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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stcimmbaum.

Tisch verabschiedet." Im Herbste desselben Jahres genoß Goethe die Freude,
den Herzog als Gast in sein elterliches Haus einzuführen. Von seinen Ver¬
wandten wird er ihm seine würdige achtundsechzigjährige Großmutter, seinen
Oheim, seine Schwäger Mekher, starck und Schuler, auch wohl den ihm ver¬
wandten Schöffen Schlosser, dessen Gattin er jetzt zum erstenmale begrüßen
konnte, vorgestellt haben. Die vielen Vettern und Basen drängten sich zu. da der
Herzog äußerst leutselig war. Auch Fritz Hoffmann gehörte jetzt zu den Ver¬
wandten. In Emmendingen wohnte der Herzog in Schlossers kurz zuvor be¬
zogenen neuem Hause, wo Goethe mit gerührter Freude zuerst Korneliens beide
Töchter sah, deren neue Mutter liebevoll für sie sorgte. Auf der Rückkehr war
der Herzog im Dezember und im nächsten Januar wieder mehrere Tage in
Goethes elterlichen Hause, das er als Standquartier zu Ausflügen nach den
benachbarten Höfen benutzte. Er zeigte sich so teilnehmend und gemütlich offen
wie früher. Auch diesmal wurden die regierenden Herren nicht besucht.

Kurze Zeit nach Goethes Abreise, am 5. März 1780, wurde dem Oheim
ein fünfter Sohn geboren, der, wie Melbers jüngster, die Namen Johann
David erhielt. Der am 19. Mai erfolgte Tod des alten Mekher war ein
schwerer Schlag für die zahlreiche Familie, von deren elf Kindern noch sechs
am Leben waren. Die Ehe Hieronymus Schlossers wurde am 20. Dezember
durch einen Sohn, Johann Friedrich Heinrich, gesegnet. Bei einem im folgenden
Jahre geborenen vierten Sohne Schülers, der bald starb, wurde der Prediger
starck Pate. In Emmendingen freute sich Schlosser am 7. September der
Geburt einer Tochter, der man den Namen Henriette gab. Auch der Schöffe
Schlosser erhielt einen zweiten Sohn, Christian Heinrich. Am 27. Mai 1782
wurde endlich Goethes Vater, der zuletzt stumpfsinnig gewesen war, von einem für
ihn selbst traurigen, seine Gattin in beständiger Sorge haltenden Zustande be¬
freit. Bald darauf, am 8. August, wandte sich Goethe, der vor kurzem die
Leitung der Weimarischen Kammer übernommen hatte, im Auftrage des Herzogs
an seinen Oheim. Er schrieb: "Es hat der Frankfurter Schutzjude Elias Lob
Reiß, der schon seit 1766 von Durchlaucht, dem Herzog, meinem gnädigsten
Herrn, das Prädikat eines Hoffaktors erhalten, neuerdings um das Prädikat
eines Hofagenten und um Vermittelung bei dem dasigen Magistrat nachgesucht,
daß ihm die Erlaubnis, Sonn- und Festtags außer der Gasse j>er Judengasse)
zu gehen, mit geleitet werde. Nun hat sich dieser Mann um die Angelegen¬
heiten der Eisenachischer und Apoldischeu Kaufleute jederzeit besonders bemühet,
sodaß Durchlaucht der Herzog ihm wohl einige Distinktiv" und Gnadenbezeugung
von ihrer Seite möchten widerfahren lassen; da sie aber nicht gern durch ihre
Jnterzession etwas gegen die Verfassung der Stadt verlangen und so sich ent¬
weder einer abschläglichen Antwort ausstellen oder einen ansehnlichen Magistrat
etwas, wiewohl ungern, zu gewähren in Verlegenheit setzen wollen, so habe ich
den Auftrag erhalten, bei Ew. Wohlgeboren privatim anzufragen, inwiefern


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stcimmbaum.

