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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus.

Allerdings ist damit auch schon die große Schwäche des "Homunculus"
berührt: die Schwäche, welche mit der gesamten künstlerischen Eigenart
Hamerlings zusammenhängt. Hamerling ist ja nicht der erste, der eine Satire
gegen den Materialismus, gegen die brutale Genußsucht, gegen den charakter¬
losen Opportunismus wie gegen die maßlose Jagd nach Geld richtet; auch der
"Martin Salander" von Gottfried Keller verfolgt diese Absicht, auch dort
spielt der große Börsenkrach zu Anfang der siebziger Jahre seine bedeutsame
Rolle. Dabei hat der Roman Kellers, trotz seiner Kühle, vor dem Werke Ha¬
merlings das voraus, daß er sich mit seiner wirklichen Handlung und mit seinen
charakteristischen Typen an die voraussetzungslose Einsicht jedes gesunden Menschen
wendet, während der "Homunculus" einen ganzen wissenschaftlichen Apparat vom
Leser erfordert und damit sein Publikum von vornherein dezimirt. Hamerlings
Begabung ist die des Lyrikers, des Rhetorikers und des farbcnmächtigen Schil¬
derers, nicht die des Plastikers. Obwohl er zweifellos ein wahrhaft dichterischer
Mensch ist, ist es ihm doch selten gelungen, seinen Gedankenreichtum ganz in
Gestalt und Handlung aufgehen zu lassen, es blieb ihm häufig mit seinem Über¬
schuß von Gedanken die Aufgabe übrig, jene rein poetischen Ausdrucksmittel zu
kommentiren. Er hat für die Phantasie geschrieben, aber er hat sie nicht befriedigt,
keine seiner Gestalten ist in dem Gedächtnis der Nation haften geblieben, keine
ist volkstümlich geworden, weil er kein vollendeter Künstler ist. Im "Homun¬
culus" kommt freilich dieser Mangel Hamerlings an Plastik nicht in Betracht,
da es sich um eine Fülle von Ideen, Bildern, Karikaturen und groß entwor¬
fenen Situationen handelt, die meist bloß allegorisch wirken sollen.

Denn dies darf keinen Augenblick verkannt werden, mag man sich rein
ästhetisch zu dem Ganzen oder zu den Einzelheiten stellen wie man will: einer
großartigen dichterischen Konzeption ist dieses satirische Zerrbild der Gegenwart
jedenfalls entsprungen. Einer dichterischen, sagen wir mit Nachdruck, denn dieses
ist einer ihrer am tiefsten begründeten Vorzüge. Hamerling hat nicht als Pes¬
simist, nicht als spleenhafter Weltverächter dieses Gemälde entworfen, er hat
nicht den Glauben an die Menschheit verloren, er ist kein Verzweifelter, der den
innern Frieden nicht gefunden hat und darum die Sittlichkeit auch objektiv
leugnet, vielmehr fühlt er sich konservativ wie alle großen Poeten, als den
Sprecher jener gottlob größern Überzahl von Menschen, die in treu bewahrter
Sitte still verharren und die Auswüchse ihrer eignen Zeit teils mit Zorn, teils
mit Verachtung oder Hohn, teils aber auch mit unbezwinglicher Teilnahme, mit
echt humanen Mitgefühl betrachten und beurteilen. Nicht also gegen das
menschliche Geschlecht als solches, sondern ganz ausdrücklich gegen den Geist des
letzten Geschlechts in seinen fatalen Formen wendet sich Hamerlings Satire.
Homunculus ist die Verkörperung dieses fatalen Geistes. Darum ist er auch kein
rechtschaffner Menschensohn, sondern aus der Retorte eines Chemikers entsprungen.

Sein Vater ist der Meister der Chemie, der Materialismus, der Mann,


Hamerlings Homunculus.

Allerdings ist damit auch schon die große Schwäche des „Homunculus"
berührt: die Schwäche, welche mit der gesamten künstlerischen Eigenart
Hamerlings zusammenhängt. Hamerling ist ja nicht der erste, der eine Satire
gegen den Materialismus, gegen die brutale Genußsucht, gegen den charakter¬
losen Opportunismus wie gegen die maßlose Jagd nach Geld richtet; auch der
„Martin Salander" von Gottfried Keller verfolgt diese Absicht, auch dort
spielt der große Börsenkrach zu Anfang der siebziger Jahre seine bedeutsame
Rolle. Dabei hat der Roman Kellers, trotz seiner Kühle, vor dem Werke Ha¬
merlings das voraus, daß er sich mit seiner wirklichen Handlung und mit seinen
charakteristischen Typen an die voraussetzungslose Einsicht jedes gesunden Menschen
wendet, während der „Homunculus" einen ganzen wissenschaftlichen Apparat vom
Leser erfordert und damit sein Publikum von vornherein dezimirt. Hamerlings
Begabung ist die des Lyrikers, des Rhetorikers und des farbcnmächtigen Schil¬
derers, nicht die des Plastikers. Obwohl er zweifellos ein wahrhaft dichterischer
Mensch ist, ist es ihm doch selten gelungen, seinen Gedankenreichtum ganz in
Gestalt und Handlung aufgehen zu lassen, es blieb ihm häufig mit seinem Über¬
schuß von Gedanken die Aufgabe übrig, jene rein poetischen Ausdrucksmittel zu
kommentiren. Er hat für die Phantasie geschrieben, aber er hat sie nicht befriedigt,
keine seiner Gestalten ist in dem Gedächtnis der Nation haften geblieben, keine
ist volkstümlich geworden, weil er kein vollendeter Künstler ist. Im „Homun¬
culus" kommt freilich dieser Mangel Hamerlings an Plastik nicht in Betracht,
da es sich um eine Fülle von Ideen, Bildern, Karikaturen und groß entwor¬
fenen Situationen handelt, die meist bloß allegorisch wirken sollen.

