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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

daß er seinen Abschied nehme und für die genossene viele Freundschaft seinen
Dank abstatte. Die mündliche Meldung ließ er durch den Gerichtssubstitutcn
Wagner machen, denselben, den Wolfgang ihm einst empfohlen hatte und der
zu jener Untersuchung Veranlassung gegeben, in die Gretchen verwickelt wurde.
Er muß sich demnach das Vertrauen des Schultheißen die Zeit über gewonnen
haben. Die beiden Natsglieder, welche ihn begrüßen sollten, konnte er nicht
empfangen, dagegen richtete er am 3. Juli ein von seinem Sohne unterzeichnetes
"gehorsamstes Abschieds- und Danksagungsmcmorial" an den Rat, welches dieser
mit dem Ausdrucke seines Bedauerns, dem verbindlichsten Danke für die der Stadt
und dem gemeinen Wesen geleistete vieljährige Treue und der lebhaftesten Ver¬
sicherung erwiederte, "daß nicht nur das Angedenken dieser wesentlichen statt¬
lichen Verdienste bei Uns und sämtlicher Bürgerschaft ohnauslöschlich sein wird,
sondern Wir für unsre Person ein angenehmes Geschäft Uns machen werden,
der Nachkommenschaft eines solchen würdigen Mannes alle diejenige Achtung
und Erkenntlichkeit an den Tag zu legen, welche Wir demselben längstens ge¬
widmet haben." Die Stelle wurde, so lange er lebte, nicht wieder besetzt. Bald
darauf kam eine verwandtschaftliche Verbindung zwischen der Textorschen und
der Schlosserschen Familie zu stände; denn am 1. August 1770 traute der
Pfarrer starck seinen Bruder, den Advokaten Dr. Martin starck, mit der
Schwester der Brüder Schlosser, Maria Magdcilena. Am 2. Januar 1771
wurde dem Oheime ein dritter Sohn geboren, dessen Pate Mekher wurde. Der
Schultheiß verschied am 6. Februar und ward in dem Appelschen Erbbegräbnis
bestattet. Wolfgang sprach der Großmutter sein warmes Beileid aus. "Mich,
nicht Sie zu trösten, schreib ich Ihnen -- äußerte er --, Ihnen, die Sie jetzo
das Haupt unsrer Familie sind, bitte Sie um Ihre Liebe und versichere Sie
meiner zärtlichsten Ergebenheit." Gott habe, fuhr er fort, nicht nur für den
Verstorbenen gesorgt, auch der Gattin und der Familie habe er eine Wohlthat
erzeigt. "Er hat uns nicht den muntern, freundlichen, glücklichen Greis ent¬
rissen, der mit der Lebhaftigkeit eines Jünglings die Geschäfte des Alters ver¬
richtete, seinem Volke vorstund, die Freude seiner Familie war. Er hat uns
einen Mann genommen, dessen Leben wir schon einige Jahre an einem seidnen
Faden hängen sahen, dessen feuriger Geist die unterdrückende Last eines kranken
Körpers mit schwerer Ängstlichkeit fühlen mußte." Auch in feiner eignen Lebens¬
darstellung hat der Enkel dem wohlwollenden, bei aller rastlosen Thätigkeit
ruhigen, das Gefühl eines unverbrüchlichen Friedens um sich verbreitenden wür¬
digen Greise ein schönes Denkmal gesetzt.

Dagegen tritt uns Textor als ein unedler, ja niederträchtiger, zu jeder
Schandthat fähiger Selbstsüchtler aus den handschriftlichen Aufzeichnungen seines
gleichzeitigen Landsmannes entgegen, und leider hat dieses Zerrbild sich dadurch
Eingang zu verschaffen gewußt, daß es von Senckenberg entworfen wurde, der
durch jene großartige Stiftung seine Vaterstadt zu so vielem Danke verpflichtet


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

daß er seinen Abschied nehme und für die genossene viele Freundschaft seinen
Dank abstatte. Die mündliche Meldung ließ er durch den Gerichtssubstitutcn
Wagner machen, denselben, den Wolfgang ihm einst empfohlen hatte und der
zu jener Untersuchung Veranlassung gegeben, in die Gretchen verwickelt wurde.
Er muß sich demnach das Vertrauen des Schultheißen die Zeit über gewonnen
haben. Die beiden Natsglieder, welche ihn begrüßen sollten, konnte er nicht
empfangen, dagegen richtete er am 3. Juli ein von seinem Sohne unterzeichnetes
„gehorsamstes Abschieds- und Danksagungsmcmorial" an den Rat, welches dieser
mit dem Ausdrucke seines Bedauerns, dem verbindlichsten Danke für die der Stadt
und dem gemeinen Wesen geleistete vieljährige Treue und der lebhaftesten Ver¬
sicherung erwiederte, „daß nicht nur das Angedenken dieser wesentlichen statt¬
lichen Verdienste bei Uns und sämtlicher Bürgerschaft ohnauslöschlich sein wird,
sondern Wir für unsre Person ein angenehmes Geschäft Uns machen werden,
der Nachkommenschaft eines solchen würdigen Mannes alle diejenige Achtung
und Erkenntlichkeit an den Tag zu legen, welche Wir demselben längstens ge¬
widmet haben." Die Stelle wurde, so lange er lebte, nicht wieder besetzt. Bald
darauf kam eine verwandtschaftliche Verbindung zwischen der Textorschen und
der Schlosserschen Familie zu stände; denn am 1. August 1770 traute der
Pfarrer starck seinen Bruder, den Advokaten Dr. Martin starck, mit der
Schwester der Brüder Schlosser, Maria Magdcilena. Am 2. Januar 1771
wurde dem Oheime ein dritter Sohn geboren, dessen Pate Mekher wurde. Der
Schultheiß verschied am 6. Februar und ward in dem Appelschen Erbbegräbnis
bestattet. Wolfgang sprach der Großmutter sein warmes Beileid aus. „Mich,
nicht Sie zu trösten, schreib ich Ihnen — äußerte er —, Ihnen, die Sie jetzo
das Haupt unsrer Familie sind, bitte Sie um Ihre Liebe und versichere Sie
meiner zärtlichsten Ergebenheit." Gott habe, fuhr er fort, nicht nur für den
Verstorbenen gesorgt, auch der Gattin und der Familie habe er eine Wohlthat
erzeigt. „Er hat uns nicht den muntern, freundlichen, glücklichen Greis ent¬
rissen, der mit der Lebhaftigkeit eines Jünglings die Geschäfte des Alters ver¬
richtete, seinem Volke vorstund, die Freude seiner Familie war. Er hat uns
einen Mann genommen, dessen Leben wir schon einige Jahre an einem seidnen
Faden hängen sahen, dessen feuriger Geist die unterdrückende Last eines kranken
Körpers mit schwerer Ängstlichkeit fühlen mußte." Auch in feiner eignen Lebens¬
darstellung hat der Enkel dem wohlwollenden, bei aller rastlosen Thätigkeit
ruhigen, das Gefühl eines unverbrüchlichen Friedens um sich verbreitenden wür¬
digen Greise ein schönes Denkmal gesetzt.

Dagegen tritt uns Textor als ein unedler, ja niederträchtiger, zu jeder
Schandthat fähiger Selbstsüchtler aus den handschriftlichen Aufzeichnungen seines
gleichzeitigen Landsmannes entgegen, und leider hat dieses Zerrbild sich dadurch
Eingang zu verschaffen gewußt, daß es von Senckenberg entworfen wurde, der
durch jene großartige Stiftung seine Vaterstadt zu so vielem Danke verpflichtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/381>, abgerufen am 01.09.2024.