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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus,

der in der ganzen Welt nichts als Kraft und Stoff sieht, die in ewiger Wand¬
lung begriffen sind, der die Existenz einer Seele nicht anerkennt, der selbst das
Denken auf einen chemischen Prozeß im Gehirn zurückführt, überall nur mecha¬
nische Vorgänge, aber keine sittlichen Handlungen anerkennt, der nur einseitige
Interessen besitzt und dem dabei alles, was wir als Herz, Gemüt, Gefühl zu schätzen
pflegen, gleichgiltig ist, der daher nur ein Streben nach Macht oder, richtiger ge¬
sprochen, nach Gold anerkennt, keines nach jenen ungleich teuerer" Gütern des
Gemütes, also keine Tugend, keine Kunst schätzt. So beschaffen ist der Vater des
Homunculus: ein großer Gelehrter, aber ein ganz und gar freudlos nüchterner
Mensch. Er ist für sein Teil ein wohlwollender, vielerfahrener, einsam im
Laboratorium dahinlebender, aber stets zur Hilfe bereiter alter Praktikus. Was
auch Homunculus treiben mag. er tritt nie hindernd dazwischen, vielmehr ver¬
sucht er es, ihm in Augenblicken der Not zu helfen, ohne sich der Welt als
sein Vater verraten zu wollen, aber auch ohne seinem Übel, den über¬
spannten und blasirten Nerven, der grenzenlosen Langenweile, abhelfen zu können.
Denn den Grund des Übels, den Mangel an Seele, kennt er ja nicht. Seele,
d. h. sittliche Kraft, ist im ganzen Bereiche der stofflichen Erscheinungen nicht
anzutreffen, die will vom Menschen allein bekundet werden.

In diesem aus dein Hintergründe aller Vorgänge von Zeit zu Zeit auf¬
tauchenden gelehrten Erzeuger des Homunculus hat Hamerling nicht seine Mei¬
nung über die Naturwissenschaften als solche, sondern über einzelne Strömungen,
und zwar über die herrschenden und die große Menge mitreißenden, symbolisch
ausgesprochen. Dieser Vater des Homunculus ist die Verkörperung jener natur¬
wissenschaftlichen Bestrebungen, die unmittelbar auf praktische Verwertung derselben
abzielen, stets auf neue Erfindungen bedacht sind, und die 1", Büchner sich
polemisch in Büchern und Vorträgen gegen den ererbten Idealismus wenden.
Persönlich kann dem Charakter solcher Männer nichts übles nachgesagt werden,
sie sind Schwärmer eigner Art; aber böse Früchte zeugt ihre Schwärmerei,
wie das Leben und Treiben des Homunculus lehrt. In dem grandiosen Schlu߬
bilde, wo dieser auf seinem Luftschiff zur endlosen Irrfahrt durch die Welten
verurteilt ist, sieht er mit reuevollen Schmerze auf die schöne Erde hinab:

Helden sieht er freier Forschung,
Schleierloser Wahrheit -- Helden
Der Erkenntnis, die mit reinem
Aug' der Isis Schleier heben.
Und bei welchen Licht im Haupte
Sich mit Wärme paart im Herzen --
Schöpferische, edle Geister
Sieht er, welche aus sich schwingen
Schönheitstrunken, ohne Luftball,
In die höchsten Regionen.
Sieht auf goldnem Saatgcfilde
Etto stehn und Dora, lächelnd,
Glückumstrahlt, ein Bild der Urkrnst,
Vollbescelten Menschentumes,
Das im Wandel der Geschlechter,
Ob umdunkelt auch, umdüstert,
Sich behaupten wird aufs neu stets
Bis ans Ende aller Tage.
Helden sieht er, Streiter, Dulder,
Die, nach hohen Idealen
Ringend, freudig selbst sich opfern,

Hamerlings Homunculus,

der in der ganzen Welt nichts als Kraft und Stoff sieht, die in ewiger Wand¬
lung begriffen sind, der die Existenz einer Seele nicht anerkennt, der selbst das
Denken auf einen chemischen Prozeß im Gehirn zurückführt, überall nur mecha¬
nische Vorgänge, aber keine sittlichen Handlungen anerkennt, der nur einseitige
Interessen besitzt und dem dabei alles, was wir als Herz, Gemüt, Gefühl zu schätzen
pflegen, gleichgiltig ist, der daher nur ein Streben nach Macht oder, richtiger ge¬
sprochen, nach Gold anerkennt, keines nach jenen ungleich teuerer» Gütern des
Gemütes, also keine Tugend, keine Kunst schätzt. So beschaffen ist der Vater des
Homunculus: ein großer Gelehrter, aber ein ganz und gar freudlos nüchterner
Mensch. Er ist für sein Teil ein wohlwollender, vielerfahrener, einsam im
Laboratorium dahinlebender, aber stets zur Hilfe bereiter alter Praktikus. Was
auch Homunculus treiben mag. er tritt nie hindernd dazwischen, vielmehr ver¬
sucht er es, ihm in Augenblicken der Not zu helfen, ohne sich der Welt als
sein Vater verraten zu wollen, aber auch ohne seinem Übel, den über¬
spannten und blasirten Nerven, der grenzenlosen Langenweile, abhelfen zu können.
Denn den Grund des Übels, den Mangel an Seele, kennt er ja nicht. Seele,
d. h. sittliche Kraft, ist im ganzen Bereiche der stofflichen Erscheinungen nicht
anzutreffen, die will vom Menschen allein bekundet werden.

In diesem aus dein Hintergründe aller Vorgänge von Zeit zu Zeit auf¬
tauchenden gelehrten Erzeuger des Homunculus hat Hamerling nicht seine Mei¬
nung über die Naturwissenschaften als solche, sondern über einzelne Strömungen,
und zwar über die herrschenden und die große Menge mitreißenden, symbolisch
ausgesprochen. Dieser Vater des Homunculus ist die Verkörperung jener natur¬
wissenschaftlichen Bestrebungen, die unmittelbar auf praktische Verwertung derselben
abzielen, stets auf neue Erfindungen bedacht sind, und die 1», Büchner sich
polemisch in Büchern und Vorträgen gegen den ererbten Idealismus wenden.
Persönlich kann dem Charakter solcher Männer nichts übles nachgesagt werden,
sie sind Schwärmer eigner Art; aber böse Früchte zeugt ihre Schwärmerei,
wie das Leben und Treiben des Homunculus lehrt. In dem grandiosen Schlu߬
bilde, wo dieser auf seinem Luftschiff zur endlosen Irrfahrt durch die Welten
verurteilt ist, sieht er mit reuevollen Schmerze auf die schöne Erde hinab:

Helden sieht er freier Forschung,
Schleierloser Wahrheit — Helden
Der Erkenntnis, die mit reinem
Aug' der Isis Schleier heben.
Und bei welchen Licht im Haupte
Sich mit Wärme paart im Herzen —
Schöpferische, edle Geister
Sieht er, welche aus sich schwingen
Schönheitstrunken, ohne Luftball,
In die höchsten Regionen.
Sieht auf goldnem Saatgcfilde
Etto stehn und Dora, lächelnd,
Glückumstrahlt, ein Bild der Urkrnst,
Vollbescelten Menschentumes,
Das im Wandel der Geschlechter,
Ob umdunkelt auch, umdüstert,
Sich behaupten wird aufs neu stets
Bis ans Ende aller Tage.
Helden sieht er, Streiter, Dulder,
Die, nach hohen Idealen
Ringend, freudig selbst sich opfern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/37>, abgerufen am 01.09.2024.