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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Wesen war, nur ein Name, den sein Ohr kannte, nur eine fremde Gestalt mehr
in einem großen, bewundernden Publikum.

Und das Licht schwand in blauer Dämmerung, und die Hände sanken matt
von einander. Die Schatten wuchsen -- die Schatten des Abends und des
Todes.

Der Etatsrat beugte sich herab über ihr Lager und legte seine Hand auf
ihren Puls und wartete still, und als das letzte Leben entflohen war, das letzte,
schwache Wallen des Blutes sich gelegt hatte, da preßte er ihre bleiche Hand
an seine Lippen.

Geliebte Edele!




viertes Aapitel.

Es giebt Menschen, die ihren Kummer auf sich nehmen und ihn tragen
können, starke Naturen, die sich ihrer Stärke gerade durch die Last der Bürde
bewußt werden, während sich die schwächern Naturen ihrem Kummer hingeben
willenlos, wie man sich einer Krankheit hingeben muß; es durchdringt sie auch
der Kummer wie eine Krankheit, saugt sich in ihrem innersten Wesen fest und
wird eins mit ihnen, wird in ihnen in einem langsamen Kampfe umgeformt und
verliert sich dann in völliger Genesung.

Aber es giebt auch Menschen, sür welche der Kummer eine gegen sie ge¬
richtete Macht ist, eine Grausamkeit, die sie niemals als Prüfung oder Zucht¬
rute und ebensowenig als ein einfaches Schicksal ansehen lernen. Er ist für sie
eine Ausgeburt der Tyrannei, etwas persönlich feindliches, und er läßt stets
einen Stachel in ihren Herzen zurück.

Es ist nicht häufig, daß Kinder so trauern, aber bei Ricks Lyhne war das
der Fall. Denn in der Inbrunst seines Gebets hatte er seinem Gott gleichsam
von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden, er hatte sich auf den Knieen
vor den Thron seines Schöpfers geschleppt, voller Hoffnung, bebend vor Furcht,
aber doch in dem festen Glauben an die Allmacht des Gebets, mutig in seinem
Flehen um Erhörung; und er hatte sich aus dem Staube erheben müssen und
von dannen gehen mit getäuschter Hoffnung. Er hatte mit seinem Glauben
das Wunder nicht vom Himmel herunterzuholen vermocht, kein Gott hatte ihm
Antwort gegeben auf sein Rufen, der Tod war, ohne einzuhalten, auf seine
Beute losgeschritten, als sei kein Wall von inbrünstigen Gebeten schützend zum
Himmel aufgetürmt.

Es entstand eine tiefe Stille in ihm.

Sein Glaube war blindlings gegen die Pforten des Himmels angeflogen,
und nun lag er mit geknickten Schwingen auf Edelens Grab. Denn er hatte
geglaubt, er hatte jenen geraden Märchenglauben besessen, den man so oft bei
Kindern findet. Es ist nicht der Gott des Lehrbuches, an den die Kinder


Grenzboten II. 1388. 31
Ricks Lyhne.

Wesen war, nur ein Name, den sein Ohr kannte, nur eine fremde Gestalt mehr
in einem großen, bewundernden Publikum.

Und das Licht schwand in blauer Dämmerung, und die Hände sanken matt
von einander. Die Schatten wuchsen — die Schatten des Abends und des
Todes.

Der Etatsrat beugte sich herab über ihr Lager und legte seine Hand auf
ihren Puls und wartete still, und als das letzte Leben entflohen war, das letzte,
schwache Wallen des Blutes sich gelegt hatte, da preßte er ihre bleiche Hand
an seine Lippen.

Geliebte Edele!




viertes Aapitel.

Es giebt Menschen, die ihren Kummer auf sich nehmen und ihn tragen
können, starke Naturen, die sich ihrer Stärke gerade durch die Last der Bürde
bewußt werden, während sich die schwächern Naturen ihrem Kummer hingeben
willenlos, wie man sich einer Krankheit hingeben muß; es durchdringt sie auch
der Kummer wie eine Krankheit, saugt sich in ihrem innersten Wesen fest und
wird eins mit ihnen, wird in ihnen in einem langsamen Kampfe umgeformt und
verliert sich dann in völliger Genesung.

Aber es giebt auch Menschen, sür welche der Kummer eine gegen sie ge¬
richtete Macht ist, eine Grausamkeit, die sie niemals als Prüfung oder Zucht¬
rute und ebensowenig als ein einfaches Schicksal ansehen lernen. Er ist für sie
eine Ausgeburt der Tyrannei, etwas persönlich feindliches, und er läßt stets
einen Stachel in ihren Herzen zurück.

