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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die (Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung,

Worden, welcher die Veröffentlichung solcher Gerichtsverhandlungen unter Strafe
stellt. Das Unheil, das die Veröffentlichung eines einzigen Falles hervorrufen
kann, ist oft so groß, daß man einer Wiederkehr mit den entschiedensten Mitteln
vorbeugen muß.

Diese Übelstände haben die verbündeten Regierungen veranlaßt, bereits zum
dritten male einen Entwurf betreffend die unter Ausschluß der Öffentlichkeit
stattfindenden Gerichtsverhandlungen einzubringen. In der ersten Session kam
er gar nicht zur Verhandlung, in der zweiten kam er zur Kommissiousberatuug,
und erst in dieser ist er zum Gesetz geworden. Der wesentliche Inhalt des nun¬
mehrigen Gesetzes (vom S. April 1887) ist folgender.

Die Fülle, in denen die Öffentlichkeit der Verhandlungen ausgeschlossen
werden kann, sind in keiner Weise vermehrt. Wie nach dem bisherigen Recht,
kann dies nur wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondre der
unter diesen Begriff fallenden Staatssicherheit, und wegen Gefährdung der Sitt¬
lichkeit geschehen. Ob der Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden soll, darüber
entscheidet nach wie vor allein das Gericht nach seinem Ermessen. Es ist also eine
durchaus unwahre Behauptung, wenn im Parlament von einzelnen Rednern und
in der Presse von demokratischen und fortschrittlichen Blättern der Schreckruf er¬
tönte, daß das Palladium der Öffentlichkeit bedroht und verkürzt worden sei. Jeder,
der lesen kann, wird sich ans dem Wortlaute des Gesetzes vom Gegenteil über¬
zeuge" können. Nicht dem Grundsatze der Öffentlichkeit tritt es zu nahe, son¬
dern es sucht nur dem Beschluß des Gerichtes, welches die Öffentlichkeit in dem
einzelnen Falle nicht eintreten läßt, Wirkung zu verschaffen, soweit dies mit
menschlichen Mitteln möglich ist. Zu diesem Zwecke ist der Zwang aufgehoben,
wonach die Verkündung der Gründe öffentlich erfolgen muß, dem Gerichte bleibt
auch hier vollkommen freie Hand, und es bedarf immer eines besondern Be¬
schlusses, wenn die Verkündung der Gründe geheim gehalten werden soll. Es
bleibt in dieser Beziehung ganz beim alten, und wenn die Befürchtung ausge¬
sprochen war, es werde bei allen politischen Verbrechen die Verhandlung geheim
sein, so besteht diese Befürchtung auch schon nach den bisherigen Vorschriften
oder sie ist eine thatsächlich unrichtige Übertreibung. Das neue Gesetz kehrt zu
einem Zustande zurück, wie er vor Einführung der Justizgesctze in einem über¬
wiegenden Teile des deutschen Reiches bestanden hat. Man hat nicht gehört,
daß sich damals aus der Verkündigung der Gründe in geheimer Sitzung irgend
welche Nachteile ergeben hätten. Daß man bei Ausarbeitung des Gerichts"
verfassnngsgesetzcs von jener Käutel Abstand nahm, lag in dem Optimismus
jener Zeit, in der man nach den Erfolgen von 1370/71 alles nur durch rosa-
gefärbtc Gläser sah. Inzwischen sind unsre Feinde stärker geworden und ihre
Bemühungen, uns zu schaden, erfolgreicher. Das Gesetz erachtet es daher nicht
für ausreichend, dem ausländischen Agententum nur diese Quelle seiner Infor¬
mation zu sperren. Wenn die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staats-


Die (Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung,

Worden, welcher die Veröffentlichung solcher Gerichtsverhandlungen unter Strafe
stellt. Das Unheil, das die Veröffentlichung eines einzigen Falles hervorrufen
kann, ist oft so groß, daß man einer Wiederkehr mit den entschiedensten Mitteln
vorbeugen muß.

Diese Übelstände haben die verbündeten Regierungen veranlaßt, bereits zum
dritten male einen Entwurf betreffend die unter Ausschluß der Öffentlichkeit
stattfindenden Gerichtsverhandlungen einzubringen. In der ersten Session kam
er gar nicht zur Verhandlung, in der zweiten kam er zur Kommissiousberatuug,
und erst in dieser ist er zum Gesetz geworden. Der wesentliche Inhalt des nun¬
mehrigen Gesetzes (vom S. April 1887) ist folgender.

Die Fülle, in denen die Öffentlichkeit der Verhandlungen ausgeschlossen
werden kann, sind in keiner Weise vermehrt. Wie nach dem bisherigen Recht,
kann dies nur wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondre der
unter diesen Begriff fallenden Staatssicherheit, und wegen Gefährdung der Sitt¬
lichkeit geschehen. Ob der Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden soll, darüber
entscheidet nach wie vor allein das Gericht nach seinem Ermessen. Es ist also eine
durchaus unwahre Behauptung, wenn im Parlament von einzelnen Rednern und
in der Presse von demokratischen und fortschrittlichen Blättern der Schreckruf er¬
tönte, daß das Palladium der Öffentlichkeit bedroht und verkürzt worden sei. Jeder,
der lesen kann, wird sich ans dem Wortlaute des Gesetzes vom Gegenteil über¬
zeuge» können. Nicht dem Grundsatze der Öffentlichkeit tritt es zu nahe, son¬
dern es sucht nur dem Beschluß des Gerichtes, welches die Öffentlichkeit in dem
einzelnen Falle nicht eintreten läßt, Wirkung zu verschaffen, soweit dies mit
menschlichen Mitteln möglich ist. Zu diesem Zwecke ist der Zwang aufgehoben,
wonach die Verkündung der Gründe öffentlich erfolgen muß, dem Gerichte bleibt
auch hier vollkommen freie Hand, und es bedarf immer eines besondern Be¬
schlusses, wenn die Verkündung der Gründe geheim gehalten werden soll. Es
bleibt in dieser Beziehung ganz beim alten, und wenn die Befürchtung ausge¬
sprochen war, es werde bei allen politischen Verbrechen die Verhandlung geheim
sein, so besteht diese Befürchtung auch schon nach den bisherigen Vorschriften
oder sie ist eine thatsächlich unrichtige Übertreibung. Das neue Gesetz kehrt zu
einem Zustande zurück, wie er vor Einführung der Justizgesctze in einem über¬
wiegenden Teile des deutschen Reiches bestanden hat. Man hat nicht gehört,
daß sich damals aus der Verkündigung der Gründe in geheimer Sitzung irgend
welche Nachteile ergeben hätten. Daß man bei Ausarbeitung des Gerichts«
verfassnngsgesetzcs von jener Käutel Abstand nahm, lag in dem Optimismus
jener Zeit, in der man nach den Erfolgen von 1370/71 alles nur durch rosa-
gefärbtc Gläser sah. Inzwischen sind unsre Feinde stärker geworden und ihre
Bemühungen, uns zu schaden, erfolgreicher. Das Gesetz erachtet es daher nicht
für ausreichend, dem ausländischen Agententum nur diese Quelle seiner Infor¬
mation zu sperren. Wenn die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/178>, abgerufen am 27.07.2024.