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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Lage der französischen Republik.

ihre besondern Wünsche und Hoffnungen sein mögen, um sich zu sammeln be¬
gonnen hat.

Boulanger verdankt seinen Wahlsieg nicht allein den Monarchisten, sondern
dem Umstände, daß sehr verschiedene Parteien, Gruppen und Bruchteile der
Wähler des Departements sich zur Unterstützung seiner Kandidatur verbanden.
Die Franzosen haben immer eine ganz besondre Begabung gezeigt, sich zu be¬
stimmten Zwecken, denen die Ansichten und Absichten der einzelnen Bundes¬
genossen untergeordnet werden, für den Augenblick zu vereinigen. Beschränkte
Haftbarkeit war ihrem Handelsrechte schon jahrelang bekannt, als der Begriff in
England und dann bei uns Geltung erlangte, und ihre politischen Parteige¬
nossenschaften haben jederzeit eine bewundernswerte Biegsamkeit, Behendigkeit
und Geschicklichkeit in der Bildung von Koalitionen gegen einen gemeinsamen
Feind an den Tag gelegt. Während der Restaurationszeit reichten sich Repu¬
blikaner und Bonapartisten die Hände, um den Bourbonen virilms unitis erst
nach Kräften das Leben sauer zu machen und zuletzt sie zu verjagen. Unter
Ludwig Philipp arbeiteten und kämpften drei Parteien, die Legitimisten, die
Bonapartisten und die Republikaner, mit einander im Bunde gegen die konstitu¬
tionelle Monarchie, bis sie fiel und die letzte Partei sich den Löwenateil an
der Bente nahm. Aber nur für kurze Zeit. Die Republik von 1848 sah die
Alliirten sofort auseinandergehen und Orleanisten, Bonapartisten und Legiti¬
misten sich bereit halten, Louis Napoleon zum Präsidenten zu wählen, weil sich
alle echten Republikaner gegen ihn erklärten. Unter dem zweiten Kaisertums
liefen neben den Republikanern auch die Monarchisten mit der weißen Fahne
und die mit der Trikolore des Julikönigtums gegen die Regierung Sturm.
Jetzt ist es der Haß gegen die Republik, wie sie ist, der Bonapartisten, Orlea¬
nisten und Republikaner bis in die Reihen der Radikalen hinein zusammenführt.
In Deutschland kommen solche Allianzen zwar auch zu stände, aber seltener und
nicht so leicht wie in Frankreich, und dann ist der Zweck gewöhnlich nicht Be¬
kämpfung und Sturz, sondern Unterstützung und Erhaltung der Regierung,
oder es vereinigt überhaupt eine mehr oder minder konservative Absicht. Bei¬
spiele sind die Nationalliberalen vor der Sezession des linken Flügels, die Ver¬
bindung von Konservativen, Nationalliberalen und Freisinnigen zur Verhütung
svzialdemokratischer Wahlen und die Liga der sogenannten Kartcllparteien. Im
allgemeinen ist indes der Charakter des Deutschen derartigen Bildungen nicht
günstig, was seine Vorteile, aber für konstitutionelle Minister, die zum Regieren
einer Mehrheit in der Volksvertretung bedürfen, auch seine Bedenken hat. In
England verhält sichs ähnlich: auch hier sehen wir, wie die wichtigeren Kombi¬
nationen sich in der Regel zu dem Zwecke bilden, die Regierung zu unterstützen,
und von einem allen Gliedern dauernd gemeinsamen Grundgedanken beseelt sind.
Weil die Peeliten dem Freihandel huldigten, schlössen sie sich 1846 bis 1851
den Liberalen an und stimmten für das von diesen gebildete Kabinet, obwohl


Die Lage der französischen Republik.

ihre besondern Wünsche und Hoffnungen sein mögen, um sich zu sammeln be¬
gonnen hat.

Boulanger verdankt seinen Wahlsieg nicht allein den Monarchisten, sondern
dem Umstände, daß sehr verschiedene Parteien, Gruppen und Bruchteile der
Wähler des Departements sich zur Unterstützung seiner Kandidatur verbanden.
Die Franzosen haben immer eine ganz besondre Begabung gezeigt, sich zu be¬
stimmten Zwecken, denen die Ansichten und Absichten der einzelnen Bundes¬
genossen untergeordnet werden, für den Augenblick zu vereinigen. Beschränkte
Haftbarkeit war ihrem Handelsrechte schon jahrelang bekannt, als der Begriff in
England und dann bei uns Geltung erlangte, und ihre politischen Parteige¬
nossenschaften haben jederzeit eine bewundernswerte Biegsamkeit, Behendigkeit
und Geschicklichkeit in der Bildung von Koalitionen gegen einen gemeinsamen
Feind an den Tag gelegt. Während der Restaurationszeit reichten sich Repu¬
blikaner und Bonapartisten die Hände, um den Bourbonen virilms unitis erst
nach Kräften das Leben sauer zu machen und zuletzt sie zu verjagen. Unter
Ludwig Philipp arbeiteten und kämpften drei Parteien, die Legitimisten, die
Bonapartisten und die Republikaner, mit einander im Bunde gegen die konstitu¬
tionelle Monarchie, bis sie fiel und die letzte Partei sich den Löwenateil an
der Bente nahm. Aber nur für kurze Zeit. Die Republik von 1848 sah die
Alliirten sofort auseinandergehen und Orleanisten, Bonapartisten und Legiti¬
misten sich bereit halten, Louis Napoleon zum Präsidenten zu wählen, weil sich
alle echten Republikaner gegen ihn erklärten. Unter dem zweiten Kaisertums
liefen neben den Republikanern auch die Monarchisten mit der weißen Fahne
und die mit der Trikolore des Julikönigtums gegen die Regierung Sturm.
Jetzt ist es der Haß gegen die Republik, wie sie ist, der Bonapartisten, Orlea¬
nisten und Republikaner bis in die Reihen der Radikalen hinein zusammenführt.
In Deutschland kommen solche Allianzen zwar auch zu stände, aber seltener und
nicht so leicht wie in Frankreich, und dann ist der Zweck gewöhnlich nicht Be¬
kämpfung und Sturz, sondern Unterstützung und Erhaltung der Regierung,
oder es vereinigt überhaupt eine mehr oder minder konservative Absicht. Bei¬
spiele sind die Nationalliberalen vor der Sezession des linken Flügels, die Ver¬
bindung von Konservativen, Nationalliberalen und Freisinnigen zur Verhütung
svzialdemokratischer Wahlen und die Liga der sogenannten Kartcllparteien. Im
allgemeinen ist indes der Charakter des Deutschen derartigen Bildungen nicht
günstig, was seine Vorteile, aber für konstitutionelle Minister, die zum Regieren
einer Mehrheit in der Volksvertretung bedürfen, auch seine Bedenken hat. In
England verhält sichs ähnlich: auch hier sehen wir, wie die wichtigeren Kombi¬
nationen sich in der Regel zu dem Zwecke bilden, die Regierung zu unterstützen,
und von einem allen Gliedern dauernd gemeinsamen Grundgedanken beseelt sind.
Weil die Peeliten dem Freihandel huldigten, schlössen sie sich 1846 bis 1851
den Liberalen an und stimmten für das von diesen gebildete Kabinet, obwohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/211>, abgerufen am 01.09.2024.