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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.

Sicherheit ausgeschlossen ist, kann das Gericht den anwesenden Personen die Ge¬
heimhaltung der verhandelten Thatsachen auferlegen, und es ist in diesen Fällen
eine Berichterstattung durch die Presse verboten, in beiden bei Vermeidung einer
Geldstrafe bis zu tausend Mark oder einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten
Gefängnis. Für das Spezialberichterstattertum der einheimischen Presse besteht
hiernach kein Reiz mehr, denjenigen Schleier aufzuheben, den das Gesetz bedeckt
lassen will. I^Ä on 1a 1c"i veut 1s ssorot, ont n'g, 1s ciron at 1s rsvelor sagte
selbst der liberale Thiers in Anerkennung der obwaltenden zwingenden Gründe.
Die fremden Regierungen werden daher künftighin nicht unsre Zeitungen als
Quelle von Nachrichten benutzen, deren Bekanntmachung dem Reiche zum Schaden
gereicht. Aber auch der fremden Presse ist nach Möglichkeit der Weg verstopft
und den fremden Spionen zum mindesten sehr erschwert. Denn wenn das Gesetz
nur irgend verständig von den Gerichten gehandhabt wird, dann werden sie
von den ihnen gewährten Befugnissen den geeigneten Gebrauch machen. Dann
wird der Schweigebefehl verhindern, daß an die Beamten und Zeugen mit Er¬
folg die Versuchung herantritt, etwas aus den Verhandlungen zu verraten. Die
Berichterstattung in Sittlichkeitsverhandlungen ist nicht unbedingt verboten; man
muß zugeben, daß hier die Sache wesentlich anders liegt. Hier erheischt das
Interesse eines unschuldig Angeklagten, daß er von der Presse möglichst Ge¬
brauch macht, auch wenn ein paar alte Jungfern rot werden sollten. Wohl
aber legt das Gesetz den deutschen Gerichts-Zolas das Handwerk, indem es Be¬
richterstattungen, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen, unter namhafte
Strafe stellt.

Das ist das vielnmkümpfte Gesetz, gegen welches vom Fortschritt und
seinem Bundesgenossen, dem welfischen Zentrum, zwei Jahre lang Obstruktion
getrieben wurde. Auch diesmal hat es an Versuchen nicht gefehlt, und die
oppositionellen Redner thaten ihr möglichstes, um die Freunde des Gesetzes
durch ebenso lange Reden zu ermüden, als das Volk außerhalb des Hauses
gegen die "Reaktion" zu verhetzen. Wer die Herren Träger, Windthorst,
Meyer (Halle), Nintelen, Grober hörte, der Hütte glauben müssen, daß mindestens
die Sternkammer zu einer Einrichtung des Reiches erhoben werden sollte. Wie
wenig die Tiraden begründet und in wie maßloser Weise die Bedenken über¬
trieben waren, davon liefert das den besten Beweis, daß der fortschrittliche
Abgeordnete Munkel verschiedne Anträge zu dem EntWurfe vorbrachte, welche
die Regierungsvertreter als annehmbar, wenn auch als minder gut als die Vor¬
schläge der Kommission bezeichnen konnten.

Nur einen bedenklichen Satz hat das Gesetz zufolge den Beschlüssen der
Neichstagsmehrheit aufnehmen müssen; er betrifft die gerichtlichen Beratungen
und bestimmt, daß diesen kein Vorgesetzter beiwohnen dürfe. Theoretisch ist die
Vorschrift wohl begründet, weil die Befürchtung besteht, daß die Anwesenheit
des Vorsitzenden auf die Abstimmung des Einzelnen einen ursachlichen Einfluß


Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.

Sicherheit ausgeschlossen ist, kann das Gericht den anwesenden Personen die Ge¬
heimhaltung der verhandelten Thatsachen auferlegen, und es ist in diesen Fällen
eine Berichterstattung durch die Presse verboten, in beiden bei Vermeidung einer
Geldstrafe bis zu tausend Mark oder einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten
Gefängnis. Für das Spezialberichterstattertum der einheimischen Presse besteht
hiernach kein Reiz mehr, denjenigen Schleier aufzuheben, den das Gesetz bedeckt
lassen will. I^Ä on 1a 1c»i veut 1s ssorot, ont n'g, 1s ciron at 1s rsvelor sagte
selbst der liberale Thiers in Anerkennung der obwaltenden zwingenden Gründe.
Die fremden Regierungen werden daher künftighin nicht unsre Zeitungen als
Quelle von Nachrichten benutzen, deren Bekanntmachung dem Reiche zum Schaden
gereicht. Aber auch der fremden Presse ist nach Möglichkeit der Weg verstopft
und den fremden Spionen zum mindesten sehr erschwert. Denn wenn das Gesetz
nur irgend verständig von den Gerichten gehandhabt wird, dann werden sie
von den ihnen gewährten Befugnissen den geeigneten Gebrauch machen. Dann
wird der Schweigebefehl verhindern, daß an die Beamten und Zeugen mit Er¬
folg die Versuchung herantritt, etwas aus den Verhandlungen zu verraten. Die
Berichterstattung in Sittlichkeitsverhandlungen ist nicht unbedingt verboten; man
muß zugeben, daß hier die Sache wesentlich anders liegt. Hier erheischt das
Interesse eines unschuldig Angeklagten, daß er von der Presse möglichst Ge¬
brauch macht, auch wenn ein paar alte Jungfern rot werden sollten. Wohl
aber legt das Gesetz den deutschen Gerichts-Zolas das Handwerk, indem es Be¬
richterstattungen, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen, unter namhafte
Strafe stellt.

