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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhue,

lagen auf dem verblichenen Grün der Binsenmatte, auf der Thürschwelle und
dem eichcnbraunen Parkettfußboden der Gartcnstube ausgebreitet. Am Fuße
der Treppe lag ein weißer Schutzhut, denn Edele war barhäuptig und trug
keinen andern Schmuck, als eine Blume von Goldfiligran, deren Muster zu
dem Armband Paßte, das sie hoch oben am Arme trug. Ihr weißes Kleid,
von halbklarem Stoff mit schmalen, seidenblanken Streifen, hatte eine ein¬
gewebte Kante von grauer und orangefarbener Chenille und war mit Rosetten
in denselben beiden Farben besetzt. Helle Halbhandschuhe bedeckte" ihre Hände
und reichten bis über den Ellenbogen hinaus. Sie waren, wie ihre Schuhe,
von perlgrauer Seide.

Durch die herabhängenden Zweige einer uralten Esche sickerte das goldne
Sonnenlicht strahlenweise auf die Treppe herab und bildete in dem dämmrigen,
halbklaren Schatten einen leuchtenden Strom, der die Luft umher mit goldnem
Staub erfüllte und helle Flecken auf die Stufen der Treppe, auf die Thür
und an die Wand zeichnete, Sonnenfleck neben Sonnenfleck, sodaß es war, als
leuchtete durch einen löcherigen Schatten alles dem Licht mit eignen Farben
entgegen, weiß von Edelens weißem Kleide, purpurblutig von den Purpur¬
lippen, und bernsteingelb von dem bernsteinblonden Haar. Und rings umher
in hundert andern Farben, in Blau, in Gold, in Eichenbraun, in glasblankem
Spiegelglanz, in Not und Grün.

Edele ließ den Kupferstich fallen und erhob hoffnungslos ihren Blick;
ihre Augen sprachen in stummer Klage den Seufzer aus, den zu seufzen sie
zu müde war. Dann setzte sie sich mit einer Bewegung zurecht, als wollte sie
ihre Umgebungen ausschließen und sich in sich selber zurückziehen.

In demselben Augenblick kam Herr Bigum des Weges.

Edele sah ihn mit einem müden Blinzeln an, gerade so wie ein Kind,
das zu gut liegt und zu müde ist, um sich zu rühren, das aber doch zu neu¬
gierig ist, um seine Augen zu schließen.

Herr Bigum hatte einen neuen Filzhut auf, er war ganz in sich selbst
vertieft und gestikulirte so lebhaft mit seiner Tvmbakuhr, die er in der Hand
hielt, daß die dünne silberne Halskette, an welcher die Uhr befestigt war, jeden
Augenblick zu zerreißen drohte. Mit einer plötzlichen Bewegung steckte er die
Uhr unsanft in seine Tasche, schüttelte ungeduldig den Kopf, faßte mit ärger¬
lichem Griff in den Kragenaufschlag seines Rockes und schritt dann weiter mit
einem zornigen schlenkern der Glieder und einem Antlitz, das der ganze hoff¬
nungslose Kummer verfinsterte, der in einem Manne kocht, welcher vor seinen
eignen peinigenden Gedanken flüchtet und dabei doch weiß, daß er ver¬
gebens flieht.

Edelens Hut, wie er da am Fuße der Treppe lag, weiß schimmernd gegen
die schwarze Erde des Weges, hemmte ihn in seiner Flucht. Er nahm
ihn vorsichtig mit beiden Händen auf, in demselben Augenblicke sah er


Ricks Lyhue,

lagen auf dem verblichenen Grün der Binsenmatte, auf der Thürschwelle und
dem eichcnbraunen Parkettfußboden der Gartcnstube ausgebreitet. Am Fuße
der Treppe lag ein weißer Schutzhut, denn Edele war barhäuptig und trug
keinen andern Schmuck, als eine Blume von Goldfiligran, deren Muster zu
dem Armband Paßte, das sie hoch oben am Arme trug. Ihr weißes Kleid,
von halbklarem Stoff mit schmalen, seidenblanken Streifen, hatte eine ein¬
gewebte Kante von grauer und orangefarbener Chenille und war mit Rosetten
in denselben beiden Farben besetzt. Helle Halbhandschuhe bedeckte» ihre Hände
und reichten bis über den Ellenbogen hinaus. Sie waren, wie ihre Schuhe,
von perlgrauer Seide.

Durch die herabhängenden Zweige einer uralten Esche sickerte das goldne
Sonnenlicht strahlenweise auf die Treppe herab und bildete in dem dämmrigen,
halbklaren Schatten einen leuchtenden Strom, der die Luft umher mit goldnem
Staub erfüllte und helle Flecken auf die Stufen der Treppe, auf die Thür
und an die Wand zeichnete, Sonnenfleck neben Sonnenfleck, sodaß es war, als
leuchtete durch einen löcherigen Schatten alles dem Licht mit eignen Farben
entgegen, weiß von Edelens weißem Kleide, purpurblutig von den Purpur¬
lippen, und bernsteingelb von dem bernsteinblonden Haar. Und rings umher
in hundert andern Farben, in Blau, in Gold, in Eichenbraun, in glasblankem
Spiegelglanz, in Not und Grün.

