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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

zerriß Goethes Herz. Die Kunde, Schlosser werde Johanna Fahlmer heiraten,
ergriff ihn wunderbar. Der Mutter schrieb er: "Mit meiner Schwester ist mir
so eine starke Wurzel, die mich an die Erde hielt, abgehauen worden, daß die
Äste von oben, die davon Nahrung hatten, auch absterben müssen. Will sich
in der lieben Fahlmer eine neue Wurzclteilnehmuug und Befestigung erzeugen,
so will ich auch von meiner Seite mit euch den Göttern danken." Des Oheims
Wunsch, zu der auf den 28. September 1778 festgesetzten Hochzeit ein Glück-
wunschgedicht zu machen, konnte er unmöglich erfüllen. Der Neuvermählten
schrieb er: "Daß dn meine Schwester sein kannst, macht mir einen unverschmerz-
lichen Verlust wieder neu; also verzeihe meine Thränen bei deinem Glück. Das
Schicksal habe seine Mutterhand über dir und halte dich so warm, wies mich
hält, und gebe, daß ich mit dir die Freude genieße, die es meiner armen Ersten
versagt hat." Kurz vorher hatte Frau Aja durch die Herzogin-Mutter ihm
zwei ärgerliche Familiennachrichten mitteilen lassen: "Dem Pfarrer starck sein
Käthchen heiratet den dummen Buben Fritz Hoffmann und Hieronymus Peter
Schlosser öder ältere Bruder ihres Schwiegersohnes j die älteste Jungfer Steitz."
Goethes Jugcndgenossc Johann Friedrich Hoffmann war der Sohn des be¬
güterten Stadtschreibers Christian Sigismund Hoffmann. Zwölf Jahre früher
hatte Goethe seiner Schwester von Leipzig sein und des Freundes Horn un¬
vermutetes Zusammentreffen mit dem länger als ein Jahr nicht mehr gesehenen
Hoffmann ans der Messe also beschrieben: "Wir gingen an Lcingens Gewölbe
vorbei, als auf einmal eine fette und ziemlich kernhafte Figur, die aber zugleich
etwas düttig aussah, auf uns zukam. Sie wendete sich zu Hörner; ich besah
sie mit Verwunderung, erkannte endlich einige Züge und rief überlaut aus:
"Fritze, bist du's?" Er hielt sich nicht lange hier auf, und wir konnten also
die einem Landsmanne gebührenden Ehrenbezeugungen nicht beobachten, ob wir
ihn gleich einmal abends mit zu Tisch Stein Gastwirt Schönkopfj nahmen, wo
er aber niemanden ansah, nichts redete und also von einigen ans der Gesell¬
schaft für einen Philosophen, von andern für einen Schöps gehalten wurde. Er
wird schon in Berlin hwo sein Schwager Lange wohnte^ zugestutzt werden." Die
Trauung des Bürgers und Handelsmanns Johann Friedrich Hoffmann (er hatte
vier Wochen vorher den Bürgereid geschworen) mit der zwanzigjährigen Tochter
Starcks erfolgte am 6. Oktober. Der an zweiter Stelle von der Fran Rat
genannte Schöffe Schlosser, an den Goethe sich in seiner letzten Frankfurter Zeit
näher angeschlossen hatte, stand jetzt im dreiundvierzigsten Jahre. Seine Braut
Rebekka Elisabeth war die Tochter des Bankiers Johann Christian Steitz.