Das ist das vielnmkümpfte Gesetz, gegen welches vom Fortschritt und
seinem Bundesgenossen, dem welfischen Zentrum, zwei Jahre lang Obstruktion
getrieben wurde. Auch diesmal hat es an Versuchen nicht gefehlt, und die
oppositionellen Redner thaten ihr möglichstes, um die Freunde des Gesetzes
durch ebenso lange Reden zu ermüden, als das Volk außerhalb des Hauses
gegen die „Reaktion" zu verhetzen. Wer die Herren Träger, Windthorst,
Meyer (Halle), Nintelen, Grober hörte, der Hütte glauben müssen, daß mindestens
die Sternkammer zu einer Einrichtung des Reiches erhoben werden sollte. Wie
wenig die Tiraden begründet und in wie maßloser Weise die Bedenken über¬
trieben waren, davon liefert das den besten Beweis, daß der fortschrittliche
Abgeordnete Munkel verschiedne Anträge zu dem EntWurfe vorbrachte, welche
die Regierungsvertreter als annehmbar, wenn auch als minder gut als die Vor¬
schläge der Kommission bezeichnen konnten.

Nur einen bedenklichen Satz hat das Gesetz zufolge den Beschlüssen der
Neichstagsmehrheit aufnehmen müssen; er betrifft die gerichtlichen Beratungen
und bestimmt, daß diesen kein Vorgesetzter beiwohnen dürfe. Theoretisch ist die
Vorschrift wohl begründet, weil die Befürchtung besteht, daß die Anwesenheit
des Vorsitzenden auf die Abstimmung des Einzelnen einen ursachlichen Einfluß


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[0179] Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung. Sicherheit ausgeschlossen ist, kann das Gericht den anwesenden Personen die Ge¬ heimhaltung der verhandelten Thatsachen auferlegen, und es ist in diesen Fällen eine Berichterstattung durch die Presse verboten, in beiden bei Vermeidung einer Geldstrafe bis zu tausend Mark oder einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten Gefängnis. Für das Spezialberichterstattertum der einheimischen Presse besteht hiernach kein Reiz mehr, denjenigen Schleier aufzuheben, den das Gesetz bedeckt lassen will. I^Ä on 1a 1c»i veut 1s ssorot, ont n'g, 1s ciron at 1s rsvelor sagte selbst der liberale Thiers in Anerkennung der obwaltenden zwingenden Gründe. Die fremden Regierungen werden daher künftighin nicht unsre Zeitungen als Quelle von Nachrichten benutzen, deren Bekanntmachung dem Reiche zum Schaden gereicht. Aber auch der fremden Presse ist nach Möglichkeit der Weg verstopft und den fremden Spionen zum mindesten sehr erschwert. Denn wenn das Gesetz nur irgend verständig von den Gerichten gehandhabt wird, dann werden sie von den ihnen gewährten Befugnissen den geeigneten Gebrauch machen. Dann wird der Schweigebefehl verhindern, daß an die Beamten und Zeugen mit Er¬ folg die Versuchung herantritt, etwas aus den Verhandlungen zu verraten. Die Berichterstattung in Sittlichkeitsverhandlungen ist nicht unbedingt verboten; man muß zugeben, daß hier die Sache wesentlich anders liegt. Hier erheischt das Interesse eines unschuldig Angeklagten, daß er von der Presse möglichst Ge¬ brauch macht, auch wenn ein paar alte Jungfern rot werden sollten. Wohl aber legt das Gesetz den deutschen Gerichts-Zolas das Handwerk, indem es Be¬ richterstattungen, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen, unter namhafte Strafe stellt. Das ist das vielnmkümpfte Gesetz, gegen welches vom Fortschritt und seinem Bundesgenossen, dem welfischen Zentrum, zwei Jahre lang Obstruktion getrieben wurde. Auch diesmal hat es an Versuchen nicht gefehlt, und die oppositionellen Redner thaten ihr möglichstes, um die Freunde des Gesetzes durch ebenso lange Reden zu ermüden, als das Volk außerhalb des Hauses gegen die „Reaktion" zu verhetzen. Wer die Herren Träger, Windthorst, Meyer (Halle), Nintelen, Grober hörte, der Hütte glauben müssen, daß mindestens die Sternkammer zu einer Einrichtung des Reiches erhoben werden sollte. Wie wenig die Tiraden begründet und in wie maßloser Weise die Bedenken über¬ trieben waren, davon liefert das den besten Beweis, daß der fortschrittliche Abgeordnete Munkel verschiedne Anträge zu dem EntWurfe vorbrachte, welche die Regierungsvertreter als annehmbar, wenn auch als minder gut als die Vor¬ schläge der Kommission bezeichnen konnten. Nur einen bedenklichen Satz hat das Gesetz zufolge den Beschlüssen der Neichstagsmehrheit aufnehmen müssen; er betrifft die gerichtlichen Beratungen und bestimmt, daß diesen kein Vorgesetzter beiwohnen dürfe. Theoretisch ist die Vorschrift wohl begründet, weil die Befürchtung besteht, daß die Anwesenheit des Vorsitzenden auf die Abstimmung des Einzelnen einen ursachlichen Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/179>, abgerufen am 27.07.2024.