Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

Art Großgriechenland aus der Welt der Träume in die Wirklichkeit tritt, hieße
noch mehr der Ausführung des Planes zu einem Großrußland, das bis zum
Mittelmeere reichte, Hindernisse schaffen, als ein Großbulgarien entstehen zu lassen,
auf das Nußland keinen Einfluß üben könnte; denn ein Großgriechenland würde
niemals ein Trabant Rußlands werden wollen, ein Großbulgarien dagegen würde
sich dieser Rolle unter Umständen kaum entziehen können. Jene Bulgaren
fühlen sich in Betreff der mazedonischen Frage für die Zukunft ziemlich sicher
und meinen, dieses Nachbarland werde ihnen kaum lange vorenthalten bleiben,
wenn erst das zunächst wichtigste Werk, die Aufgabe, Bulgarien auf eigne Füße
zu stellen und zu befestigen, vollendet sei, und dazu werde ihm unzweifelhaft
eher jede andre Macht als Rußland die Hand bieten. Letzteres könne und
wolle alle Balkanstaaten, im jetzigen Falle Griechenland und Bulgarien, nur
als Werkzeuge, als Hebel gegen einander benutzen. Eher könne trotz mancher
Hindernisse, die in der Verschiedenheit der Nationalitäten und in Erinnerungen
an den serbisch-bulgarischen Krieg ihren Grund hätten, von einer Verständigung
der Balkanländer die Rede sein, die sie gegen die russische Politik verbände.
Selbst ein Griechenland, welches sein Interesse recht verstünde und mäßige An¬
sprüche auf Landzuwachs, sowie auf Rangstellung unter den Bundesgliedcrn
erheben wolle, könnte Aufnahme in die Genossenschaft erlangen und seinen Vor¬
teil dabei finden. Man könnte ihm hinsichtlich seiner Wünsche nach Vergröße¬
rung billige Zugeständnisse, vorzüglich in den Küstengegenden und andern fast
ausschließlich von Hellenen bewohnten Landstrichen, machen und ihm die Stelle
des Admiralstaates der Föderation einräumen, und die letztere würde ihm
seine Unabhängigkeit für immer verbürgen, zumal wenn eine oder mehrere Gro߬
mächte dem Balkanbunde Schutz gegen russische Angriffe zusagen wollten, die
ja mittelbar Angriffe auf Österreich und England selbst sein würden. Diese
Betrachtungen lassen sich großenteils gewiß hören, nur passen sie insofern nicht
recht in die Gegenwart, als jetzt noch der Berliner Friede zu Recht besteht,
der Mazedonien nur als Provinz des türkischen Reiches und noch nicht einmal
ein Großbulgarien kennt, welches Ostrumelien einschließt.

Auch in Serbien ist die panslawistische Propaganda fleißig an der Arbeit,
und zwar zuweilen nicht ohne einigen Erfolg, indem sie die konstitutionellen
Einrichtungen des immer noch wie seine Nachbarstaaten halbbarbarischen König¬
reiches und das damit verbundene Parteiwesen benutzt, gegen den Einfluß
Österreich-Ungarns zu wirken und ihn durch den russischen zu verdrängen. Es
giebt hier nicht weniger als vier große Parteien, von denen zwei auch die
Hinneigung zu einer bestimmten ausländischen Macht in ihrem Programm
führen und deren Strebersinn, doktrinärer Eifer und Nebenbuhlerschaft häu¬
fige Ministerwechsel, Revolutionsversuche und blutige Reaktion dagegen zur
Folge haben. Der König, der zu rechter Zeit die Notwendigkeit eines guten
Einvernehmens mit der österreichischen Negierung eingesehen und seitdem treu


Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

Art Großgriechenland aus der Welt der Träume in die Wirklichkeit tritt, hieße
noch mehr der Ausführung des Planes zu einem Großrußland, das bis zum
Mittelmeere reichte, Hindernisse schaffen, als ein Großbulgarien entstehen zu lassen,
auf das Nußland keinen Einfluß üben könnte; denn ein Großgriechenland würde
niemals ein Trabant Rußlands werden wollen, ein Großbulgarien dagegen würde
sich dieser Rolle unter Umständen kaum entziehen können. Jene Bulgaren
fühlen sich in Betreff der mazedonischen Frage für die Zukunft ziemlich sicher
und meinen, dieses Nachbarland werde ihnen kaum lange vorenthalten bleiben,
wenn erst das zunächst wichtigste Werk, die Aufgabe, Bulgarien auf eigne Füße
zu stellen und zu befestigen, vollendet sei, und dazu werde ihm unzweifelhaft
eher jede andre Macht als Rußland die Hand bieten. Letzteres könne und
wolle alle Balkanstaaten, im jetzigen Falle Griechenland und Bulgarien, nur
als Werkzeuge, als Hebel gegen einander benutzen. Eher könne trotz mancher
Hindernisse, die in der Verschiedenheit der Nationalitäten und in Erinnerungen
an den serbisch-bulgarischen Krieg ihren Grund hätten, von einer Verständigung
der Balkanländer die Rede sein, die sie gegen die russische Politik verbände.
Selbst ein Griechenland, welches sein Interesse recht verstünde und mäßige An¬
sprüche auf Landzuwachs, sowie auf Rangstellung unter den Bundesgliedcrn
erheben wolle, könnte Aufnahme in die Genossenschaft erlangen und seinen Vor¬
teil dabei finden. Man könnte ihm hinsichtlich seiner Wünsche nach Vergröße¬
rung billige Zugeständnisse, vorzüglich in den Küstengegenden und andern fast
ausschließlich von Hellenen bewohnten Landstrichen, machen und ihm die Stelle
des Admiralstaates der Föderation einräumen, und die letztere würde ihm
seine Unabhängigkeit für immer verbürgen, zumal wenn eine oder mehrere Gro߬
mächte dem Balkanbunde Schutz gegen russische Angriffe zusagen wollten, die
ja mittelbar Angriffe auf Österreich und England selbst sein würden. Diese
Betrachtungen lassen sich großenteils gewiß hören, nur passen sie insofern nicht
recht in die Gegenwart, als jetzt noch der Berliner Friede zu Recht besteht,
der Mazedonien nur als Provinz des türkischen Reiches und noch nicht einmal
ein Großbulgarien kennt, welches Ostrumelien einschließt.

