daß dies Dinge waren,
die sich rein geschäftlich erledigen ließen, denn das Haus zeigte bereits sichtbare
Spuren von Ermüdung. In diesem Zustande ließ es sich durch einen Rickert-
schen Antrag zum Versuch eines Parlamentseingriffes in die Exekutive verleiten.
Der Antrag forderte die königliche Staatsregierung auf, an die Behörden die
Anweisung ergehen zu lassen, daß bei der Gründung der UrWahlbezirke die Be¬
stimmung' des Z 2 des Reglements über die Ausführung der Wahlen zum Ab¬
geordnetenhause (daß jeder UrWahlbezirk ein möglichst zusammenhängendes und
abgerundetes Ganze bilden soll) stets und überall genau beobachtet werde. Mi¬
nister Puttkamer machte darauf aufmerksam, daß nach Art. 51 die Regierung
allein die Vollzieherin der Gesetze sei, auch sei der Antrag bei dem gänzlichen
Mangel an Veranlassung überflüssig. Das war umso richtiger, als die Zahl
der Wahlproteste verschwindend klein war. Der Antrag hatte nur den Hinter¬
grund, einer ganzen Verwaltung ein Stigma zu geben. Merkwürdig, daß
die Nationalliberalen, wenigstens nicht alle, noch nicht wissen, was solche dentsch-
freisinnige Anträge bedeuten. Weil einmal im Jahre 1861, zur Zeit der neuen
Ära, der damalige Münster des Innern, Graf Schwerin, sein Einverständnis
mit einem ähnlichen Antrage Lystowskys erklärt hatte, darum sollte auch jetzt, so
meinte man auf nationalliberaler Seite, im Jahre 1888 der Antrag berechtigt sein.
Das ist aber doch ein Irrtum. Zwischen beiden Jahren liegt der lange Kampf
Bismarcks; eine Errungenschaft desselben, und zwar eine der wertvollsten, ist, daß
er die preußische Verfassung gegen derartige Gelüste, als ob das Parlament
Anweisung darüber zu geben hätte, wie die Exekutive zu führen sei, sichergestellt
hat. Das vergessen würde heißen, wieder in die Bahnen einlenken, die vor der
Sezession betreten wurden, als das Parlament die Rolle einer Oberaufsichts¬
behörde über die Negierung in Anspruch nahm. Das muß man den Herren
Rickert und Richter überlassen. Das Parlament hat das Recht der Wahl-


Die letzte Session des preußischen Landtags.

liberalen zu stören. Es war zwischen den Kartellparteien ein höchst unerquick¬
licher Streit ausgebrochen, an den Ultramoutcme wie Fortschrittliche große Hoff¬
nungen für sich knüpften. Man warf den Konservativen vor, hinter dem Rücken
der andern Kartellparteien mit dem Zentrum konspirirt zu haben. Das Gesetz
wurde aber schließlich fast einstimmig angenommen mit § 7, d. h. der Annahme
einer Verfassungsänderung.

Da nun nach Ansicht des Hauses eine Verfassungsänderung vorlag, so
war erst nach einundzwanzig Tagen derselbe Beschluß wieder zu fassen, ehe das
Gesetz ins Herrenhaus gelangen konnte. Daher beschäftigte sich das Abgeord¬
netenhaus in der Zwischenzeit mit der Erledigung von etlichen andern, der De¬
batte wenig bedürfenden Vorlagen. Dahin gehörte insbesondre eine die Regu-
lirung der Weichsel und Nogat betreffende Vorlage, ferner eine solche, die
die Kreis- und Provinzialordnung für Schleswig-Holstein, sowie eine, die
die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover betraf, und
etliche andre von geringerer Bedeutung. Es war gut, daß dies Dinge waren,
die sich rein geschäftlich erledigen ließen, denn das Haus zeigte bereits sichtbare
Spuren von Ermüdung. In diesem Zustande ließ es sich durch einen Rickert-
schen Antrag zum Versuch eines Parlamentseingriffes in die Exekutive verleiten.
Der Antrag forderte die königliche Staatsregierung auf, an die Behörden die
Anweisung ergehen zu lassen, daß bei der Gründung der UrWahlbezirke die Be¬
stimmung' des Z 2 des Reglements über die Ausführung der Wahlen zum Ab¬
geordnetenhause (daß jeder UrWahlbezirk ein möglichst zusammenhängendes und
abgerundetes Ganze bilden soll) stets und überall genau beobachtet werde. Mi¬
nister Puttkamer machte darauf aufmerksam, daß nach Art. 51 die Regierung
allein die Vollzieherin der Gesetze sei, auch sei der Antrag bei dem gänzlichen
Mangel an Veranlassung überflüssig. Das war umso richtiger, als die Zahl
der Wahlproteste verschwindend klein war. Der Antrag hatte nur den Hinter¬
grund, einer ganzen Verwaltung ein Stigma zu geben. Merkwürdig, daß
die Nationalliberalen, wenigstens nicht alle, noch nicht wissen, was solche dentsch-
freisinnige Anträge bedeuten. Weil einmal im Jahre 1861, zur Zeit der neuen
Ära, der damalige Münster des Innern, Graf Schwerin, sein Einverständnis
mit einem ähnlichen Antrage Lystowskys erklärt hatte, darum sollte auch jetzt, so
meinte man auf nationalliberaler Seite, im Jahre 1888 der Antrag berechtigt sein.
Das ist aber doch ein Irrtum. Zwischen beiden Jahren liegt der lange Kampf
Bismarcks; eine Errungenschaft desselben, und zwar eine der wertvollsten, ist, daß
er die preußische Verfassung gegen derartige Gelüste, als ob das Parlament
Anweisung darüber zu geben hätte, wie die Exekutive zu führen sei, sichergestellt
hat. Das vergessen würde heißen, wieder in die Bahnen einlenken, die vor der
Sezession betreten wurden, als das Parlament die Rolle einer Oberaufsichts¬
behörde über die Negierung in Anspruch nahm. Das muß man den Herren
Rickert und Richter überlassen. Das Parlament hat das Recht der Wahl-


