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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

Der Erfolg der kirchenpolitischen Debatte war, daß in der Sitzung vom
17. März der Tit. 5 des Kap. 124, der die vier Millionen zur Verbesserung
der äußern Lage der Geistlichen aller Bekenntnisse enthielt, mit dem Antrage
von Enneccerus angenommen wurde: "Die königliche Staatsregierung aufzu¬
fordern, den Fonds im Kap. 124 Tit. 5 im Staatshaushalte für das Jahr 1839
bis 1890 so zu bemessen, daß das Mindesteinkommen der bereits fünf Jahre
im Amte befindlichen Geistlichen neben freier Wohnung in evangelischen Pfarren
2400 Mark, in katholischen 1800 Mark beträgt und in zweckmäßig abgestuften
Zwischenräumen für die evangelischen Geistlichen auf 3600 Mark, für die katho¬
lischen auf 2400 Mark nach fttnfundzwanzigjähriger Amtsdauer steigt." Damit
scheint der Kirche und ihren Interessen am besten gedient zu sein.

Inzwischen hatte Kaiser Friedrich am 15. März wie an den deutschen
Reichstag so auch an den preußischen Landtag seine Botschaft gerichtet. Es
war eine alte Hoffnung der Deutschfreisinnigen gewesen, dereinst den Nachfolger
Kaiser Wilhelms sür sich in Beschlag zu nehmen. In dieser Hoffnung begeg¬
neten sie sich mit Kreisen, die von fremden, besonders englischen Interessen in
Bewegung gesetzt werden. Und so dachten sie denn auch den neuen Kaiser als
von einem Verlangen nach einer deutschfreisinnigen Reichstags- und Landtags¬
mehrheit erfüllt, wo der alte Spuk sofort wieder losgehen könnte in Verbin¬
dung mit der ultramontan-sozialistisch-welsisch-polnisch-dünisch-französischen Ver¬
brüderung. Beide Botschaften aber zeigten, daß es den deutschfreisinnigen
Wünschen und deren schon lange geleisteten Unterstützung von feiten hoher Per¬
sonen nicht gelungen war, den Kanzler vom Kaiser zu trennen. Was insbe¬
sondre die Votschaft an den Landtag betrifft, so stellt der Kaiser als Ziel seines
Strebens das Glück und die Wohlfahrt des Vaterlandes hin, wobei er in den
Wegen Kaiser Wilhelms wandeln wolle, was näher dahin bezeichnet wird, daß
er dieses Ziel erreichen will in gewissenhafter Beobachtung der Verfassung, unter
Wahrung der Machtfülle der Krone und in vertrauensvollen Zusammenwirken
mit der Landesvertretung.

Nachdem das Abgeordnetenhaus, ebenso wie das Herrenhaus, eine warm¬
herzige Adresse an den König erlassen und seine notwendigsten Geschäfte abge¬
wickelt hatte, vertagte es sich bis zum 11. April. Dagegen erlebte das Herren¬
haus, noch bevor es am 24. März in die Osterferien ging, einen Antrag der
hochkirchlichen Partei, die Regierung zu einer Vorlage für den Landtag auf¬
zufordern, durch die der evangelischen Landeskirche die für ihre dringendsten
Bedürfnisse -- namentlich zur Begründung neuer Parochien und zum Bau neuer
Kirchen sowohl in übermäßig starken Gemeinden, als besonders in der Diaspora,
zur Herstellung kirchlicher Seminarien und zur Einführung von Vikariaten, zur
Ablösung der Stolgebühren, zur Ausübung des Kirchenregiments und zur Be¬
streitung eines ausreichenden Einkommens der Geistlichen und nach deren Tode
zur Unterstützung ihrer Angehörigen -- notwendigen Mittel in Form gesetzlicher


Die letzte Session des preußischen Landtags.

Der Erfolg der kirchenpolitischen Debatte war, daß in der Sitzung vom
17. März der Tit. 5 des Kap. 124, der die vier Millionen zur Verbesserung
der äußern Lage der Geistlichen aller Bekenntnisse enthielt, mit dem Antrage
von Enneccerus angenommen wurde: „Die königliche Staatsregierung aufzu¬
fordern, den Fonds im Kap. 124 Tit. 5 im Staatshaushalte für das Jahr 1839
bis 1890 so zu bemessen, daß das Mindesteinkommen der bereits fünf Jahre
im Amte befindlichen Geistlichen neben freier Wohnung in evangelischen Pfarren
2400 Mark, in katholischen 1800 Mark beträgt und in zweckmäßig abgestuften
Zwischenräumen für die evangelischen Geistlichen auf 3600 Mark, für die katho¬
lischen auf 2400 Mark nach fttnfundzwanzigjähriger Amtsdauer steigt." Damit
scheint der Kirche und ihren Interessen am besten gedient zu sein.

Inzwischen hatte Kaiser Friedrich am 15. März wie an den deutschen
Reichstag so auch an den preußischen Landtag seine Botschaft gerichtet. Es
war eine alte Hoffnung der Deutschfreisinnigen gewesen, dereinst den Nachfolger
Kaiser Wilhelms sür sich in Beschlag zu nehmen. In dieser Hoffnung begeg¬
neten sie sich mit Kreisen, die von fremden, besonders englischen Interessen in
Bewegung gesetzt werden. Und so dachten sie denn auch den neuen Kaiser als
von einem Verlangen nach einer deutschfreisinnigen Reichstags- und Landtags¬
mehrheit erfüllt, wo der alte Spuk sofort wieder losgehen könnte in Verbin¬
dung mit der ultramontan-sozialistisch-welsisch-polnisch-dünisch-französischen Ver¬
brüderung. Beide Botschaften aber zeigten, daß es den deutschfreisinnigen
Wünschen und deren schon lange geleisteten Unterstützung von feiten hoher Per¬
sonen nicht gelungen war, den Kanzler vom Kaiser zu trennen. Was insbe¬
sondre die Votschaft an den Landtag betrifft, so stellt der Kaiser als Ziel seines
Strebens das Glück und die Wohlfahrt des Vaterlandes hin, wobei er in den
Wegen Kaiser Wilhelms wandeln wolle, was näher dahin bezeichnet wird, daß
er dieses Ziel erreichen will in gewissenhafter Beobachtung der Verfassung, unter
Wahrung der Machtfülle der Krone und in vertrauensvollen Zusammenwirken
mit der Landesvertretung.