Es ist nicht häufig, daß Kinder so trauern, aber bei Ricks Lyhne war das
der Fall. Denn in der Inbrunst seines Gebets hatte er seinem Gott gleichsam
von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden, er hatte sich auf den Knieen
vor den Thron seines Schöpfers geschleppt, voller Hoffnung, bebend vor Furcht,
aber doch in dem festen Glauben an die Allmacht des Gebets, mutig in seinem
Flehen um Erhörung; und er hatte sich aus dem Staube erheben müssen und
von dannen gehen mit getäuschter Hoffnung. Er hatte mit seinem Glauben
das Wunder nicht vom Himmel herunterzuholen vermocht, kein Gott hatte ihm
Antwort gegeben auf sein Rufen, der Tod war, ohne einzuhalten, auf seine
Beute losgeschritten, als sei kein Wall von inbrünstigen Gebeten schützend zum
Himmel aufgetürmt.

Es entstand eine tiefe Stille in ihm.

Sein Glaube war blindlings gegen die Pforten des Himmels angeflogen,
und nun lag er mit geknickten Schwingen auf Edelens Grab. Denn er hatte
geglaubt, er hatte jenen geraden Märchenglauben besessen, den man so oft bei
Kindern findet. Es ist nicht der Gott des Lehrbuches, an den die Kinder


Grenzboten II. 1388. 31
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[0249] Ricks Lyhne. Wesen war, nur ein Name, den sein Ohr kannte, nur eine fremde Gestalt mehr in einem großen, bewundernden Publikum. Und das Licht schwand in blauer Dämmerung, und die Hände sanken matt von einander. Die Schatten wuchsen — die Schatten des Abends und des Todes. Der Etatsrat beugte sich herab über ihr Lager und legte seine Hand auf ihren Puls und wartete still, und als das letzte Leben entflohen war, das letzte, schwache Wallen des Blutes sich gelegt hatte, da preßte er ihre bleiche Hand an seine Lippen. Geliebte Edele! viertes Aapitel. Es giebt Menschen, die ihren Kummer auf sich nehmen und ihn tragen können, starke Naturen, die sich ihrer Stärke gerade durch die Last der Bürde bewußt werden, während sich die schwächern Naturen ihrem Kummer hingeben willenlos, wie man sich einer Krankheit hingeben muß; es durchdringt sie auch der Kummer wie eine Krankheit, saugt sich in ihrem innersten Wesen fest und wird eins mit ihnen, wird in ihnen in einem langsamen Kampfe umgeformt und verliert sich dann in völliger Genesung. Aber es giebt auch Menschen, sür welche der Kummer eine gegen sie ge¬ richtete Macht ist, eine Grausamkeit, die sie niemals als Prüfung oder Zucht¬ rute und ebensowenig als ein einfaches Schicksal ansehen lernen. Er ist für sie eine Ausgeburt der Tyrannei, etwas persönlich feindliches, und er läßt stets einen Stachel in ihren Herzen zurück. Es ist nicht häufig, daß Kinder so trauern, aber bei Ricks Lyhne war das der Fall. Denn in der Inbrunst seines Gebets hatte er seinem Gott gleichsam von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden, er hatte sich auf den Knieen vor den Thron seines Schöpfers geschleppt, voller Hoffnung, bebend vor Furcht, aber doch in dem festen Glauben an die Allmacht des Gebets, mutig in seinem Flehen um Erhörung; und er hatte sich aus dem Staube erheben müssen und von dannen gehen mit getäuschter Hoffnung. Er hatte mit seinem Glauben das Wunder nicht vom Himmel herunterzuholen vermocht, kein Gott hatte ihm Antwort gegeben auf sein Rufen, der Tod war, ohne einzuhalten, auf seine Beute losgeschritten, als sei kein Wall von inbrünstigen Gebeten schützend zum Himmel aufgetürmt. Es entstand eine tiefe Stille in ihm. Sein Glaube war blindlings gegen die Pforten des Himmels angeflogen, und nun lag er mit geknickten Schwingen auf Edelens Grab. Denn er hatte geglaubt, er hatte jenen geraden Märchenglauben besessen, den man so oft bei Kindern findet. Es ist nicht der Gott des Lehrbuches, an den die Kinder Grenzboten II. 1388. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/249>, abgerufen am 01.09.2024.