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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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den Herren Stambuloff und Kompagnie und deren Koburger Schützling, be¬
sonders gefährlich geworden wäre, arbeiteten in den letzten Tagen pcmslawistische
Seelenfischer mit einem neuen Fangapparate, der sozusagen nach englischem
System konstruirt war. Wie die britische Politik vor der Revolution von
Philippopel ein Großbulgarien förderte und sich damit die Bereitwilligkeit des
Volkes zur Unterstützung ihrer Interessen gegen Gefährdung durch Nußland
zu erwerben suchte, so versprachen jene Agenten jetzt ein Panbulgarien als Preis
für Hinwendung zur russischen Politik. Sie benutzten dazu die Reise, welche
Nelidoff, der russische Botschafter bei der Pforte, jüngst nach Athen, sowie die,
welche gleichzeitig der griechische Minister des Auswärtigen, Dragumis, nach
Petersburg unternahm, Reisen, welche mit dem angeblich neuerdings auf¬
getauchten Plane einer Verständigung Rußlands und Griechenlands über die
türkische Provinz Mazedonien in Verbindung gebracht wurden. In allen Kreisen,
wo Bulgaren wohnen, namentlich in den größern Städten, wo die Kunst des
Lesens der Bevölkerung nicht fremd ist, aber auch auf dem Lande, wo die Geist¬
lichkeit der russischen Propaganda vielfach Vorschub leistet und Werkzeuge liefert,
wurden Flugblätter verbreitet, welche den Nachweis führen, daß die westlichen
Mächte stets bemüht gewesen seien, die ungläubige Türkei gegen Rußland, die
stammverwandte und allein wahrhaft christliche Macht, zu schützen und aufrecht¬
zuerhalten. So oft die Gewalt der Ereignisse jene Mächte gezwungen habe,
die Befreiung einer Provinz der Pforte durch das russische Schwert anzuerkennen,
hätten sie stets alles mögliche gethan, um die Entwicklung derselben im nationalen
Sinne zu verhindern, freundliche Beziehungen zu der Negierung in Stambul
zu begründen und die Gemüter den russischen Befreiern abwendig zu machen.
Und doch könne sich das Bulgarenvolk nationale Einheit und Größe nur auf
Kosten der Türkei und durch engsten Anschluß an Rußland verschaffen, welches
allein unter allen Großmächten befähigt und geneigt sei, den Sultan zur Ab¬
tretung der von Bulgaren bewohnten Gebietsteile Mazedoniens an Bulgarien
zu bewegen. Zu gleicher Zeit wurde gedroht, indem man den bulgarischen
Patrioten vorstellte, falls sie Anstand nehmen sollten, sich den Russen wieder zu
nähern, würden dieselben sich mit Griechenland verständigen und diesem die Rolle
überlassen, die Brüder der Bulgaren vom Joche der Pforte zu befreien, worauf
den Griechen natürlicherweise auch der größte und beste Teil der Provinz als
Siegesbeute zufallen würde. Daß diese Agitation ebenso rührig als in weiter
Ausdehnung betrieben wird, ist verbürgt. Dagegen ist zweifelhaft, ob sie über¬
haupt oder wie viel Erfolg sie gehabt hat. Die Bulgaren, welche sich um
derartige Fragen kümmern, wissen, daß man Beute erst verteilt, wenn man
gesiegt hat, daß Griechenland allein die jetzigen Herren von Mazedonien gewiß
nicht besiegen könnte, und daß Nußland, wenn es die mit ihm nicht verwandten
und durch alle ihre Lebensinteressen von ihm hinweggewiescneu Griechen unter¬
stützen wollte, sich selbst den Weg verbauen würde. Dazu beizutragen, daß eine


den Herren Stambuloff und Kompagnie und deren Koburger Schützling, be¬
sonders gefährlich geworden wäre, arbeiteten in den letzten Tagen pcmslawistische
Seelenfischer mit einem neuen Fangapparate, der sozusagen nach englischem
System konstruirt war. Wie die britische Politik vor der Revolution von
Philippopel ein Großbulgarien förderte und sich damit die Bereitwilligkeit des
Volkes zur Unterstützung ihrer Interessen gegen Gefährdung durch Nußland
zu erwerben suchte, so versprachen jene Agenten jetzt ein Panbulgarien als Preis
für Hinwendung zur russischen Politik. Sie benutzten dazu die Reise, welche
Nelidoff, der russische Botschafter bei der Pforte, jüngst nach Athen, sowie die,
welche gleichzeitig der griechische Minister des Auswärtigen, Dragumis, nach
Petersburg unternahm, Reisen, welche mit dem angeblich neuerdings auf¬
getauchten Plane einer Verständigung Rußlands und Griechenlands über die
türkische Provinz Mazedonien in Verbindung gebracht wurden. In allen Kreisen,
wo Bulgaren wohnen, namentlich in den größern Städten, wo die Kunst des
Lesens der Bevölkerung nicht fremd ist, aber auch auf dem Lande, wo die Geist¬
lichkeit der russischen Propaganda vielfach Vorschub leistet und Werkzeuge liefert,
wurden Flugblätter verbreitet, welche den Nachweis führen, daß die westlichen
Mächte stets bemüht gewesen seien, die ungläubige Türkei gegen Rußland, die
stammverwandte und allein wahrhaft christliche Macht, zu schützen und aufrecht¬
zuerhalten. So oft die Gewalt der Ereignisse jene Mächte gezwungen habe,
die Befreiung einer Provinz der Pforte durch das russische Schwert anzuerkennen,
hätten sie stets alles mögliche gethan, um die Entwicklung derselben im nationalen
Sinne zu verhindern, freundliche Beziehungen zu der Negierung in Stambul
zu begründen und die Gemüter den russischen Befreiern abwendig zu machen.
Und doch könne sich das Bulgarenvolk nationale Einheit und Größe nur auf
Kosten der Türkei und durch engsten Anschluß an Rußland verschaffen, welches
allein unter allen Großmächten befähigt und geneigt sei, den Sultan zur Ab¬
tretung der von Bulgaren bewohnten Gebietsteile Mazedoniens an Bulgarien
zu bewegen. Zu gleicher Zeit wurde gedroht, indem man den bulgarischen
Patrioten vorstellte, falls sie Anstand nehmen sollten, sich den Russen wieder zu
nähern, würden dieselben sich mit Griechenland verständigen und diesem die Rolle
überlassen, die Brüder der Bulgaren vom Joche der Pforte zu befreien, worauf
den Griechen natürlicherweise auch der größte und beste Teil der Provinz als
Siegesbeute zufallen würde. Daß diese Agitation ebenso rührig als in weiter
Ausdehnung betrieben wird, ist verbürgt. Dagegen ist zweifelhaft, ob sie über¬
haupt oder wie viel Erfolg sie gehabt hat. Die Bulgaren, welche sich um
derartige Fragen kümmern, wissen, daß man Beute erst verteilt, wenn man
gesiegt hat, daß Griechenland allein die jetzigen Herren von Mazedonien gewiß
nicht besiegen könnte, und daß Nußland, wenn es die mit ihm nicht verwandten
und durch alle ihre Lebensinteressen von ihm hinweggewiescneu Griechen unter¬
stützen wollte, sich selbst den Weg verbauen würde. Dazu beizutragen, daß eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/356>, abgerufen am 01.09.2024.