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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

großem Maßstabe ausgenutzt werden solle. Daß russische Agitatoren bei der
Sache die Hand im Spiele hatten, scheint unbestreitbar zu sein. Ein zur kon¬
servativen Partei gehöriger Gutsherr erhielt den Besuch seines Verwalters,
der ihm mitteilte, daß der Aufstand auch auf seinen Besitzungen ausgebrochen
sei, nachdem tags vorher eine Kutsche mit wohlgekleideter Herren vor dem
Wirtshause des Dorfes erschienen sei, die nach Aufpflanzung einer weißen
Fahne sich wieder entfernt hätten. In Radovan hielt ein fremder Redner eine
Ansprache an die Leute, worin er ihnen sagte, wenn der König ihre Wünsche
nach Land nicht erfüllen wolle, so werde der Zar sie erfüllen, der ja auch
seinen Bauerschaften reichlich Grundbesitz geschenkt habe. In Artzari war der
Führer der Aufständischen der Bcssarabier Feodori, der die Bauern darauf
hinwies, daß seine Heimat es unter russischem Szepter viel besser habe als
Rumänien, und die Zuhörerschaft antwortete ihm: "Es lebe Rußland, das uns
Land und Geld geben will!" Mit dieser Maulwurfsarbeit könnte sich die
russische Politik jedoch verrechnet und die zögernde rumänische Regierung
nur zu engerm und rascheren Anschluß an Österreich-Ungarn bewogen haben.
Österreich, so sagte Stourdza in der obenerwähnten Unterredung mit dem Be¬
richterstatter der liiuss, ist keine aggressive Macht, es hat vielmehr das Be¬
dürfnis, Rumänien stark und unabhängig zu sehen, weil es ihm dann als
Bollwerk an seiner östlichen und südöstlichen Grenze dienen kann, und Öster¬
reich so imstande ist, alle seine Truppen im Nordosten zusammenzuziehen,
wenn ein Kampf mit Rußland bevorsteht. Anderseits liegt es im Interesse
der Russen, jede fest gegründete Negierung in Rumänien zu untergraben und
zu stürzen, damit sie keinem Widerstande begegnen, wenn der günstige Augen¬
blick für ihren nächsten Einmarsch in die Balkanhalbinsel erscheint. Die ru¬
mänische Armee ist jetzt mindestens doppelt so stark an Zahl und viel tüchtiger
als 1877, wo sie neben den Russen kämpfte und deren Niederlagen bei Plewna
in Sieg verwandelte. Sie kann jetzt getrost einer Invasion die Stirn bieten
und bei jeder künftigen Lösung der orientalischen Frage einen Faktor spielen,
mit dem man rechnen muß. Die Handhabe aber, welche Rußland in den
agrarischen Zuständen des Königreiches besitzt, um es zu beunruhigen und
seine Kräfte zu schwächen, muß und kann möglichst bald beseitigt werden und
zwar durch eine Revision der bestehenden Gesetzgebung, welche den Bauern aus
Staatsbesitz wenigstens so viel Land meent, als sie bedürfen, um leben zu
können.

In Bulgarien, wo die bisherigen Bestrebungen der Russen den als Be¬
freier verdienten und eine Zeit lang in der That besessenen, dann aber durch
englische Ränke und eignes Ungeschick eingebüßten Einfluß durch allerlei
fragwürdige Mittel wiederzugewinnen nur geringen Erfolg hatten, wo Ver¬
heißungen, Drohungen und Bestechungen allerdings eine russische Partei ent¬
stehen ließen, aber keine von der Art, die der "nationalen" Regierung, d. h.


Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

großem Maßstabe ausgenutzt werden solle. Daß russische Agitatoren bei der
Sache die Hand im Spiele hatten, scheint unbestreitbar zu sein. Ein zur kon¬
servativen Partei gehöriger Gutsherr erhielt den Besuch seines Verwalters,
der ihm mitteilte, daß der Aufstand auch auf seinen Besitzungen ausgebrochen
sei, nachdem tags vorher eine Kutsche mit wohlgekleideter Herren vor dem
Wirtshause des Dorfes erschienen sei, die nach Aufpflanzung einer weißen
Fahne sich wieder entfernt hätten. In Radovan hielt ein fremder Redner eine
Ansprache an die Leute, worin er ihnen sagte, wenn der König ihre Wünsche
nach Land nicht erfüllen wolle, so werde der Zar sie erfüllen, der ja auch
seinen Bauerschaften reichlich Grundbesitz geschenkt habe. In Artzari war der
Führer der Aufständischen der Bcssarabier Feodori, der die Bauern darauf
hinwies, daß seine Heimat es unter russischem Szepter viel besser habe als
Rumänien, und die Zuhörerschaft antwortete ihm: „Es lebe Rußland, das uns
Land und Geld geben will!" Mit dieser Maulwurfsarbeit könnte sich die
russische Politik jedoch verrechnet und die zögernde rumänische Regierung
nur zu engerm und rascheren Anschluß an Österreich-Ungarn bewogen haben.
Österreich, so sagte Stourdza in der obenerwähnten Unterredung mit dem Be¬
richterstatter der liiuss, ist keine aggressive Macht, es hat vielmehr das Be¬
dürfnis, Rumänien stark und unabhängig zu sehen, weil es ihm dann als
Bollwerk an seiner östlichen und südöstlichen Grenze dienen kann, und Öster¬
reich so imstande ist, alle seine Truppen im Nordosten zusammenzuziehen,
wenn ein Kampf mit Rußland bevorsteht. Anderseits liegt es im Interesse
der Russen, jede fest gegründete Negierung in Rumänien zu untergraben und
zu stürzen, damit sie keinem Widerstande begegnen, wenn der günstige Augen¬
blick für ihren nächsten Einmarsch in die Balkanhalbinsel erscheint. Die ru¬
mänische Armee ist jetzt mindestens doppelt so stark an Zahl und viel tüchtiger
als 1877, wo sie neben den Russen kämpfte und deren Niederlagen bei Plewna
in Sieg verwandelte. Sie kann jetzt getrost einer Invasion die Stirn bieten
und bei jeder künftigen Lösung der orientalischen Frage einen Faktor spielen,
mit dem man rechnen muß. Die Handhabe aber, welche Rußland in den
agrarischen Zuständen des Königreiches besitzt, um es zu beunruhigen und
seine Kräfte zu schwächen, muß und kann möglichst bald beseitigt werden und
zwar durch eine Revision der bestehenden Gesetzgebung, welche den Bauern aus
Staatsbesitz wenigstens so viel Land meent, als sie bedürfen, um leben zu
können.