Nachdem das Abgeordnetenhaus, ebenso wie das Herrenhaus, eine warm¬
herzige Adresse an den König erlassen und seine notwendigsten Geschäfte abge¬
wickelt hatte, vertagte es sich bis zum 11. April. Dagegen erlebte das Herren¬
haus, noch bevor es am 24. März in die Osterferien ging, einen Antrag der
hochkirchlichen Partei, die Regierung zu einer Vorlage für den Landtag auf¬
zufordern, durch die der evangelischen Landeskirche die für ihre dringendsten
Bedürfnisse — namentlich zur Begründung neuer Parochien und zum Bau neuer
Kirchen sowohl in übermäßig starken Gemeinden, als besonders in der Diaspora,
zur Herstellung kirchlicher Seminarien und zur Einführung von Vikariaten, zur
Ablösung der Stolgebühren, zur Ausübung des Kirchenregiments und zur Be¬
streitung eines ausreichenden Einkommens der Geistlichen und nach deren Tode
zur Unterstützung ihrer Angehörigen — notwendigen Mittel in Form gesetzlicher


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[0512] Die letzte Session des preußischen Landtags. Der Erfolg der kirchenpolitischen Debatte war, daß in der Sitzung vom 17. März der Tit. 5 des Kap. 124, der die vier Millionen zur Verbesserung der äußern Lage der Geistlichen aller Bekenntnisse enthielt, mit dem Antrage von Enneccerus angenommen wurde: „Die königliche Staatsregierung aufzu¬ fordern, den Fonds im Kap. 124 Tit. 5 im Staatshaushalte für das Jahr 1839 bis 1890 so zu bemessen, daß das Mindesteinkommen der bereits fünf Jahre im Amte befindlichen Geistlichen neben freier Wohnung in evangelischen Pfarren 2400 Mark, in katholischen 1800 Mark beträgt und in zweckmäßig abgestuften Zwischenräumen für die evangelischen Geistlichen auf 3600 Mark, für die katho¬ lischen auf 2400 Mark nach fttnfundzwanzigjähriger Amtsdauer steigt." Damit scheint der Kirche und ihren Interessen am besten gedient zu sein. Inzwischen hatte Kaiser Friedrich am 15. März wie an den deutschen Reichstag so auch an den preußischen Landtag seine Botschaft gerichtet. Es war eine alte Hoffnung der Deutschfreisinnigen gewesen, dereinst den Nachfolger Kaiser Wilhelms sür sich in Beschlag zu nehmen. In dieser Hoffnung begeg¬ neten sie sich mit Kreisen, die von fremden, besonders englischen Interessen in Bewegung gesetzt werden. Und so dachten sie denn auch den neuen Kaiser als von einem Verlangen nach einer deutschfreisinnigen Reichstags- und Landtags¬ mehrheit erfüllt, wo der alte Spuk sofort wieder losgehen könnte in Verbin¬ dung mit der ultramontan-sozialistisch-welsisch-polnisch-dünisch-französischen Ver¬ brüderung. Beide Botschaften aber zeigten, daß es den deutschfreisinnigen Wünschen und deren schon lange geleisteten Unterstützung von feiten hoher Per¬ sonen nicht gelungen war, den Kanzler vom Kaiser zu trennen. Was insbe¬ sondre die Votschaft an den Landtag betrifft, so stellt der Kaiser als Ziel seines Strebens das Glück und die Wohlfahrt des Vaterlandes hin, wobei er in den Wegen Kaiser Wilhelms wandeln wolle, was näher dahin bezeichnet wird, daß er dieses Ziel erreichen will in gewissenhafter Beobachtung der Verfassung, unter Wahrung der Machtfülle der Krone und in vertrauensvollen Zusammenwirken mit der Landesvertretung. Nachdem das Abgeordnetenhaus, ebenso wie das Herrenhaus, eine warm¬ herzige Adresse an den König erlassen und seine notwendigsten Geschäfte abge¬ wickelt hatte, vertagte es sich bis zum 11. April. Dagegen erlebte das Herren¬ haus, noch bevor es am 24. März in die Osterferien ging, einen Antrag der hochkirchlichen Partei, die Regierung zu einer Vorlage für den Landtag auf¬ zufordern, durch die der evangelischen Landeskirche die für ihre dringendsten Bedürfnisse — namentlich zur Begründung neuer Parochien und zum Bau neuer Kirchen sowohl in übermäßig starken Gemeinden, als besonders in der Diaspora, zur Herstellung kirchlicher Seminarien und zur Einführung von Vikariaten, zur Ablösung der Stolgebühren, zur Ausübung des Kirchenregiments und zur Be¬ streitung eines ausreichenden Einkommens der Geistlichen und nach deren Tode zur Unterstützung ihrer Angehörigen — notwendigen Mittel in Form gesetzlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/512>, abgerufen am 01.09.2024.