Auch diese Verbindung ward bald darauf geschlossen. Im Februar 1779 kam
Goethes Vetter Mekher (wohl der älteste) durch Weimar. Goethes Tagebuch
berichtet unterm 24.: "Im Rückweg >von Belvederej begegnete mir Mekher,
und ich hatte große Freude, ihn zu sehen. Wir schwatzten viel von Frankfurt;
er aß mit mir," und unter dem folgenden Tage: "Mittags Mekher. Ihn nach


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

zerriß Goethes Herz. Die Kunde, Schlosser werde Johanna Fahlmer heiraten,
ergriff ihn wunderbar. Der Mutter schrieb er: „Mit meiner Schwester ist mir
so eine starke Wurzel, die mich an die Erde hielt, abgehauen worden, daß die
Äste von oben, die davon Nahrung hatten, auch absterben müssen. Will sich
in der lieben Fahlmer eine neue Wurzclteilnehmuug und Befestigung erzeugen,
so will ich auch von meiner Seite mit euch den Göttern danken." Des Oheims
Wunsch, zu der auf den 28. September 1778 festgesetzten Hochzeit ein Glück-
wunschgedicht zu machen, konnte er unmöglich erfüllen. Der Neuvermählten
schrieb er: „Daß dn meine Schwester sein kannst, macht mir einen unverschmerz-
lichen Verlust wieder neu; also verzeihe meine Thränen bei deinem Glück. Das
Schicksal habe seine Mutterhand über dir und halte dich so warm, wies mich
hält, und gebe, daß ich mit dir die Freude genieße, die es meiner armen Ersten
versagt hat." Kurz vorher hatte Frau Aja durch die Herzogin-Mutter ihm
zwei ärgerliche Familiennachrichten mitteilen lassen: „Dem Pfarrer starck sein
Käthchen heiratet den dummen Buben Fritz Hoffmann und Hieronymus Peter
Schlosser öder ältere Bruder ihres Schwiegersohnes j die älteste Jungfer Steitz."
Goethes Jugcndgenossc Johann Friedrich Hoffmann war der Sohn des be¬
güterten Stadtschreibers Christian Sigismund Hoffmann. Zwölf Jahre früher
hatte Goethe seiner Schwester von Leipzig sein und des Freundes Horn un¬
vermutetes Zusammentreffen mit dem länger als ein Jahr nicht mehr gesehenen
Hoffmann ans der Messe also beschrieben: „Wir gingen an Lcingens Gewölbe
vorbei, als auf einmal eine fette und ziemlich kernhafte Figur, die aber zugleich
etwas düttig aussah, auf uns zukam. Sie wendete sich zu Hörner; ich besah
sie mit Verwunderung, erkannte endlich einige Züge und rief überlaut aus:
»Fritze, bist du's?« Er hielt sich nicht lange hier auf, und wir konnten also
die einem Landsmanne gebührenden Ehrenbezeugungen nicht beobachten, ob wir
ihn gleich einmal abends mit zu Tisch Stein Gastwirt Schönkopfj nahmen, wo
er aber niemanden ansah, nichts redete und also von einigen ans der Gesell¬
schaft für einen Philosophen, von andern für einen Schöps gehalten wurde. Er
wird schon in Berlin hwo sein Schwager Lange wohnte^ zugestutzt werden." Die
Trauung des Bürgers und Handelsmanns Johann Friedrich Hoffmann (er hatte
vier Wochen vorher den Bürgereid geschworen) mit der zwanzigjährigen Tochter
Starcks erfolgte am 6. Oktober. Der an zweiter Stelle von der Fran Rat
genannte Schöffe Schlosser, an den Goethe sich in seiner letzten Frankfurter Zeit
näher angeschlossen hatte, stand jetzt im dreiundvierzigsten Jahre. Seine Braut
Rebekka Elisabeth war die Tochter des Bankiers Johann Christian Steitz.
