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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Lage der französischen Republik.

man, daß man so nicht weiter kommt, und daß es anders angefangen werden
muß, wenn sich die Wünsche, die man hegt, erfüllen sollen. Die Monarchisten
haben angefangen, an dem Erfolge ihrer Bestrebungen zu verzweifeln, da ihr
gegenwärtiger Prätendent seine Rechte und Ansprüche zwar von Zeit zu Zeit
in Wort und Schrift verkündigt, aber nicht den Mut findet und nicht das
erforderliche Geld hergeben will, sie mit Thaten geltend zu machen. Nicht
besser steht es im Lager der Bonapartisten, die überdies zwei verschiedenen
Fahnen folgen. Die einen wie die andern fühlen sich mehr oder minder zu
Boulanger hingezogen, der wenigstens Energie zeigt und, wenn er nicht im
Stillen für einen der Prinzen die Wege nach dem Throne sucht und ebnet, ein
unternehmungslustiger Arbeiter für eigne Rechnung ist, dem es wie dem ersten
und dem dritten Napoleon recht wohl glücken kann, an die Stelle der Republik
ein persönliches Regiment zu setzen, das im eignen Interesse genötigt wäre, sich
mit ihnen gut zu stellen und sie durch Verleihung von Ämtern und Einräumung
von Einfluß an der Regierung zu beteiligen, wie dies früher von feiten der
Bonapartes mit deren Freunden und Gehilfen geschah. Die Republikaner haben
sich von der allgemein herrschenden Verstimmung ebensowenig freihalten können.
Die opportunistische Gruppe derselben ist durch Mangel an Thatkraft und
fruchtbaren Gedanken dahin gelangt, daß sie, die früher auf dieser Seite in
erster Reihe stand, wenn es sich um die Besetzung des Prüsidentenstuhles, der
Ministerstellen und der andern wichtigen Posten handelte, sich jetzt nur noch
in der zweiten behauptet. Ihre Führer sind mit Einschluß Ferrys verbraucht,
ihre Weisheit geht zur Neige, und niemand erwartet von ihr noch einmal be¬
deutende Leistungen. Die Radikalen sind zwar für den Augenblick oben auf
und am Ruder, aber nicht für sich allein die Mehrheit, nicht imstande, ihr
Programm auszuführen, und noch viel weniger, den Gebrechen, an denen der
Staat leidet, auch uur scheinbar und vorübergehend abzuhelfen, und ihre Ohn¬
macht, Wandel zu schaffen, macht sie gleichfalls unzufrieden. Kurz, die Lage
ist nahe daran, unhaltbar zu werden, wenn nicht ein Systemwechsel stattfindet
und neue Kräfte die Negierung in die Hand nehmen. Wie sich das vollziehen
soll, ist der großen Menge vorläufig eine Frage, um die sie sich wenig Sorge
macht. Es genügt bis auf weiteres, daß sich die Dinge ändern. Intsrim llot
Mouicl. Ist es da, so kann man ja sehen, was es wert ist; besser als das
bisherige muß es doch sein. So ist es gekommen, daß Boulanger, obwohl er
mit dem, was er denkt und will, halb im Hintergrunde bleibt, und obwohl er
mit dem, womit er herausgerückt ist, in verschiednen Farben schillert, dicht dabei
zu sein scheint, Herr der Lage zu werden. Er ist der Advokat, der Befehls¬
haber der großen Genossenschaft aller Mißgestimmten, dazu empfohlen durch
seine unverdrossene, beharrliche Rührigkeit und durch die Dreistigkeit, mit der
er verkündigt hat, es müsse anders werden, womit er alle, was auch neben
ihrem Hauptverlangen, der Forderung nach neuen Einrichtungen und Regenten,


Die Lage der französischen Republik.

man, daß man so nicht weiter kommt, und daß es anders angefangen werden
muß, wenn sich die Wünsche, die man hegt, erfüllen sollen. Die Monarchisten
haben angefangen, an dem Erfolge ihrer Bestrebungen zu verzweifeln, da ihr
gegenwärtiger Prätendent seine Rechte und Ansprüche zwar von Zeit zu Zeit
in Wort und Schrift verkündigt, aber nicht den Mut findet und nicht das
erforderliche Geld hergeben will, sie mit Thaten geltend zu machen. Nicht
besser steht es im Lager der Bonapartisten, die überdies zwei verschiedenen
Fahnen folgen. Die einen wie die andern fühlen sich mehr oder minder zu
Boulanger hingezogen, der wenigstens Energie zeigt und, wenn er nicht im
Stillen für einen der Prinzen die Wege nach dem Throne sucht und ebnet, ein
unternehmungslustiger Arbeiter für eigne Rechnung ist, dem es wie dem ersten
und dem dritten Napoleon recht wohl glücken kann, an die Stelle der Republik
ein persönliches Regiment zu setzen, das im eignen Interesse genötigt wäre, sich
mit ihnen gut zu stellen und sie durch Verleihung von Ämtern und Einräumung
von Einfluß an der Regierung zu beteiligen, wie dies früher von feiten der
Bonapartes mit deren Freunden und Gehilfen geschah. Die Republikaner haben
sich von der allgemein herrschenden Verstimmung ebensowenig freihalten können.
Die opportunistische Gruppe derselben ist durch Mangel an Thatkraft und
fruchtbaren Gedanken dahin gelangt, daß sie, die früher auf dieser Seite in
erster Reihe stand, wenn es sich um die Besetzung des Prüsidentenstuhles, der
Ministerstellen und der andern wichtigen Posten handelte, sich jetzt nur noch
in der zweiten behauptet. Ihre Führer sind mit Einschluß Ferrys verbraucht,
ihre Weisheit geht zur Neige, und niemand erwartet von ihr noch einmal be¬
deutende Leistungen. Die Radikalen sind zwar für den Augenblick oben auf
und am Ruder, aber nicht für sich allein die Mehrheit, nicht imstande, ihr
Programm auszuführen, und noch viel weniger, den Gebrechen, an denen der
Staat leidet, auch uur scheinbar und vorübergehend abzuhelfen, und ihre Ohn¬
macht, Wandel zu schaffen, macht sie gleichfalls unzufrieden. Kurz, die Lage
ist nahe daran, unhaltbar zu werden, wenn nicht ein Systemwechsel stattfindet
und neue Kräfte die Negierung in die Hand nehmen. Wie sich das vollziehen
soll, ist der großen Menge vorläufig eine Frage, um die sie sich wenig Sorge
macht. Es genügt bis auf weiteres, daß sich die Dinge ändern. Intsrim llot
Mouicl. Ist es da, so kann man ja sehen, was es wert ist; besser als das
bisherige muß es doch sein. So ist es gekommen, daß Boulanger, obwohl er
mit dem, was er denkt und will, halb im Hintergrunde bleibt, und obwohl er
mit dem, womit er herausgerückt ist, in verschiednen Farben schillert, dicht dabei
zu sein scheint, Herr der Lage zu werden. Er ist der Advokat, der Befehls¬
haber der großen Genossenschaft aller Mißgestimmten, dazu empfohlen durch
seine unverdrossene, beharrliche Rührigkeit und durch die Dreistigkeit, mit der
er verkündigt hat, es müsse anders werden, womit er alle, was auch neben
ihrem Hauptverlangen, der Forderung nach neuen Einrichtungen und Regenten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/210>, abgerufen am 27.07.2024.