Auch in Serbien ist die panslawistische Propaganda fleißig an der Arbeit,
und zwar zuweilen nicht ohne einigen Erfolg, indem sie die konstitutionellen
Einrichtungen des immer noch wie seine Nachbarstaaten halbbarbarischen König¬
reiches und das damit verbundene Parteiwesen benutzt, gegen den Einfluß
Österreich-Ungarns zu wirken und ihn durch den russischen zu verdrängen. Es
giebt hier nicht weniger als vier große Parteien, von denen zwei auch die
Hinneigung zu einer bestimmten ausländischen Macht in ihrem Programm
führen und deren Strebersinn, doktrinärer Eifer und Nebenbuhlerschaft häu¬
fige Ministerwechsel, Revolutionsversuche und blutige Reaktion dagegen zur
Folge haben. Der König, der zu rechter Zeit die Notwendigkeit eines guten
Einvernehmens mit der österreichischen Negierung eingesehen und seitdem treu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203134"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neueste Politik Rußlands am Balkan.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178"> Art Großgriechenland aus der Welt der Träume in die Wirklichkeit tritt, hieße<lb/>
noch mehr der Ausführung des Planes zu einem Großrußland, das bis zum<lb/>
Mittelmeere reichte, Hindernisse schaffen, als ein Großbulgarien entstehen zu lassen,<lb/>
auf das Nußland keinen Einfluß üben könnte; denn ein Großgriechenland würde<lb/>
niemals ein Trabant Rußlands werden wollen, ein Großbulgarien dagegen würde<lb/>
sich dieser Rolle unter Umständen kaum entziehen können. Jene Bulgaren<lb/>
fühlen sich in Betreff der mazedonischen Frage für die Zukunft ziemlich sicher<lb/>
und meinen, dieses Nachbarland werde ihnen kaum lange vorenthalten bleiben,<lb/>
wenn erst das zunächst wichtigste Werk, die Aufgabe, Bulgarien auf eigne Füße<lb/>
zu stellen und zu befestigen, vollendet sei, und dazu werde ihm unzweifelhaft<lb/>
eher jede andre Macht als Rußland die Hand bieten. Letzteres könne und<lb/>
wolle alle Balkanstaaten, im jetzigen Falle Griechenland und Bulgarien, nur<lb/>
als Werkzeuge, als Hebel gegen einander benutzen. Eher könne trotz mancher<lb/>
Hindernisse, die in der Verschiedenheit der Nationalitäten und in Erinnerungen<lb/>
an den serbisch-bulgarischen Krieg ihren Grund hätten, von einer Verständigung<lb/>
der Balkanländer die Rede sein, die sie gegen die russische Politik verbände.<lb/>
Selbst ein Griechenland, welches sein Interesse recht verstünde und mäßige An¬<lb/>
sprüche auf Landzuwachs, sowie auf Rangstellung unter den Bundesgliedcrn<lb/>
erheben wolle, könnte Aufnahme in die Genossenschaft erlangen und seinen Vor¬<lb/>
teil dabei finden. Man könnte ihm hinsichtlich seiner Wünsche nach Vergröße¬<lb/>
rung billige Zugeständnisse, vorzüglich in den Küstengegenden und andern fast<lb/>
ausschließlich von Hellenen bewohnten Landstrichen, machen und ihm die Stelle<lb/>
des Admiralstaates der Föderation einräumen, und die letztere würde ihm<lb/>
seine Unabhängigkeit für immer verbürgen, zumal wenn eine oder mehrere Gro߬<lb/>
mächte dem Balkanbunde Schutz gegen russische Angriffe zusagen wollten, die<lb/>
ja mittelbar Angriffe auf Österreich und England selbst sein würden. Diese<lb/>
Betrachtungen lassen sich großenteils gewiß hören, nur passen sie insofern nicht<lb/>
recht in die Gegenwart, als jetzt noch der Berliner Friede zu Recht besteht,<lb/>
der Mazedonien nur als Provinz des türkischen Reiches und noch nicht einmal<lb/>
ein Großbulgarien kennt, welches Ostrumelien einschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180" next="#ID_1181"> Auch in Serbien ist die panslawistische Propaganda fleißig an der Arbeit,<lb/>
und zwar zuweilen nicht ohne einigen Erfolg, indem sie die konstitutionellen<lb/>
Einrichtungen des immer noch wie seine Nachbarstaaten halbbarbarischen König¬<lb/>
reiches und das damit verbundene Parteiwesen benutzt, gegen den Einfluß<lb/>