Auch diese Verbindung ward bald darauf geschlossen. Im Februar 1779 kam
Goethes Vetter Mekher (wohl der älteste) durch Weimar. Goethes Tagebuch
berichtet unterm 24.: „Im Rückweg >von Belvederej begegnete mir Mekher,
und ich hatte große Freude, ihn zu sehen. Wir schwatzten viel von Frankfurt;
er aß mit mir," und unter dem folgenden Tage: „Mittags Mekher. Ihn nach


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[0422] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. zerriß Goethes Herz. Die Kunde, Schlosser werde Johanna Fahlmer heiraten, ergriff ihn wunderbar. Der Mutter schrieb er: „Mit meiner Schwester ist mir so eine starke Wurzel, die mich an die Erde hielt, abgehauen worden, daß die Äste von oben, die davon Nahrung hatten, auch absterben müssen. Will sich in der lieben Fahlmer eine neue Wurzclteilnehmuug und Befestigung erzeugen, so will ich auch von meiner Seite mit euch den Göttern danken." Des Oheims Wunsch, zu der auf den 28. September 1778 festgesetzten Hochzeit ein Glück- wunschgedicht zu machen, konnte er unmöglich erfüllen. Der Neuvermählten schrieb er: „Daß dn meine Schwester sein kannst, macht mir einen unverschmerz- lichen Verlust wieder neu; also verzeihe meine Thränen bei deinem Glück. Das Schicksal habe seine Mutterhand über dir und halte dich so warm, wies mich hält, und gebe, daß ich mit dir die Freude genieße, die es meiner armen Ersten versagt hat." Kurz vorher hatte Frau Aja durch die Herzogin-Mutter ihm zwei ärgerliche Familiennachrichten mitteilen lassen: „Dem Pfarrer starck sein Käthchen heiratet den dummen Buben Fritz Hoffmann und Hieronymus Peter Schlosser öder ältere Bruder ihres Schwiegersohnes j die älteste Jungfer Steitz." Goethes Jugcndgenossc Johann Friedrich Hoffmann war der Sohn des be¬ güterten Stadtschreibers Christian Sigismund Hoffmann. Zwölf Jahre früher hatte Goethe seiner Schwester von Leipzig sein und des Freundes Horn un¬ vermutetes Zusammentreffen mit dem länger als ein Jahr nicht mehr gesehenen Hoffmann ans der Messe also beschrieben: „Wir gingen an Lcingens Gewölbe vorbei, als auf einmal eine fette und ziemlich kernhafte Figur, die aber zugleich etwas düttig aussah, auf uns zukam. Sie wendete sich zu Hörner; ich besah sie mit Verwunderung, erkannte endlich einige Züge und rief überlaut aus: »Fritze, bist du's?« Er hielt sich nicht lange hier auf, und wir konnten also die einem Landsmanne gebührenden Ehrenbezeugungen nicht beobachten, ob wir ihn gleich einmal abends mit zu Tisch Stein Gastwirt Schönkopfj nahmen, wo er aber niemanden ansah, nichts redete und also von einigen ans der Gesell¬ schaft für einen Philosophen, von andern für einen Schöps gehalten wurde. Er wird schon in Berlin hwo sein Schwager Lange wohnte^ zugestutzt werden." Die Trauung des Bürgers und Handelsmanns Johann Friedrich Hoffmann (er hatte vier Wochen vorher den Bürgereid geschworen) mit der zwanzigjährigen Tochter Starcks erfolgte am 6. Oktober. Der an zweiter Stelle von der Fran Rat genannte Schöffe Schlosser, an den Goethe sich in seiner letzten Frankfurter Zeit näher angeschlossen hatte, stand jetzt im dreiundvierzigsten Jahre. Seine Braut Rebekka Elisabeth war die Tochter des Bankiers Johann Christian Steitz. Auch diese Verbindung ward bald darauf geschlossen. Im Februar 1779 kam Goethes Vetter Mekher (wohl der älteste) durch Weimar. Goethes Tagebuch berichtet unterm 24.: „Im Rückweg >von Belvederej begegnete mir Mekher, und ich hatte große Freude, ihn zu sehen. Wir schwatzten viel von Frankfurt; er aß mit mir," und unter dem folgenden Tage: „Mittags Mekher. Ihn nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/422>, abgerufen am 28.07.2024.