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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die (Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.

geklagten erst im Versuch begangnen Landesverrat seinerseits vollendete. Aus
jenen Urteilsgriinden schöpften die fremden Regierungen eine sichere Kontrole
über die ihnen durch die Spionage zugeflossenen Nachrichten; sie erfuhren
daraus, ob die deutsche Polizei ihre Einrichtungen kannte, und änderten sie
dementsprechend ab, und sie erfuhren nicht minder die Mittel, welche zur Ent¬
deckung der Schuldigen führten, sowie die Organisation der Gegenwehr des
deutschen Reiches. Wäre die Presse taktvoll gewesen, so würde sie von selbst
das tiefste Schweigen über alle Vorgänge in jenen gerichtlichen Verhandlungen
beobachtet haben. Aber gerade das Gegenteil war der Fall. Über die unter
Ausschluß der Öffentlichkeit abgehaltenen Gerichtsverhandlungen erschienen in
den Zeitungen die ausführlichsten Berichte, und da der Wettbewerb auf dem
Gebiete der Presse nicht minder den Markt beherrscht wie auf andern gewerb¬
lichen Gebieten, so sahen sich selbst Zeitungen von guter Gesinnung genötigt,
um nicht zurückzubleiben, ihren weniger achtbaren Genossen es gleichzuthun.
Die Sucht, Neuigkeiten zu bringen, und der Triumph, das zu wissen, was
geheim bleiben soll, war oft so groß, daß selbst Dinge veröffentlicht wurden,
welche für das Publikum auch nicht das geringste Interesse boten, für die
Sicherheit des Reiches aber von Bedeutung waren. In einem solchen Prozesse
war einmal ein Kronzeuge aufgetreten, dessen Namen aus leicht erklärlichen
Gründen geheim gehalten werden sollte. Der Vorsitzende des Gerichtes that
auch in dieser Hinsicht sein Möglichstes; er erklärte gleich bei Beginn der Ur-
teilsverkllndigung, daß er einen bestimmten Zeugen nicht nennen, sondern von
ihm nur immer als "der Zeuge" sprechen werde. An diese Erklärung des
Vorsitzenden knüpfte die "Leipziger Gerichts-Zeitung" eine Klammer, in welcher
sie den Namen des Zeugen nannte!

Zu den äußern Feinden des Reiches gesellen sich aber seit der großen sozial¬
demokratischen Bewegung auch innere. Die Regel, daß die extremen Parteien
immer noch extremere erzeugen, bestätigt sich auch hier. Im Reichstage hat
jüngst der Abgeordnete Bamberger die Sozialdemokratie als mißratene Tochter
des Fortschritts bezeichnet; sie bleibt aber immerhin ein Kind desselben, und
ob es mißraten ist oder nicht, hebt die Verantwortlichkeit des Erzeugers nicht
auf. Auch die Sozialdemokratie hat es bereits zu einem Sprößling gebracht,
und dieser ist der Anarchismus, den die Erzeugerin zwar öffentlich von sich
abzuschütteln sucht, im geheimen aber pflegt und hätschelt. Die Thaten des
Anarchismus scheinen zwar unverständlich und unbegreiflich, aber die Tollheit
hat Methode und Bewußtsein. Wir haben in den letzten Jahren die fluch¬
würdigsten Attentate erlebt, in denen es sich um die Ermordung deutscher
Fürsten, um die Tötung des Polizeirath Rumpfs und die Bedrohung ganzer
Ortschaften mit Dynamik handelte. Bei Prozessen dieser Art bietet die Ver¬
kündung der Gründe und die Weiterverbreitung der Verhandlungen von Mund
zu Mund und durch die Presse ähnliche Gefahren, wie bei den Untersuchungen,


Die (Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens in seiner neuesten Gestaltung.

geklagten erst im Versuch begangnen Landesverrat seinerseits vollendete. Aus
jenen Urteilsgriinden schöpften die fremden Regierungen eine sichere Kontrole
über die ihnen durch die Spionage zugeflossenen Nachrichten; sie erfuhren
daraus, ob die deutsche Polizei ihre Einrichtungen kannte, und änderten sie
dementsprechend ab, und sie erfuhren nicht minder die Mittel, welche zur Ent¬
deckung der Schuldigen führten, sowie die Organisation der Gegenwehr des
deutschen Reiches. Wäre die Presse taktvoll gewesen, so würde sie von selbst
das tiefste Schweigen über alle Vorgänge in jenen gerichtlichen Verhandlungen
beobachtet haben. Aber gerade das Gegenteil war der Fall. Über die unter
Ausschluß der Öffentlichkeit abgehaltenen Gerichtsverhandlungen erschienen in
den Zeitungen die ausführlichsten Berichte, und da der Wettbewerb auf dem
Gebiete der Presse nicht minder den Markt beherrscht wie auf andern gewerb¬
lichen Gebieten, so sahen sich selbst Zeitungen von guter Gesinnung genötigt,
um nicht zurückzubleiben, ihren weniger achtbaren Genossen es gleichzuthun.
Die Sucht, Neuigkeiten zu bringen, und der Triumph, das zu wissen, was
geheim bleiben soll, war oft so groß, daß selbst Dinge veröffentlicht wurden,
welche für das Publikum auch nicht das geringste Interesse boten, für die
Sicherheit des Reiches aber von Bedeutung waren. In einem solchen Prozesse
war einmal ein Kronzeuge aufgetreten, dessen Namen aus leicht erklärlichen
Gründen geheim gehalten werden sollte. Der Vorsitzende des Gerichtes that
auch in dieser Hinsicht sein Möglichstes; er erklärte gleich bei Beginn der Ur-
teilsverkllndigung, daß er einen bestimmten Zeugen nicht nennen, sondern von
ihm nur immer als „der Zeuge" sprechen werde. An diese Erklärung des
Vorsitzenden knüpfte die „Leipziger Gerichts-Zeitung" eine Klammer, in welcher
sie den Namen des Zeugen nannte!

Zu den äußern Feinden des Reiches gesellen sich aber seit der großen sozial¬
demokratischen Bewegung auch innere. Die Regel, daß die extremen Parteien
immer noch extremere erzeugen, bestätigt sich auch hier. Im Reichstage hat
jüngst der Abgeordnete Bamberger die Sozialdemokratie als mißratene Tochter
des Fortschritts bezeichnet; sie bleibt aber immerhin ein Kind desselben, und
ob es mißraten ist oder nicht, hebt die Verantwortlichkeit des Erzeugers nicht
auf. Auch die Sozialdemokratie hat es bereits zu einem Sprößling gebracht,
und dieser ist der Anarchismus, den die Erzeugerin zwar öffentlich von sich
abzuschütteln sucht, im geheimen aber pflegt und hätschelt. Die Thaten des
Anarchismus scheinen zwar unverständlich und unbegreiflich, aber die Tollheit
hat Methode und Bewußtsein. Wir haben in den letzten Jahren die fluch¬
würdigsten Attentate erlebt, in denen es sich um die Ermordung deutscher
Fürsten, um die Tötung des Polizeirath Rumpfs und die Bedrohung ganzer
Ortschaften mit Dynamik handelte. Bei Prozessen dieser Art bietet die Ver¬
kündung der Gründe und die Weiterverbreitung der Verhandlungen von Mund
zu Mund und durch die Presse ähnliche Gefahren, wie bei den Untersuchungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/176>, abgerufen am 28.07.2024.