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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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"Österreich und der deutsch-französische Urieg.

aus an Andrassy richtete und in der es heißt: "Der Herzog von Gramont hat
nicht bewiesen und wird nicht beweisen können, daß vor der Kriegserklärung
ein Wort gesagt oder geschrieben wurde, welches Frankreich hätte berechtigen
oder nur verleiten können ^verleiten? zu viel behauptet; man denke an Vitzthums
Sendung, und man vergleiche das Folgendes zu glauben, es könne auf die be¬
waffnete Unterstützung Österreichs rechnen. Als der Krieg einmal erklärt war,
dann erst sind zwar keine bindenden Zusicherungen, wohl aber freundliche Kund¬
gebungen ^wir sagen, auf Schrauben gestellte, behutsame Versprechungen für
den Fall, daß oder daß nicht u. s. w^ nach Paris gegangen. Die französische
Negierung zu entmutigen, konnte ihr nichts mehr helfen, uns aber sehr viel
schaden. sLies zwischen den Zeilen: daher Ermutigung, j Heute ist es leicht,
darüber abzusprechen, damals aber vermochte das niemand. Ich erinnere daran,
wie die preußische Regierung selbst Sorge trug, durch die Presse auf die Wahr¬
scheinlichkeit anfänglicher Niederlagen aufmerksam zu machen. sUns nicht er¬
innerlich, und wir hätten das erfahren müssen und in einem guten Gedächtnisse
aufbewahrt. Höchstens von einer Möglichkeit könnte offiziös gesprochen worden
sein.^ Die Gewißheit des Kaisers Napoleon zu einem möglichst raschen Friedens¬
schlüsse war uns bekannt, daß dieser auf unsre Unkosten geschlossen worden
wäre, denn unter den damaligen Umständen wäre schon die Überantwortung
des südlichen Deutschlands eine Niederlage für Österreich gewesen, ist gewiß,
und welche Worte hätte man für den österreichischen Minister gehabt, der diesen
Ausgang nicht vorhergesehen hätte? Daß bei dem damaligen Drängen der
Ereignisse in den betreffenden Schriftstücken, teilweise infolge persönlichen Über¬
eifers des Konzipienten, manches nicht genug abgewogene Wort übersehen wurde,
darf ich nicht leugnen, aber es sind eben nur Worte, nicht Gedanken und Thaten,
an welche der Gramontsche Schwindel und die journalistische Hetze sich hängen....
Was ihn sGramvnt^ allein vor der Mit- und Nachwelt entschuldigen könnte,
nämlich daß er vor der Kriegserklärung eine Allianz hatte, kann er nie be¬
haupten und noch weniger beweisen, und die angeblich aus den späteren Mit¬
teilungen geschöpfte Überzeugung, daß er auf die bewaffnete Unterstützung
Österreichs rechnen konnte, zieht ihm nur den neuen Vorwurf zu, daß er es
bei solchen Dispositionen zu keiner Allianz hatte bringen können." An andrer
Stelle sagt Beust noch deutlicher, daß ihn nur Vorsicht bestimmt habe, wenn
er sich vor dem Kriege zwar von Wohlwollen gegen Frankreich erfüllt und
geneigt zeigte, unter Umständen ihm militärische Hilfe zu leisten, sich aber auf
nichts bestimmtes einließ, und wenn er mit der Pariser Regierung nach der
Kriegserklärung nur "Fühlung behielt." Er bemerkt hier: "Nach dem Kriege
war es leicht zu sagen, was hätte geschehen sollen. Wer aber vermochte, als
der Krieg ausbrach, dessen Verlauf vorherzusagen? Ich war mir der ganzen
Schwere der auf mir lastenden Verantwortung bewußt, doppelt, weil ich ein
vom Kaiser nach Österreich berufener Ausländer war. Wie viel der schlaflosen


«Österreich und der deutsch-französische Urieg.

