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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

was nützte ihm das, wenn er sie unter dem armutshäßlichen Filz einer Diogenes¬
kappe verbarg? Form, Form! gebt mir die dreißig Silberlinge der Form für
meinen Inhalt! Gebt mir den Körper eines Alkibiades, den Mantel eines
Don Juan und den Rang eines Kammerjunkers!

Aber das alles besaß er nun einmal nicht, und Edele fühlte sich keines¬
wegs sympathisch berührt von dieser plumpen Philosophennatur, die die
Regungen des Lebens mir in der barbarischen Nacktheit der Abstraktionen be¬
trachtet hatte, und die deswegen in ihren Äußerungen etwas lärmend Absolutes
hatte, das sich mit unangenehmer Sicherheit vordrängte, etwa wie eine verkehrt
angebrachte Trommel in einem melodischen Konzert. Das Angestrengte, was
er an sich hatte, daß sich sein Gedanke jeder kleinen Frage gegenüber gleichsam
mit gespannten Muskeln in Position stellte, wie ein starker Mann, der mit
eisernen Kugeln spielen will, das machte ihn in ihren Augen lächerlich, und es
ärgerte sie, wenn er, getrieben von einer urtcilssüchtigen Moral, das Inkognito
jedes leicht angedeuteten Gefühles verriet, indem er es unerzognerweise bei
seinem rechten Namen nannte, gerade in dem Augenblick, wo es im flüchtigen
Lauf des Gespräches an ihm vorübereilen wollte.

Bigum wußte sehr wohl, welch unvorteilhaften Eindruck er machte, und
wie völlig hoffnungslos seine Liebe war; aber er wußte es so, wie man etwas
weiß, wenn man mit der ganzen Macht der Seele hofft, daß dies Wissen auf
einem Irrtum beruhen möge. Es giebt noch Wunder, und wenn die Wunder
auch nicht gerade geschehen, so könnten sie doch geschehen. Wer weiß? Viel¬
leicht irrt man sich, vielleicht täuschen uns unser Verstand, unsre Einbildungs¬
kraft oder unsre Sinne trotz ihrer tageshellen Klarheit, vielleicht kommt es
nur darauf an, den unvernünftigen Mut zu haben und dem Irrlicht der Hoff¬
nung zu folgen, welches über der wilden Gährung der Leidenschaften brennt.
Erst wenn die Thür der Entscheidung hinter uns ins Schloß gefallen ist,
graben sich die eisenkalten Klauen der Gewißheit in unsre Brust, um sich
langsam, langsam im Herzen zu sammeln um den nervenfeinen Faden der
Hoffnung, an dem die Welt unsers Glückes hängt; dann wird der Faden zer¬
schnitten, und das, was er trug, fällt und wird zermalmt, und durch die
schreckliche Leere dringt der wilde Schrei der Verzweiflung.

Niemand verzweifelt, so lange er noch im Zweifel ist. --

An einem sonnigen Septembernachmittage saß Edele draußen auf der
Plattform der breiten, altmodischen Holztreppe, die in fünf, sechs Stufen aus
dem Gartenzimmer in den Garten hinabführte. Die Glasthüren hinter ihr
waren weit geöffnet und gegen die Mauer mit ihrer bunten, leuchtend roten
und grünen Bekleidung von wildem Wein gelehnt. Sie stützte ihr Haupt gegen
den Sitz eines Stuhles, der mit großen, schwarzen Mappen belastet war, und
hielt einen Kupferstich mit beiden Händen vor sich hin. Kolorirte Blätter,
welche byzantinische Mosaike wiedergaben, in denen Blau und Gold vorherrschten,


Ricks Lyhne.

was nützte ihm das, wenn er sie unter dem armutshäßlichen Filz einer Diogenes¬
kappe verbarg? Form, Form! gebt mir die dreißig Silberlinge der Form für
meinen Inhalt! Gebt mir den Körper eines Alkibiades, den Mantel eines
Don Juan und den Rang eines Kammerjunkers!

Aber das alles besaß er nun einmal nicht, und Edele fühlte sich keines¬
wegs sympathisch berührt von dieser plumpen Philosophennatur, die die
Regungen des Lebens mir in der barbarischen Nacktheit der Abstraktionen be¬
trachtet hatte, und die deswegen in ihren Äußerungen etwas lärmend Absolutes
hatte, das sich mit unangenehmer Sicherheit vordrängte, etwa wie eine verkehrt
angebrachte Trommel in einem melodischen Konzert. Das Angestrengte, was
er an sich hatte, daß sich sein Gedanke jeder kleinen Frage gegenüber gleichsam
mit gespannten Muskeln in Position stellte, wie ein starker Mann, der mit
eisernen Kugeln spielen will, das machte ihn in ihren Augen lächerlich, und es
ärgerte sie, wenn er, getrieben von einer urtcilssüchtigen Moral, das Inkognito
jedes leicht angedeuteten Gefühles verriet, indem er es unerzognerweise bei
seinem rechten Namen nannte, gerade in dem Augenblick, wo es im flüchtigen
Lauf des Gespräches an ihm vorübereilen wollte.

Bigum wußte sehr wohl, welch unvorteilhaften Eindruck er machte, und
wie völlig hoffnungslos seine Liebe war; aber er wußte es so, wie man etwas
weiß, wenn man mit der ganzen Macht der Seele hofft, daß dies Wissen auf
einem Irrtum beruhen möge. Es giebt noch Wunder, und wenn die Wunder
auch nicht gerade geschehen, so könnten sie doch geschehen. Wer weiß? Viel¬
leicht irrt man sich, vielleicht täuschen uns unser Verstand, unsre Einbildungs¬
kraft oder unsre Sinne trotz ihrer tageshellen Klarheit, vielleicht kommt es
nur darauf an, den unvernünftigen Mut zu haben und dem Irrlicht der Hoff¬
nung zu folgen, welches über der wilden Gährung der Leidenschaften brennt.
Erst wenn die Thür der Entscheidung hinter uns ins Schloß gefallen ist,
graben sich die eisenkalten Klauen der Gewißheit in unsre Brust, um sich
langsam, langsam im Herzen zu sammeln um den nervenfeinen Faden der
Hoffnung, an dem die Welt unsers Glückes hängt; dann wird der Faden zer¬
schnitten, und das, was er trug, fällt und wird zermalmt, und durch die
schreckliche Leere dringt der wilde Schrei der Verzweiflung.

Niemand verzweifelt, so lange er noch im Zweifel ist. —

An einem sonnigen Septembernachmittage saß Edele draußen auf der
Plattform der breiten, altmodischen Holztreppe, die in fünf, sechs Stufen aus
dem Gartenzimmer in den Garten hinabführte. Die Glasthüren hinter ihr
waren weit geöffnet und gegen die Mauer mit ihrer bunten, leuchtend roten
und grünen Bekleidung von wildem Wein gelehnt. Sie stützte ihr Haupt gegen
den Sitz eines Stuhles, der mit großen, schwarzen Mappen belastet war, und
hielt einen Kupferstich mit beiden Händen vor sich hin. Kolorirte Blätter,
welche byzantinische Mosaike wiedergaben, in denen Blau und Gold vorherrschten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/197>, abgerufen am 01.09.2024.