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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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?c>s Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

die Braut zu gelehrt, und so hielt er diese Verbindung für eine große Thorheit.
Dennoch lieferte er zu der am 17. Februar gefeierten Hochzeit ein Gedicht voll
leeren Pompes, das von der Familie mit Lobsprüchen beehrt wurde, und ihm
selber gefiel es, bis Professor Clodius, dem es vorgelegt wurde, so arg damit
umging, daß er längere Zeit an seiner dichterischen Begabung verzweifelte.
Schon am 29. Januar 1767 wurde die Ehe durch einen Sohn gesegnet, zur
größten Freude des Schultheißen, welcher in diesem Enkel, der natürlich
seine Vornamen erhielt, den Fortpflanzer seines Geschlechts im männlichen
Stamme gewonnen zu haben hoffte. Völlig außer sich brachte den Leipziger
Studenten bald darauf die Kunde von der Verlobung seiner schönen Tante mit
dem volle dreizehn Jahre ältern Leutnant des Kreiskontiugents Georg Heinrich
Cornelius Schuler, dessen häßliche Figur er immer, wie er der Schwester schrieb,
für ein Mittel gegen die Liebe gehalten hatte, und er bedauerte den armen
Großvater, der seine Genehmigung zu solchen Thorheiten seiner Kinder geben
müsse. Die Ehe wurde am 5. Mai vollzogen. Im folgenden Jahre stand die
Großmutter Pate bei der diesem Bunde entsprossenen Tochter. Goethes Vater
wurde am 10. Juli 1768 Pate des zweiten Sohnes des Oheims. Auch Melbers
Familie vermehrte sich während Wolfgangs Abwesenheit durch eine Tochter,
Anna Christina, und einen Sohn, der wieder die Vornamen des vor sieben
Jahren gestorbenen erhielt; dagegen starb auch das zweite Patenkind der Frau Rat.

Als Wolfgang mit gebrochener Gesundheit und dem traurigen Gedanken,
der Schwindsucht verfallen zu sein, am 3. September 1768 nach Frankfurt
zurückkehrte, lag der Großvater ohne Hoffnung auf völlige Herstellung darnieder.
Ein Schlagfluß hatte den rastlos thätigen, fortgesetzt durch das dem Rate und
ihm feindselige und toll unwürdige Benehmen des ausgestoßenen Ratsherrn
Senckenberg bitter geärgerten Schultheiß in seiner Amtsstube befallen, ihm den
rechten Arm und die Zunge gelähmt, auch seinen Geist angegriffen. Während
Wolfgang in Frankfurt langsam genas, erhielt Schuler im Jahre 1769 einen
Sohn, dessen Pate, da der Großvater krank war, dessen Sohn, der Advokat
Textor, wurde; ihm folgte ein zweiter, Wolfgang Heinrich Ferdinand, bei welchem
ein Bruder des Vaters, der Major Schuler, die Patenstelle vertrat. Die übrigen
Vettern und Vasen waren unterdessen glücklich herangewachsen. Der älteste
Sohn Melbers scheint in einem Ladengeschäfte zu Straßbnrg gestanden zu haben ;
denn dieser dürfte gemeint sein, wenn Wolfgang den 26. Angust 1770 von dort
an Fräulein von Klettenberg schreibt: er habe den frommen Handelsmann, an
welchen diese ihn empfohlen, oft die Sache seiner Grillen und die Sache Gottes
vermischen hören, wenn er seinen Vetter gescholten; als Hausvater sei er zu
streng, und sie könne sich denken, was dabei herauskomme, wenn er die feinem
Pflichten der Religion von seinen rohen jungen Leuten beobachtet haben wolle.

Wolfgang hatte den Großvater sehr leidend verlassen, als er im April
1770 nach Straßburg reiste. Schon im Juni ließ dieser dem Rate anzeigen,


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die Braut zu gelehrt, und so hielt er diese Verbindung für eine große Thorheit.
Dennoch lieferte er zu der am 17. Februar gefeierten Hochzeit ein Gedicht voll
leeren Pompes, das von der Familie mit Lobsprüchen beehrt wurde, und ihm
selber gefiel es, bis Professor Clodius, dem es vorgelegt wurde, so arg damit
umging, daß er längere Zeit an seiner dichterischen Begabung verzweifelte.
Schon am 29. Januar 1767 wurde die Ehe durch einen Sohn gesegnet, zur
größten Freude des Schultheißen, welcher in diesem Enkel, der natürlich
seine Vornamen erhielt, den Fortpflanzer seines Geschlechts im männlichen
Stamme gewonnen zu haben hoffte. Völlig außer sich brachte den Leipziger
Studenten bald darauf die Kunde von der Verlobung seiner schönen Tante mit
dem volle dreizehn Jahre ältern Leutnant des Kreiskontiugents Georg Heinrich
Cornelius Schuler, dessen häßliche Figur er immer, wie er der Schwester schrieb,
für ein Mittel gegen die Liebe gehalten hatte, und er bedauerte den armen
Großvater, der seine Genehmigung zu solchen Thorheiten seiner Kinder geben
müsse. Die Ehe wurde am 5. Mai vollzogen. Im folgenden Jahre stand die
Großmutter Pate bei der diesem Bunde entsprossenen Tochter. Goethes Vater
wurde am 10. Juli 1768 Pate des zweiten Sohnes des Oheims. Auch Melbers
Familie vermehrte sich während Wolfgangs Abwesenheit durch eine Tochter,
Anna Christina, und einen Sohn, der wieder die Vornamen des vor sieben
Jahren gestorbenen erhielt; dagegen starb auch das zweite Patenkind der Frau Rat.

Als Wolfgang mit gebrochener Gesundheit und dem traurigen Gedanken,
der Schwindsucht verfallen zu sein, am 3. September 1768 nach Frankfurt
zurückkehrte, lag der Großvater ohne Hoffnung auf völlige Herstellung darnieder.
Ein Schlagfluß hatte den rastlos thätigen, fortgesetzt durch das dem Rate und
ihm feindselige und toll unwürdige Benehmen des ausgestoßenen Ratsherrn
Senckenberg bitter geärgerten Schultheiß in seiner Amtsstube befallen, ihm den
rechten Arm und die Zunge gelähmt, auch seinen Geist angegriffen. Während
Wolfgang in Frankfurt langsam genas, erhielt Schuler im Jahre 1769 einen
Sohn, dessen Pate, da der Großvater krank war, dessen Sohn, der Advokat
Textor, wurde; ihm folgte ein zweiter, Wolfgang Heinrich Ferdinand, bei welchem
ein Bruder des Vaters, der Major Schuler, die Patenstelle vertrat. Die übrigen
Vettern und Vasen waren unterdessen glücklich herangewachsen. Der älteste
Sohn Melbers scheint in einem Ladengeschäfte zu Straßbnrg gestanden zu haben ;
denn dieser dürfte gemeint sein, wenn Wolfgang den 26. Angust 1770 von dort
an Fräulein von Klettenberg schreibt: er habe den frommen Handelsmann, an
welchen diese ihn empfohlen, oft die Sache seiner Grillen und die Sache Gottes
vermischen hören, wenn er seinen Vetter gescholten; als Hausvater sei er zu
streng, und sie könne sich denken, was dabei herauskomme, wenn er die feinem
Pflichten der Religion von seinen rohen jungen Leuten beobachtet haben wolle.

Wolfgang hatte den Großvater sehr leidend verlassen, als er im April
1770 nach Straßburg reiste. Schon im Juni ließ dieser dem Rate anzeigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/380>, abgerufen am 01.09.2024.