Tisch verabschiedet." Im Herbste desselben Jahres genoß Goethe die Freude,
den Herzog als Gast in sein elterliches Haus einzuführen. Von seinen Ver¬
wandten wird er ihm seine würdige achtundsechzigjährige Großmutter, seinen
Oheim, seine Schwäger Mekher, starck und Schuler, auch wohl den ihm ver¬
wandten Schöffen Schlosser, dessen Gattin er jetzt zum erstenmale begrüßen
konnte, vorgestellt haben. Die vielen Vettern und Basen drängten sich zu. da der
Herzog äußerst leutselig war. Auch Fritz Hoffmann gehörte jetzt zu den Ver¬
wandten. In Emmendingen wohnte der Herzog in Schlossers kurz zuvor be¬
zogenen neuem Hause, wo Goethe mit gerührter Freude zuerst Korneliens beide
Töchter sah, deren neue Mutter liebevoll für sie sorgte. Auf der Rückkehr war
der Herzog im Dezember und im nächsten Januar wieder mehrere Tage in
Goethes elterlichen Hause, das er als Standquartier zu Ausflügen nach den
benachbarten Höfen benutzte. Er zeigte sich so teilnehmend und gemütlich offen
wie früher. Auch diesmal wurden die regierenden Herren nicht besucht.

Kurze Zeit nach Goethes Abreise, am 5. März 1780, wurde dem Oheim
ein fünfter Sohn geboren, der, wie Melbers jüngster, die Namen Johann
David erhielt. Der am 19. Mai erfolgte Tod des alten Mekher war ein
schwerer Schlag für die zahlreiche Familie, von deren elf Kindern noch sechs
am Leben waren. Die Ehe Hieronymus Schlossers wurde am 20. Dezember
durch einen Sohn, Johann Friedrich Heinrich, gesegnet. Bei einem im folgenden
Jahre geborenen vierten Sohne Schülers, der bald starb, wurde der Prediger
starck Pate. In Emmendingen freute sich Schlosser am 7. September der
Geburt einer Tochter, der man den Namen Henriette gab. Auch der Schöffe
Schlosser erhielt einen zweiten Sohn, Christian Heinrich. Am 27. Mai 1782
wurde endlich Goethes Vater, der zuletzt stumpfsinnig gewesen war, von einem für
ihn selbst traurigen, seine Gattin in beständiger Sorge haltenden Zustande be¬
freit. Bald darauf, am 8. August, wandte sich Goethe, der vor kurzem die
Leitung der Weimarischen Kammer übernommen hatte, im Auftrage des Herzogs
an seinen Oheim. Er schrieb: „Es hat der Frankfurter Schutzjude Elias Lob
Reiß, der schon seit 1766 von Durchlaucht, dem Herzog, meinem gnädigsten
Herrn, das Prädikat eines Hoffaktors erhalten, neuerdings um das Prädikat
eines Hofagenten und um Vermittelung bei dem dasigen Magistrat nachgesucht,
daß ihm die Erlaubnis, Sonn- und Festtags außer der Gasse j>er Judengasse)
zu gehen, mit geleitet werde. Nun hat sich dieser Mann um die Angelegen¬
heiten der Eisenachischer und Apoldischeu Kaufleute jederzeit besonders bemühet,
sodaß Durchlaucht der Herzog ihm wohl einige Distinktiv» und Gnadenbezeugung
von ihrer Seite möchten widerfahren lassen; da sie aber nicht gern durch ihre
Jnterzession etwas gegen die Verfassung der Stadt verlangen und so sich ent¬
weder einer abschläglichen Antwort ausstellen oder einen ansehnlichen Magistrat
etwas, wiewohl ungern, zu gewähren in Verlegenheit setzen wollen, so habe ich
den Auftrag erhalten, bei Ew. Wohlgeboren privatim anzufragen, inwiefern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/423>, abgerufen am 28.07.2024.