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[0515] Die letzte Session des preußischen Landtags. liberalen zu stören. Es war zwischen den Kartellparteien ein höchst unerquick¬ licher Streit ausgebrochen, an den Ultramoutcme wie Fortschrittliche große Hoff¬ nungen für sich knüpften. Man warf den Konservativen vor, hinter dem Rücken der andern Kartellparteien mit dem Zentrum konspirirt zu haben. Das Gesetz wurde aber schließlich fast einstimmig angenommen mit § 7, d. h. der Annahme einer Verfassungsänderung. Da nun nach Ansicht des Hauses eine Verfassungsänderung vorlag, so war erst nach einundzwanzig Tagen derselbe Beschluß wieder zu fassen, ehe das Gesetz ins Herrenhaus gelangen konnte. Daher beschäftigte sich das Abgeord¬ netenhaus in der Zwischenzeit mit der Erledigung von etlichen andern, der De¬ batte wenig bedürfenden Vorlagen. Dahin gehörte insbesondre eine die Regu- lirung der Weichsel und Nogat betreffende Vorlage, ferner eine solche, die die Kreis- und Provinzialordnung für Schleswig-Holstein, sowie eine, die die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover betraf, und etliche andre von geringerer Bedeutung. Es war gut, daß dies Dinge waren, die sich rein geschäftlich erledigen ließen, denn das Haus zeigte bereits sichtbare Spuren von Ermüdung. In diesem Zustande ließ es sich durch einen Rickert- schen Antrag zum Versuch eines Parlamentseingriffes in die Exekutive verleiten. Der Antrag forderte die königliche Staatsregierung auf, an die Behörden die Anweisung ergehen zu lassen, daß bei der Gründung der UrWahlbezirke die Be¬ stimmung' des Z 2 des Reglements über die Ausführung der Wahlen zum Ab¬ geordnetenhause (daß jeder UrWahlbezirk ein möglichst zusammenhängendes und abgerundetes Ganze bilden soll) stets und überall genau beobachtet werde. Mi¬ nister Puttkamer machte darauf aufmerksam, daß nach Art. 51 die Regierung allein die Vollzieherin der Gesetze sei, auch sei der Antrag bei dem gänzlichen Mangel an Veranlassung überflüssig. Das war umso richtiger, als die Zahl der Wahlproteste verschwindend klein war. Der Antrag hatte nur den Hinter¬ grund, einer ganzen Verwaltung ein Stigma zu geben. Merkwürdig, daß die Nationalliberalen, wenigstens nicht alle, noch nicht wissen, was solche dentsch- freisinnige Anträge bedeuten. Weil einmal im Jahre 1861, zur Zeit der neuen Ära, der damalige Münster des Innern, Graf Schwerin, sein Einverständnis mit einem ähnlichen Antrage Lystowskys erklärt hatte, darum sollte auch jetzt, so meinte man auf nationalliberaler Seite, im Jahre 1888 der Antrag berechtigt sein. Das ist aber doch ein Irrtum. Zwischen beiden Jahren liegt der lange Kampf Bismarcks; eine Errungenschaft desselben, und zwar eine der wertvollsten, ist, daß er die preußische Verfassung gegen derartige Gelüste, als ob das Parlament Anweisung darüber zu geben hätte, wie die Exekutive zu führen sei, sichergestellt hat. Das vergessen würde heißen, wieder in die Bahnen einlenken, die vor der Sezession betreten wurden, als das Parlament die Rolle einer Oberaufsichts¬ behörde über die Negierung in Anspruch nahm. Das muß man den Herren Rickert und Richter überlassen. Das Parlament hat das Recht der Wahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/515>, abgerufen am 01.09.2024.