Denn dies darf keinen Augenblick verkannt werden, mag man sich rein
ästhetisch zu dem Ganzen oder zu den Einzelheiten stellen wie man will: einer
großartigen dichterischen Konzeption ist dieses satirische Zerrbild der Gegenwart
jedenfalls entsprungen. Einer dichterischen, sagen wir mit Nachdruck, denn dieses
ist einer ihrer am tiefsten begründeten Vorzüge. Hamerling hat nicht als Pes¬
simist, nicht als spleenhafter Weltverächter dieses Gemälde entworfen, er hat
nicht den Glauben an die Menschheit verloren, er ist kein Verzweifelter, der den
innern Frieden nicht gefunden hat und darum die Sittlichkeit auch objektiv
leugnet, vielmehr fühlt er sich konservativ wie alle großen Poeten, als den
Sprecher jener gottlob größern Überzahl von Menschen, die in treu bewahrter
Sitte still verharren und die Auswüchse ihrer eignen Zeit teils mit Zorn, teils
mit Verachtung oder Hohn, teils aber auch mit unbezwinglicher Teilnahme, mit
echt humanen Mitgefühl betrachten und beurteilen. Nicht also gegen das
menschliche Geschlecht als solches, sondern ganz ausdrücklich gegen den Geist des
letzten Geschlechts in seinen fatalen Formen wendet sich Hamerlings Satire.
Homunculus ist die Verkörperung dieses fatalen Geistes. Darum ist er auch kein
rechtschaffner Menschensohn, sondern aus der Retorte eines Chemikers entsprungen.

Sein Vater ist der Meister der Chemie, der Materialismus, der Mann,


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[0036] Hamerlings Homunculus. Allerdings ist damit auch schon die große Schwäche des „Homunculus" berührt: die Schwäche, welche mit der gesamten künstlerischen Eigenart Hamerlings zusammenhängt. Hamerling ist ja nicht der erste, der eine Satire gegen den Materialismus, gegen die brutale Genußsucht, gegen den charakter¬ losen Opportunismus wie gegen die maßlose Jagd nach Geld richtet; auch der „Martin Salander" von Gottfried Keller verfolgt diese Absicht, auch dort spielt der große Börsenkrach zu Anfang der siebziger Jahre seine bedeutsame Rolle. Dabei hat der Roman Kellers, trotz seiner Kühle, vor dem Werke Ha¬ merlings das voraus, daß er sich mit seiner wirklichen Handlung und mit seinen charakteristischen Typen an die voraussetzungslose Einsicht jedes gesunden Menschen wendet, während der „Homunculus" einen ganzen wissenschaftlichen Apparat vom Leser erfordert und damit sein Publikum von vornherein dezimirt. Hamerlings Begabung ist die des Lyrikers, des Rhetorikers und des farbcnmächtigen Schil¬ derers, nicht die des Plastikers. Obwohl er zweifellos ein wahrhaft dichterischer Mensch ist, ist es ihm doch selten gelungen, seinen Gedankenreichtum ganz in Gestalt und Handlung aufgehen zu lassen, es blieb ihm häufig mit seinem Über¬ schuß von Gedanken die Aufgabe übrig, jene rein poetischen Ausdrucksmittel zu kommentiren. Er hat für die Phantasie geschrieben, aber er hat sie nicht befriedigt, keine seiner Gestalten ist in dem Gedächtnis der Nation haften geblieben, keine ist volkstümlich geworden, weil er kein vollendeter Künstler ist. Im „Homun¬ culus" kommt freilich dieser Mangel Hamerlings an Plastik nicht in Betracht, da es sich um eine Fülle von Ideen, Bildern, Karikaturen und groß entwor¬ fenen Situationen handelt, die meist bloß allegorisch wirken sollen. Denn dies darf keinen Augenblick verkannt werden, mag man sich rein ästhetisch zu dem Ganzen oder zu den Einzelheiten stellen wie man will: einer großartigen dichterischen Konzeption ist dieses satirische Zerrbild der Gegenwart jedenfalls entsprungen. Einer dichterischen, sagen wir mit Nachdruck, denn dieses ist einer ihrer am tiefsten begründeten Vorzüge. Hamerling hat nicht als Pes¬ simist, nicht als spleenhafter Weltverächter dieses Gemälde entworfen, er hat nicht den Glauben an die Menschheit verloren, er ist kein Verzweifelter, der den innern Frieden nicht gefunden hat und darum die Sittlichkeit auch objektiv leugnet, vielmehr fühlt er sich konservativ wie alle großen Poeten, als den Sprecher jener gottlob größern Überzahl von Menschen, die in treu bewahrter Sitte still verharren und die Auswüchse ihrer eignen Zeit teils mit Zorn, teils mit Verachtung oder Hohn, teils aber auch mit unbezwinglicher Teilnahme, mit echt humanen Mitgefühl betrachten und beurteilen. Nicht also gegen das menschliche Geschlecht als solches, sondern ganz ausdrücklich gegen den Geist des letzten Geschlechts in seinen fatalen Formen wendet sich Hamerlings Satire. Homunculus ist die Verkörperung dieses fatalen Geistes. Darum ist er auch kein rechtschaffner Menschensohn, sondern aus der Retorte eines Chemikers entsprungen. Sein Vater ist der Meister der Chemie, der Materialismus, der Mann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/36>, abgerufen am 01.09.2024.