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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

wie wir sehen werden, mit seinem Enkel und mit dessen Enkel, unserm Goethe,
überein, die denselben Grundsatz im Sinne ihrer Zeit verfochten. Lebhaft werden
wir hierbei daran erinnert, daß einer der Vorfahren Lessings zwei Jahre nach
unserm Textor zu Leipzig öffentlich seine politische Abhandlung I)s rsliAionuM
tolsrantig, verteidigte, welche der Obrigkeit die Pflicht auflegte, die abweichenden
christlichen Bekenntnisse, die im Reiche zugelassen seien, des öffentlichen Friedens
wegen zu dulden. Dieser Lessing war trotz seiner Verteidigung friedlicher Duldung
ein gläubiger Lutheraner, der sich später als würdiges Oberhaupt der Stadt
Kamenz so beliebt wie verdient machte, und sein Enkel war der große "Frei¬
geist" Lessing, der diesen Namen im besten Sinne des Wortes auf ewig
adeln wird.

Daß unser Textor im römischen Rechte stark beschlagen war, er das
vorxn8 ^uris fast auswendig wußte, will wenig sagen, er durchdrang es mit
klarem Geiste; auch das deutsche Recht und die Zustände des Reiches lagen
ihm am Herzen, ja er gehörte mit zu den ersten Rechtslehrern, welche das
Völkerrecht wissenschaftlich zu begründen suchten. Auch als Professor der
Pandekten blieb er schriftstellerisch unausgesetzt thätig. So war es denn sehr
natürlich, daß andre Hochschulen auf ihn ihre Blicke richteten. Schon am
10. Mai 1673 berief ihn der Kurfürst von der Pfalz als ersten Rechtslehrer
und Beisitzer des Hof- und Ehegerichts nach dem schönen Heidelberg. Von
seinen fünf Kindern war nur noch das zweite, sein Sohn Christof Heinrich, am
Leben geblieben. Auch in Heidelberg entfaltete er als Lehrer und Vertreter
der Hochschule wie als Schriftsteller eine so mannichfaltige wie erfolgreiche
Thätigkeit. Ich bemerke nur, daß 1676 seine l'nssss as rölio-louis mit
Beschlag belegt wurden, was ihn aber nicht hinderte, im folgenden Jahre mit einer
DisxutMo als Mrv evvlesiÄstivo aufzutreten. 1680 ließ er in Basel eine L^noxsi"
suris Aöntiunr erscheinen. 1688 wurde er am Hof- und Ehegericht Vizehof¬
richter und stellvertretender Vorsitzer.

Doch auch Heidelberg sollte ihn nicht dauernd fesseln. Am 18. Dezember
1690 berief ihn die Stadt Frankfurt, obgleich er nicht Bürger war, zu ihrem
ersten Syndikus und Konsulenten. Schon am 31. März 1691 trat er sein
neues wichtiges Amt an. Aber auch hier fuhr er fort, schriftstellerisch mit be¬
deutenden Werken hervorzutreten, die zum Teil, wie auch frühere, nach seinem
Tode wieder aufgelegt wurde". So lieferte er 1693 die ose-isionss Msotor-us"
?alÄtinas, 1697 das für die Reichsgeschichte bedeutende .7us publivnin (?g.ö-
LiU'sum, 1698 eine Sammlung seiner OiLMtg,rions8 aeg-äsiniMs, endlich 1701
das ^us xudlionm 8ta,wunr Iinxsrü. Kurz vor Schluß des letztgenannten
Jahres, am 27. Dezember, setzte ein Schlagfluß seinem rastlos thätigen Leben
ein Ende. Den 29. ist "der Hochedle und gestrenge Herr Johann Wolfgang
Textor, ILWs und L^näiouZ xrimarius in die Se. Catharinenkirche mit sieben
Kutschen begraben und keine Leichenrede ist gehalten worden." Die Art seines