aus an Andrassy richtete und in der es heißt: „Der Herzog von Gramont hat
nicht bewiesen und wird nicht beweisen können, daß vor der Kriegserklärung
ein Wort gesagt oder geschrieben wurde, welches Frankreich hätte berechtigen
oder nur verleiten können ^verleiten? zu viel behauptet; man denke an Vitzthums
Sendung, und man vergleiche das Folgendes zu glauben, es könne auf die be¬
waffnete Unterstützung Österreichs rechnen. Als der Krieg einmal erklärt war,
dann erst sind zwar keine bindenden Zusicherungen, wohl aber freundliche Kund¬
gebungen ^wir sagen, auf Schrauben gestellte, behutsame Versprechungen für
den Fall, daß oder daß nicht u. s. w^ nach Paris gegangen. Die französische
Negierung zu entmutigen, konnte ihr nichts mehr helfen, uns aber sehr viel
schaden. sLies zwischen den Zeilen: daher Ermutigung, j Heute ist es leicht,
darüber abzusprechen, damals aber vermochte das niemand. Ich erinnere daran,
wie die preußische Regierung selbst Sorge trug, durch die Presse auf die Wahr¬
scheinlichkeit anfänglicher Niederlagen aufmerksam zu machen. sUns nicht er¬
innerlich, und wir hätten das erfahren müssen und in einem guten Gedächtnisse
aufbewahrt. Höchstens von einer Möglichkeit könnte offiziös gesprochen worden
sein.^ Die Gewißheit des Kaisers Napoleon zu einem möglichst raschen Friedens¬
schlüsse war uns bekannt, daß dieser auf unsre Unkosten geschlossen worden
wäre, denn unter den damaligen Umständen wäre schon die Überantwortung
des südlichen Deutschlands eine Niederlage für Österreich gewesen, ist gewiß,
und welche Worte hätte man für den österreichischen Minister gehabt, der diesen
Ausgang nicht vorhergesehen hätte? Daß bei dem damaligen Drängen der
Ereignisse in den betreffenden Schriftstücken, teilweise infolge persönlichen Über¬
eifers des Konzipienten, manches nicht genug abgewogene Wort übersehen wurde,
darf ich nicht leugnen, aber es sind eben nur Worte, nicht Gedanken und Thaten,
an welche der Gramontsche Schwindel und die journalistische Hetze sich hängen....
Was ihn sGramvnt^ allein vor der Mit- und Nachwelt entschuldigen könnte,
nämlich daß er vor der Kriegserklärung eine Allianz hatte, kann er nie be¬
haupten und noch weniger beweisen, und die angeblich aus den späteren Mit¬
teilungen geschöpfte Überzeugung, daß er auf die bewaffnete Unterstützung
Österreichs rechnen konnte, zieht ihm nur den neuen Vorwurf zu, daß er es
bei solchen Dispositionen zu keiner Allianz hatte bringen können." An andrer
Stelle sagt Beust noch deutlicher, daß ihn nur Vorsicht bestimmt habe, wenn
er sich vor dem Kriege zwar von Wohlwollen gegen Frankreich erfüllt und
geneigt zeigte, unter Umständen ihm militärische Hilfe zu leisten, sich aber auf
nichts bestimmtes einließ, und wenn er mit der Pariser Regierung nach der
Kriegserklärung nur „Fühlung behielt." Er bemerkt hier: „Nach dem Kriege
war es leicht zu sagen, was hätte geschehen sollen. Wer aber vermochte, als
der Krieg ausbrach, dessen Verlauf vorherzusagen? Ich war mir der ganzen
Schwere der auf mir lastenden Verantwortung bewußt, doppelt, weil ich ein
vom Kaiser nach Österreich berufener Ausländer war. Wie viel der schlaflosen


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[0404] «Österreich und der deutsch-französische Urieg. aus an Andrassy richtete und in der es heißt: „Der Herzog von Gramont hat nicht bewiesen und wird nicht beweisen können, daß vor der Kriegserklärung ein Wort gesagt oder geschrieben wurde, welches Frankreich hätte berechtigen oder nur verleiten können ^verleiten? zu viel behauptet; man denke an Vitzthums Sendung, und man vergleiche das Folgendes zu glauben, es könne auf die be¬ waffnete Unterstützung Österreichs rechnen. Als der Krieg einmal erklärt war, dann erst sind zwar keine bindenden Zusicherungen, wohl aber freundliche Kund¬ gebungen ^wir sagen, auf Schrauben gestellte, behutsame Versprechungen für den Fall, daß oder daß nicht u. s. w^ nach Paris gegangen. Die französische Negierung zu entmutigen, konnte ihr nichts mehr helfen, uns aber sehr viel schaden. sLies zwischen den Zeilen: daher Ermutigung, j Heute ist es leicht, darüber abzusprechen, damals aber vermochte das niemand. Ich erinnere daran, wie die preußische Regierung selbst Sorge trug, durch die Presse auf die Wahr¬ scheinlichkeit anfänglicher Niederlagen aufmerksam zu machen. sUns nicht er¬ innerlich, und wir hätten das erfahren müssen und in einem guten Gedächtnisse aufbewahrt. Höchstens von einer Möglichkeit könnte offiziös gesprochen worden sein.^ Die Gewißheit des Kaisers Napoleon zu einem möglichst raschen Friedens¬ schlüsse war uns bekannt, daß dieser auf unsre Unkosten geschlossen worden wäre, denn unter den damaligen Umständen wäre schon die Überantwortung des südlichen Deutschlands eine Niederlage für Österreich gewesen, ist gewiß, und welche Worte hätte man für den österreichischen Minister gehabt, der diesen Ausgang nicht vorhergesehen hätte? Daß bei dem damaligen Drängen der Ereignisse in den betreffenden Schriftstücken, teilweise infolge persönlichen Über¬ eifers des Konzipienten, manches nicht genug abgewogene Wort übersehen wurde, darf ich nicht leugnen, aber es sind eben nur Worte, nicht Gedanken und Thaten, an welche der Gramontsche Schwindel und die journalistische Hetze sich hängen.... Was ihn sGramvnt^ allein vor der Mit- und Nachwelt entschuldigen könnte, nämlich daß er vor der Kriegserklärung eine Allianz hatte, kann er nie be¬ haupten und noch weniger beweisen, und die angeblich aus den späteren Mit¬ teilungen geschöpfte Überzeugung, daß er auf die bewaffnete Unterstützung Österreichs rechnen konnte, zieht ihm nur den neuen Vorwurf zu, daß er es bei solchen Dispositionen zu keiner Allianz hatte bringen können." An andrer Stelle sagt Beust noch deutlicher, daß ihn nur Vorsicht bestimmt habe, wenn er sich vor dem Kriege zwar von Wohlwollen gegen Frankreich erfüllt und geneigt zeigte, unter Umständen ihm militärische Hilfe zu leisten, sich aber auf nichts bestimmtes einließ, und wenn er mit der Pariser Regierung nach der Kriegserklärung nur „Fühlung behielt." Er bemerkt hier: „Nach dem Kriege war es leicht zu sagen, was hätte geschehen sollen. Wer aber vermochte, als der Krieg ausbrach, dessen Verlauf vorherzusagen? Ich war mir der ganzen Schwere der auf mir lastenden Verantwortung bewußt, doppelt, weil ich ein vom Kaiser nach Österreich berufener Ausländer war. Wie viel der schlaflosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/404>, abgerufen am 28.07.2024.