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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

müssen, gleichviel ob mittelbar durch Einschaltung einer Zwischenprüfung, durch
Erschwerung der Referendarprüfung oder unmittelbar durch Beaufsichtigung des
Kollegienbesuchs u. dergl. in. Ja noch vor kurzer Zeit konnte man am schwarzen
Brett der Universität zu Königsberg eine Beschwerde der dortigen Professoren
über den Unfleiß der Jurastudirendm finden, worin sie schließlich drohten,
demnächst zu Zwangsmaßregeln greifen zu müssen, wenn nicht ein baldiger Um¬
schwung einträte. Ob aber der Unfleiß der Juristen wirklich so sehr vor dem
der übrigen Studenten hervorrage, was doch erst noch des Beweises bedürfte;
worin ferner die Gründe dieses vermeintlichen Unfleißes zu suchen seien, ob in
dem bösen Willen der Studirenden selber oder in sonstigen Umständen; ob es
endlich nicht doch noch andre, würdigere Mittel gebe, um eine Änderung herbei¬
zuführen: alles das bedürfte doch erst noch reiflicher Überlegung, bevor man
ohne weiteres den Stab über die Juristen bricht.

Unter den Abiturienten, die zu unsern Universitäten herbeieilen, um dort
Jura zu studiren, lassen sich im großen und ganzen drei Gruppen unterscheiden.
Da sind zunächst diejenigen, die, wie man zu sagen Pflegt, sich "Studirens
halber" in den Universitätsstädten aufhalten. Die Eltern wünschen, daß ihre
Söhne längere Zeit in größern Städten weilen, teils um nach der langen
Schulzeit einmal aufatmen und das Leben genießen zu können, teils auch um
hier einen weitern Blick für das Leben und die menschlichen Verhältnisse zu be¬
kommen, damit sie dann heimkehren und entweder in das eigne väterliche
Geschäft eintreten oder sonstwie praktisch thätig werden. Wo böte sich für diese
Zwecke Wohl mehr Gelegenheit als in unsern Universitätsstädten, wenigstens in
den größern! Man schickt also den Sohn auf die Universität. Aber was soll
er denn studiren? Medizin, Theologie, Philologie wird er nur sehr selten
wählen. Meist wird er sich als Student der Rechte inskribiren lassen, denn
wenn irgendwo, so kann er hier noch am ehesten etwas für das praktische Leben,
w das er ja doch später wieder eintreten will, gewinnen -- wenigstens meint
dies der Vater. In Wirklichkeit wird er natürlich von diesem Studium ebenso
wenig wie von irgend einem andern haben, da er kaum einmal ins Kolleg
kommen wird. Belege muß er ja doch wenigstens eine private Vorlesung haben;
das ist aber auch alles. Und wer wollte es ihm auch verdenken, wenn er die
Vorlesungen versäumt? Er will ja gar keine Prüfung machen. Sein einziger
Äwcck ist nur, sich zu "amüsiren." Damit aber das Ganze doch einen Namen
habe, läßt er sich als Student immatrikuliren. Das Studium soll ja nur eine
Maske sein.

Eine zweite Gruppe bilden diejenigen, welche zwar die juristische Laufbahn
weiter verfolgen und auch einmal ihre Prüfung bestehen wollen, aber vorläufig
auf einige Semester einzig und allein ihrem Vergnügen zu leben wünschen.
Diese Gruppe wird unter den Juristen besonders zahlreich vertreten sein; denn
wenn irgend ein Studium, so erfordert gerade das juristische Vermögen, viel


Grenzboten II. 1388. 27
Das juristische Studium.

müssen, gleichviel ob mittelbar durch Einschaltung einer Zwischenprüfung, durch
Erschwerung der Referendarprüfung oder unmittelbar durch Beaufsichtigung des
Kollegienbesuchs u. dergl. in. Ja noch vor kurzer Zeit konnte man am schwarzen
Brett der Universität zu Königsberg eine Beschwerde der dortigen Professoren
über den Unfleiß der Jurastudirendm finden, worin sie schließlich drohten,
demnächst zu Zwangsmaßregeln greifen zu müssen, wenn nicht ein baldiger Um¬
schwung einträte. Ob aber der Unfleiß der Juristen wirklich so sehr vor dem
der übrigen Studenten hervorrage, was doch erst noch des Beweises bedürfte;
worin ferner die Gründe dieses vermeintlichen Unfleißes zu suchen seien, ob in
dem bösen Willen der Studirenden selber oder in sonstigen Umständen; ob es
endlich nicht doch noch andre, würdigere Mittel gebe, um eine Änderung herbei¬
zuführen: alles das bedürfte doch erst noch reiflicher Überlegung, bevor man
ohne weiteres den Stab über die Juristen bricht.