Edele ließ den Kupferstich fallen und erhob hoffnungslos ihren Blick;
ihre Augen sprachen in stummer Klage den Seufzer aus, den zu seufzen sie
zu müde war. Dann setzte sie sich mit einer Bewegung zurecht, als wollte sie
ihre Umgebungen ausschließen und sich in sich selber zurückziehen.

In demselben Augenblick kam Herr Bigum des Weges.

Edele sah ihn mit einem müden Blinzeln an, gerade so wie ein Kind,
das zu gut liegt und zu müde ist, um sich zu rühren, das aber doch zu neu¬
gierig ist, um seine Augen zu schließen.

Herr Bigum hatte einen neuen Filzhut auf, er war ganz in sich selbst
vertieft und gestikulirte so lebhaft mit seiner Tvmbakuhr, die er in der Hand
hielt, daß die dünne silberne Halskette, an welcher die Uhr befestigt war, jeden
Augenblick zu zerreißen drohte. Mit einer plötzlichen Bewegung steckte er die
Uhr unsanft in seine Tasche, schüttelte ungeduldig den Kopf, faßte mit ärger¬
lichem Griff in den Kragenaufschlag seines Rockes und schritt dann weiter mit
einem zornigen schlenkern der Glieder und einem Antlitz, das der ganze hoff¬
nungslose Kummer verfinsterte, der in einem Manne kocht, welcher vor seinen
eignen peinigenden Gedanken flüchtet und dabei doch weiß, daß er ver¬
gebens flieht.

Edelens Hut, wie er da am Fuße der Treppe lag, weiß schimmernd gegen
die schwarze Erde des Weges, hemmte ihn in seiner Flucht. Er nahm
ihn vorsichtig mit beiden Händen auf, in demselben Augenblicke sah er


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[0198] Ricks Lyhue, lagen auf dem verblichenen Grün der Binsenmatte, auf der Thürschwelle und dem eichcnbraunen Parkettfußboden der Gartcnstube ausgebreitet. Am Fuße der Treppe lag ein weißer Schutzhut, denn Edele war barhäuptig und trug keinen andern Schmuck, als eine Blume von Goldfiligran, deren Muster zu dem Armband Paßte, das sie hoch oben am Arme trug. Ihr weißes Kleid, von halbklarem Stoff mit schmalen, seidenblanken Streifen, hatte eine ein¬ gewebte Kante von grauer und orangefarbener Chenille und war mit Rosetten in denselben beiden Farben besetzt. Helle Halbhandschuhe bedeckte» ihre Hände und reichten bis über den Ellenbogen hinaus. Sie waren, wie ihre Schuhe, von perlgrauer Seide. Durch die herabhängenden Zweige einer uralten Esche sickerte das goldne Sonnenlicht strahlenweise auf die Treppe herab und bildete in dem dämmrigen, halbklaren Schatten einen leuchtenden Strom, der die Luft umher mit goldnem Staub erfüllte und helle Flecken auf die Stufen der Treppe, auf die Thür und an die Wand zeichnete, Sonnenfleck neben Sonnenfleck, sodaß es war, als leuchtete durch einen löcherigen Schatten alles dem Licht mit eignen Farben entgegen, weiß von Edelens weißem Kleide, purpurblutig von den Purpur¬ lippen, und bernsteingelb von dem bernsteinblonden Haar. Und rings umher in hundert andern Farben, in Blau, in Gold, in Eichenbraun, in glasblankem Spiegelglanz, in Not und Grün. Edele ließ den Kupferstich fallen und erhob hoffnungslos ihren Blick; ihre Augen sprachen in stummer Klage den Seufzer aus, den zu seufzen sie zu müde war. Dann setzte sie sich mit einer Bewegung zurecht, als wollte sie ihre Umgebungen ausschließen und sich in sich selber zurückziehen. In demselben Augenblick kam Herr Bigum des Weges. Edele sah ihn mit einem müden Blinzeln an, gerade so wie ein Kind, das zu gut liegt und zu müde ist, um sich zu rühren, das aber doch zu neu¬ gierig ist, um seine Augen zu schließen. Herr Bigum hatte einen neuen Filzhut auf, er war ganz in sich selbst vertieft und gestikulirte so lebhaft mit seiner Tvmbakuhr, die er in der Hand hielt, daß die dünne silberne Halskette, an welcher die Uhr befestigt war, jeden Augenblick zu zerreißen drohte. Mit einer plötzlichen Bewegung steckte er die Uhr unsanft in seine Tasche, schüttelte ungeduldig den Kopf, faßte mit ärger¬ lichem Griff in den Kragenaufschlag seines Rockes und schritt dann weiter mit einem zornigen schlenkern der Glieder und einem Antlitz, das der ganze hoff¬ nungslose Kummer verfinsterte, der in einem Manne kocht, welcher vor seinen eignen peinigenden Gedanken flüchtet und dabei doch weiß, daß er ver¬ gebens flieht. Edelens Hut, wie er da am Fuße der Treppe lag, weiß schimmernd gegen die schwarze Erde des Weges, hemmte ihn in seiner Flucht. Er nahm ihn vorsichtig mit beiden Händen auf, in demselben Augenblicke sah er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/198>, abgerufen am 01.09.2024.