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

wie wir sehen werden, mit seinem Enkel und mit dessen Enkel, unserm Goethe,
überein, die denselben Grundsatz im Sinne ihrer Zeit verfochten. Lebhaft werden
wir hierbei daran erinnert, daß einer der Vorfahren Lessings zwei Jahre nach
unserm Textor zu Leipzig öffentlich seine politische Abhandlung I)s rsliAionuM
tolsrantig, verteidigte, welche der Obrigkeit die Pflicht auflegte, die abweichenden
christlichen Bekenntnisse, die im Reiche zugelassen seien, des öffentlichen Friedens
wegen zu dulden. Dieser Lessing war trotz seiner Verteidigung friedlicher Duldung
ein gläubiger Lutheraner, der sich später als würdiges Oberhaupt der Stadt
Kamenz so beliebt wie verdient machte, und sein Enkel war der große „Frei¬
geist" Lessing, der diesen Namen im besten Sinne des Wortes auf ewig
adeln wird.

Daß unser Textor im römischen Rechte stark beschlagen war, er das
vorxn8 ^uris fast auswendig wußte, will wenig sagen, er durchdrang es mit
klarem Geiste; auch das deutsche Recht und die Zustände des Reiches lagen
ihm am Herzen, ja er gehörte mit zu den ersten Rechtslehrern, welche das
Völkerrecht wissenschaftlich zu begründen suchten. Auch als Professor der
Pandekten blieb er schriftstellerisch unausgesetzt thätig. So war es denn sehr
natürlich, daß andre Hochschulen auf ihn ihre Blicke richteten. Schon am
10. Mai 1673 berief ihn der Kurfürst von der Pfalz als ersten Rechtslehrer
und Beisitzer des Hof- und Ehegerichts nach dem schönen Heidelberg. Von
seinen fünf Kindern war nur noch das zweite, sein Sohn Christof Heinrich, am
Leben geblieben. Auch in Heidelberg entfaltete er als Lehrer und Vertreter
der Hochschule wie als Schriftsteller eine so mannichfaltige wie erfolgreiche
Thätigkeit. Ich bemerke nur, daß 1676 seine l'nssss as rölio-louis mit
Beschlag belegt wurden, was ihn aber nicht hinderte, im folgenden Jahre mit einer
DisxutMo als Mrv evvlesiÄstivo aufzutreten. 1680 ließ er in Basel eine L^noxsi«
suris Aöntiunr erscheinen. 1688 wurde er am Hof- und Ehegericht Vizehof¬
richter und stellvertretender Vorsitzer.

Doch auch Heidelberg sollte ihn nicht dauernd fesseln. Am 18. Dezember
1690 berief ihn die Stadt Frankfurt, obgleich er nicht Bürger war, zu ihrem
ersten Syndikus und Konsulenten. Schon am 31. März 1691 trat er sein
neues wichtiges Amt an. Aber auch hier fuhr er fort, schriftstellerisch mit be¬
deutenden Werken hervorzutreten, die zum Teil, wie auch frühere, nach seinem
Tode wieder aufgelegt wurde». So lieferte er 1693 die ose-isionss Msotor-us«
?alÄtinas, 1697 das für die Reichsgeschichte bedeutende .7us publivnin (?g.ö-
LiU'sum, 1698 eine Sammlung seiner OiLMtg,rions8 aeg-äsiniMs, endlich 1701
das ^us xudlionm 8ta,wunr Iinxsrü. Kurz vor Schluß des letztgenannten
Jahres, am 27. Dezember, setzte ein Schlagfluß seinem rastlos thätigen Leben
ein Ende. Den 29. ist „der Hochedle und gestrenge Herr Johann Wolfgang
Textor, ILWs und L^näiouZ xrimarius in die Se. Catharinenkirche mit sieben
Kutschen begraben und keine Leichenrede ist gehalten worden." Die Art seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/228>, abgerufen am 28.07.2024.