In Bulgarien, wo die bisherigen Bestrebungen der Russen den als Be¬
freier verdienten und eine Zeit lang in der That besessenen, dann aber durch
englische Ränke und eignes Ungeschick eingebüßten Einfluß durch allerlei
fragwürdige Mittel wiederzugewinnen nur geringen Erfolg hatten, wo Ver¬
heißungen, Drohungen und Bestechungen allerdings eine russische Partei ent¬
stehen ließen, aber keine von der Art, die der „nationalen" Regierung, d. h.


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[0355] Die neueste Politik Rußlands am Balkan. großem Maßstabe ausgenutzt werden solle. Daß russische Agitatoren bei der Sache die Hand im Spiele hatten, scheint unbestreitbar zu sein. Ein zur kon¬ servativen Partei gehöriger Gutsherr erhielt den Besuch seines Verwalters, der ihm mitteilte, daß der Aufstand auch auf seinen Besitzungen ausgebrochen sei, nachdem tags vorher eine Kutsche mit wohlgekleideter Herren vor dem Wirtshause des Dorfes erschienen sei, die nach Aufpflanzung einer weißen Fahne sich wieder entfernt hätten. In Radovan hielt ein fremder Redner eine Ansprache an die Leute, worin er ihnen sagte, wenn der König ihre Wünsche nach Land nicht erfüllen wolle, so werde der Zar sie erfüllen, der ja auch seinen Bauerschaften reichlich Grundbesitz geschenkt habe. In Artzari war der Führer der Aufständischen der Bcssarabier Feodori, der die Bauern darauf hinwies, daß seine Heimat es unter russischem Szepter viel besser habe als Rumänien, und die Zuhörerschaft antwortete ihm: „Es lebe Rußland, das uns Land und Geld geben will!" Mit dieser Maulwurfsarbeit könnte sich die russische Politik jedoch verrechnet und die zögernde rumänische Regierung nur zu engerm und rascheren Anschluß an Österreich-Ungarn bewogen haben. Österreich, so sagte Stourdza in der obenerwähnten Unterredung mit dem Be¬ richterstatter der liiuss, ist keine aggressive Macht, es hat vielmehr das Be¬ dürfnis, Rumänien stark und unabhängig zu sehen, weil es ihm dann als Bollwerk an seiner östlichen und südöstlichen Grenze dienen kann, und Öster¬ reich so imstande ist, alle seine Truppen im Nordosten zusammenzuziehen, wenn ein Kampf mit Rußland bevorsteht. Anderseits liegt es im Interesse der Russen, jede fest gegründete Negierung in Rumänien zu untergraben und zu stürzen, damit sie keinem Widerstande begegnen, wenn der günstige Augen¬ blick für ihren nächsten Einmarsch in die Balkanhalbinsel erscheint. Die ru¬ mänische Armee ist jetzt mindestens doppelt so stark an Zahl und viel tüchtiger als 1877, wo sie neben den Russen kämpfte und deren Niederlagen bei Plewna in Sieg verwandelte. Sie kann jetzt getrost einer Invasion die Stirn bieten und bei jeder künftigen Lösung der orientalischen Frage einen Faktor spielen, mit dem man rechnen muß. Die Handhabe aber, welche Rußland in den agrarischen Zuständen des Königreiches besitzt, um es zu beunruhigen und seine Kräfte zu schwächen, muß und kann möglichst bald beseitigt werden und zwar durch eine Revision der bestehenden Gesetzgebung, welche den Bauern aus Staatsbesitz wenigstens so viel Land meent, als sie bedürfen, um leben zu können. In Bulgarien, wo die bisherigen Bestrebungen der Russen den als Be¬ freier verdienten und eine Zeit lang in der That besessenen, dann aber durch englische Ränke und eignes Ungeschick eingebüßten Einfluß durch allerlei fragwürdige Mittel wiederzugewinnen nur geringen Erfolg hatten, wo Ver¬ heißungen, Drohungen und Bestechungen allerdings eine russische Partei ent¬ stehen ließen, aber keine von der Art, die der „nationalen" Regierung, d. h.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/355>, abgerufen am 01.09.2024.