Österreich-Ungarns zu wirken und ihn durch den russischen zu verdrängen. Es<lb/>
giebt hier nicht weniger als vier große Parteien, von denen zwei auch die<lb/>
Hinneigung zu einer bestimmten ausländischen Macht in ihrem Programm<lb/>
führen und deren Strebersinn, doktrinärer Eifer und Nebenbuhlerschaft häu¬<lb/>
fige Ministerwechsel, Revolutionsversuche und blutige Reaktion dagegen zur<lb/>
Folge haben. Der König, der zu rechter Zeit die Notwendigkeit eines guten<lb/>
Einvernehmens mit der österreichischen Negierung eingesehen und seitdem treu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Die neueste Politik Rußlands am Balkan. Art Großgriechenland aus der Welt der Träume in die Wirklichkeit tritt, hieße noch mehr der Ausführung des Planes zu einem Großrußland, das bis zum Mittelmeere reichte, Hindernisse schaffen, als ein Großbulgarien entstehen zu lassen, auf das Nußland keinen Einfluß üben könnte; denn ein Großgriechenland würde niemals ein Trabant Rußlands werden wollen, ein Großbulgarien dagegen würde sich dieser Rolle unter Umständen kaum entziehen können. Jene Bulgaren fühlen sich in Betreff der mazedonischen Frage für die Zukunft ziemlich sicher und meinen, dieses Nachbarland werde ihnen kaum lange vorenthalten bleiben, wenn erst das zunächst wichtigste Werk, die Aufgabe, Bulgarien auf eigne Füße zu stellen und zu befestigen, vollendet sei, und dazu werde ihm unzweifelhaft eher jede andre Macht als Rußland die Hand bieten. Letzteres könne und wolle alle Balkanstaaten, im jetzigen Falle Griechenland und Bulgarien, nur als Werkzeuge, als Hebel gegen einander benutzen. Eher könne trotz mancher Hindernisse, die in der Verschiedenheit der Nationalitäten und in Erinnerungen an den serbisch-bulgarischen Krieg ihren Grund hätten, von einer Verständigung der Balkanländer die Rede sein, die sie gegen die russische Politik verbände. Selbst ein Griechenland, welches sein Interesse recht verstünde und mäßige An¬ sprüche auf Landzuwachs, sowie auf Rangstellung unter den Bundesgliedcrn erheben wolle, könnte Aufnahme in die Genossenschaft erlangen und seinen Vor¬ teil dabei finden. Man könnte ihm hinsichtlich seiner Wünsche nach Vergröße¬ rung billige Zugeständnisse, vorzüglich in den Küstengegenden und andern fast ausschließlich von Hellenen bewohnten Landstrichen, machen und ihm die Stelle des Admiralstaates der Föderation einräumen, und die letztere würde ihm seine Unabhängigkeit für immer verbürgen, zumal wenn eine oder mehrere Gro߬ mächte dem Balkanbunde Schutz gegen russische Angriffe zusagen wollten, die ja mittelbar Angriffe auf Österreich und England selbst sein würden. Diese Betrachtungen lassen sich großenteils gewiß hören, nur passen sie insofern nicht recht in die Gegenwart, als jetzt noch der Berliner Friede zu Recht besteht, der Mazedonien nur als Provinz des türkischen Reiches und noch nicht einmal ein Großbulgarien kennt, welches Ostrumelien einschließt. Auch in Serbien ist die panslawistische Propaganda fleißig an der Arbeit, und zwar zuweilen nicht ohne einigen Erfolg, indem sie die konstitutionellen Einrichtungen des immer noch wie seine Nachbarstaaten halbbarbarischen König¬ reiches und das damit verbundene Parteiwesen benutzt, gegen den Einfluß Österreich-Ungarns zu wirken und ihn durch den russischen zu verdrängen. Es giebt hier nicht weniger als vier große Parteien, von denen zwei auch die Hinneigung zu einer bestimmten ausländischen Macht in ihrem Programm führen und deren Strebersinn, doktrinärer Eifer und Nebenbuhlerschaft häu¬ fige Ministerwechsel, Revolutionsversuche und blutige Reaktion dagegen zur Folge haben. Der König, der zu rechter Zeit die Notwendigkeit eines guten Einvernehmens mit der österreichischen Negierung eingesehen und seitdem treu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/357>, abgerufen am 01.09.2024.