Unter den Abiturienten, die zu unsern Universitäten herbeieilen, um dort
Jura zu studiren, lassen sich im großen und ganzen drei Gruppen unterscheiden.
Da sind zunächst diejenigen, die, wie man zu sagen Pflegt, sich „Studirens
halber" in den Universitätsstädten aufhalten. Die Eltern wünschen, daß ihre
Söhne längere Zeit in größern Städten weilen, teils um nach der langen
Schulzeit einmal aufatmen und das Leben genießen zu können, teils auch um
hier einen weitern Blick für das Leben und die menschlichen Verhältnisse zu be¬
kommen, damit sie dann heimkehren und entweder in das eigne väterliche
Geschäft eintreten oder sonstwie praktisch thätig werden. Wo böte sich für diese
Zwecke Wohl mehr Gelegenheit als in unsern Universitätsstädten, wenigstens in
den größern! Man schickt also den Sohn auf die Universität. Aber was soll
er denn studiren? Medizin, Theologie, Philologie wird er nur sehr selten
wählen. Meist wird er sich als Student der Rechte inskribiren lassen, denn
wenn irgendwo, so kann er hier noch am ehesten etwas für das praktische Leben,
w das er ja doch später wieder eintreten will, gewinnen — wenigstens meint
dies der Vater. In Wirklichkeit wird er natürlich von diesem Studium ebenso
wenig wie von irgend einem andern haben, da er kaum einmal ins Kolleg
kommen wird. Belege muß er ja doch wenigstens eine private Vorlesung haben;
das ist aber auch alles. Und wer wollte es ihm auch verdenken, wenn er die
Vorlesungen versäumt? Er will ja gar keine Prüfung machen. Sein einziger
Äwcck ist nur, sich zu „amüsiren." Damit aber das Ganze doch einen Namen
habe, läßt er sich als Student immatrikuliren. Das Studium soll ja nur eine
Maske sein.

Eine zweite Gruppe bilden diejenigen, welche zwar die juristische Laufbahn
weiter verfolgen und auch einmal ihre Prüfung bestehen wollen, aber vorläufig
auf einige Semester einzig und allein ihrem Vergnügen zu leben wünschen.
Diese Gruppe wird unter den Juristen besonders zahlreich vertreten sein; denn
wenn irgend ein Studium, so erfordert gerade das juristische Vermögen, viel


Grenzboten II. 1388. 27
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[0217] Das juristische Studium. müssen, gleichviel ob mittelbar durch Einschaltung einer Zwischenprüfung, durch Erschwerung der Referendarprüfung oder unmittelbar durch Beaufsichtigung des Kollegienbesuchs u. dergl. in. Ja noch vor kurzer Zeit konnte man am schwarzen Brett der Universität zu Königsberg eine Beschwerde der dortigen Professoren über den Unfleiß der Jurastudirendm finden, worin sie schließlich drohten, demnächst zu Zwangsmaßregeln greifen zu müssen, wenn nicht ein baldiger Um¬ schwung einträte. Ob aber der Unfleiß der Juristen wirklich so sehr vor dem der übrigen Studenten hervorrage, was doch erst noch des Beweises bedürfte; worin ferner die Gründe dieses vermeintlichen Unfleißes zu suchen seien, ob in dem bösen Willen der Studirenden selber oder in sonstigen Umständen; ob es endlich nicht doch noch andre, würdigere Mittel gebe, um eine Änderung herbei¬ zuführen: alles das bedürfte doch erst noch reiflicher Überlegung, bevor man ohne weiteres den Stab über die Juristen bricht. Unter den Abiturienten, die zu unsern Universitäten herbeieilen, um dort Jura zu studiren, lassen sich im großen und ganzen drei Gruppen unterscheiden. Da sind zunächst diejenigen, die, wie man zu sagen Pflegt, sich „Studirens halber" in den Universitätsstädten aufhalten. Die Eltern wünschen, daß ihre Söhne längere Zeit in größern Städten weilen, teils um nach der langen Schulzeit einmal aufatmen und das Leben genießen zu können, teils auch um hier einen weitern Blick für das Leben und die menschlichen Verhältnisse zu be¬ kommen, damit sie dann heimkehren und entweder in das eigne väterliche Geschäft eintreten oder sonstwie praktisch thätig werden. Wo böte sich für diese Zwecke Wohl mehr Gelegenheit als in unsern Universitätsstädten, wenigstens in den größern! Man schickt also den Sohn auf die Universität. Aber was soll er denn studiren? Medizin, Theologie, Philologie wird er nur sehr selten wählen. Meist wird er sich als Student der Rechte inskribiren lassen, denn wenn irgendwo, so kann er hier noch am ehesten etwas für das praktische Leben, w das er ja doch später wieder eintreten will, gewinnen — wenigstens meint dies der Vater. In Wirklichkeit wird er natürlich von diesem Studium ebenso wenig wie von irgend einem andern haben, da er kaum einmal ins Kolleg kommen wird. Belege muß er ja doch wenigstens eine private Vorlesung haben; das ist aber auch alles. Und wer wollte es ihm auch verdenken, wenn er die Vorlesungen versäumt? Er will ja gar keine Prüfung machen. Sein einziger Äwcck ist nur, sich zu „amüsiren." Damit aber das Ganze doch einen Namen habe, läßt er sich als Student immatrikuliren. Das Studium soll ja nur eine Maske sein. Eine zweite Gruppe bilden diejenigen, welche zwar die juristische Laufbahn weiter verfolgen und auch einmal ihre Prüfung bestehen wollen, aber vorläufig auf einige Semester einzig und allein ihrem Vergnügen zu leben wünschen. Diese Gruppe wird unter den Juristen besonders zahlreich vertreten sein; denn wenn irgend ein Studium, so erfordert gerade das juristische Vermögen, viel Grenzboten II. 1388. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/217>, abgerufen am 27.07.2024.